Blick durch die Gitter, hinter denen sie einst ihren kleinen Sohn verschwinden sah: Judi Dench in der Titelrolle von „Philomena“. Foto: Universum

Stephen Frears hat in dem Drama „Philomena“ den realen Fall einer Irin verfilmt, die nach 50 Jahren der Scham und des Schweigens ihren verlorenen Sohn sucht.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Philomena"

Stuttgart - „Das wäre eine Human Interest Story, und Human Interest Stories mache ich nicht“, sagt Martin Sixsmith. Früher BBC-Korrespondent, bevor er als Spin-Doctor zur Labour-Party ging, die nun ihn rausgeworfen hat, hält er menschelnde Geschichten für unter seiner Würde. Diese allerdings, die ihm eine Frau auf einer Party angetragen hat, lässt ihn nicht mehr los.

Sie handelt von Philomena Lee, die als Teenager im streng katholischen Irland der 1950er Jahre schwanger wurde und – wie damals üblich – in ein Kloster kam, wo sie ihren Sohn zur Welt brachte. Diesen überließen die Nonnen dann – wie ebenfalls üblich – amerikanischen Adoptiveltern. Nach 50 Jahren der Scham und des Schweigens möchte Philomena nun ihr Kind wiederfinden – und bittet den Journalisten um Hilfe.

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Es ist eine wahre Geschichte, der englische Comedien Steve Coogan hat das Buch des realen Martin Sixsmith adaptiert und die Hauptrolle übernommen. Er trifft als zynischer Journalist auf eine bestens aufgelegte Judi Dench, die allein das Eintrittsgeld wert wäre für ihre Darstellung der einfach gestrickten Philomena. Diese liest furchtbare Kitschromane und ist tatsächlich bei jedem aufs Neue überrascht, dass die Liebenden am Schluss zueinanderfinden. Trotz ihres beschränkten Horizonts muss man diese Frau einfach mögen, denn sie hat das Herz am richtigen Fleck und trägt es zudem auf der Zunge.

Die beiden bilden einen idealen Kontrast, wie sie als seltsames Paar nach Amerika reisen, um den verlorenen Sohn zu suchen, und die beiden Schauspieler nützen ihren Raum. Coogan mischt zum trockenem Witz genau das richtige Maß an Empathie, um Sixsmith sympathisch wirken zu lassen – er lacht nicht über Philomena, sondern eher mit ihr. Sie versteht natürlich keine seiner Anspielungen, aber die 78-jährige Judi Dench gibt in ihrer Mimik zu verstehen, dass Philomena sehr wohl ahnt, dass hinter seinen eigenartigen Aussagen mehr stecken muss.

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Stephen Frears und seine beiden Darsteller treffen durchweg den richtigen Ton, der Humor ist ebenso charmant und fein wie die anrührenden Szenen, die nie zu dick aufgetragen wirken. „Nachdem ich Sex hatte, dachte ich, alles, was sich so wundervoll anfühlt, muss falsch sein“, sagt Philomena, und der Religionskritiker Sixsmith entgegnet: „Warum sollte uns Gott sexuelle Lust schenken, wenn wir ihr dann widerstehen müssen?“ Im irischen Nonnenkloster, in dem die absolut unbarmherzige, inzwischen uralte Schwester Hildegard noch wie ein Gespenst aus vergangenen Tagen Lustfeindlichkeit und Menschenverachtung verkörpert, platzt ihm dann der Kragen – und auch diese Szene wirkt kein bisschen aufgesetzt, denn Philomena lehrt ihn im Anschluss, welche Kraft die Vergebung haben kann, wenn sie nicht blindem Glauben entspringt.

Regisseur Frears und Drehbuchautor Coogan schlagen sich auf keine Seite, sie bevormunden die Zuschauer nicht, sondern lassen Raum für eigene Interpretationen. Das macht diesen Film zu einem der sympathischsten seit langem.

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