Die Parteien ringen um Mehrheiten im baden-württembergischen Landtag. Foto: dpa

Zwischen Wahlfloskeln und Shitstorm: Der Wahlkampf hat in den Sozialen Medien eigene Gesetze. Wie gut die Parteien im Ländle darin sind, dazu hat eine Soziologin der Universität Hohenheim eine klare Meinung.

Stuttgart - Twitter, Facebook, Youtube – das sind die wohl drei wichtigsten Kanäle in den Sozialen Medien, die von den Parteien zu den Landtagswahlen ordentlich gefüllt werden sollten, um andere Wähler als auf den herkömmlichen Kanälen und Plattformen wie Fernsehen oder Plakaten zu erreichen. Ob sie dies tun oder ob sie Nachholbedarf haben, darüber hat Lukas Jenkner mit der Soziologin Anne Suphan von der Universität Hohenheim gesprochen.

Frau Suphan, welchen Eindruck hat die Expertin vom Auftreten der Landesparteien in den Sozialen Medien?
Ehrlich gesagt bin ich beim Lesen davon überrascht worden, wie schlecht der Großteil der Parteien in den Sozialen Medien tatsächlich aufgestellt ist. Das gilt meines Erachtens insbesondere für die CDU und die SPD. Wesentlich besser sind unterdessen die Jugendorganisationen der jeweiligen Parteien platziert
Das ist ein hartes Urteil. Woraus ziehen Sie diese Erkenntnis?
Nur ein Beispiel: Wer auf Youtube einfach einen Wahlwerbespot hochlädt und dann die Kommentarfunktion abschaltet, hat das Prinzip von Social Media nicht verstanden.
Was ist denn das Prinzip der Sozialen Medien?
Vor allem die Möglichkeit der Interaktion, über Themen ins Gespräch zu kommen und zu diskutieren. Wer die Sozialen Medien nur als Werbekanal in eine Richtung begreift, verschenkt einen Großteil von deren Potenzial.
Die SPD hat kürzlich auf einem Foto alle Spitzenkandidaten mit provokanten Prädikaten versehen und einen Shitstorm kassiert. Die Versuche, Diskussionen anzustoßen, können auch heftig nach hinten losgehen.
Ich kann die Angst vor solchen Shitstorms einerseits verstehen. Andererseits gehört bei der Interaktion mit vielen Menschen dieses Risiko dazu. Die Grünen zum Beispiel hatten dieser Tage auf Twitter aus Versehen fehlerhaftes ein Foto veröffentlicht und mit einer transparenten Kommunikation darüber das Thema recht schnell wieder aus den Kommentaren bekommen. Klar ist, wer die Stärken der Sozialen Medien für sich nutzt, erreicht Menschen, die sonst nicht erreichbar sind.
Wen erreicht man eigentlich wo?
Grob vereinfacht lässt sich sagen, dass Facebook am ehesten den Querschnitt der Bevölkerung wiedergibt. Twitter hat eher einen Informationscharakter und dessen Nutzer haben tendenziell ein höheres Bildungsniveau. Youtube ist der Kanal für junge Menschen bis zum Alter von 33 Jahren. Wer zum Beispiel von Politikverdrossenheit spricht und jungen Wählern, die nicht mehr erreichbar sind, sollte sich fragen, wo sie zu finden sind und ihnen entsprechende Angebote machen.
Und die aktuellen Angebote der Parteien in den Sozialen Medien halten Sie in dieser Hinsicht für mehr als unzureichend?
Manchmal habe ich das Gefühl, dass dort einfach Pressemitteilungen eins zu eins abgedruckt werden. Auffällig sind auch die zahlreichen Fotos von diversen Veranstaltungen und die wie Wahlplakate anmutenden Abbildungen mit entsprechenden Slogans der Parteien. So etwas ist weder besonders zielgruppenspezifisch noch ein attraktives Angebot, mit der jeweiligen Fraktion in Interaktion zu treten.
Gibt es positive Gegenbeispiele?
Aufgefallen ist mir ein Video von der Grünen Jugend, die den Trend der sogenannten Haul-Videos (Anmerk. der Red.: Videos, in denen Youtuber soeben erworbene Produkte ihrem Publikum präsentieren) ironisch aufgreifen und die Wahlkampfwerbeartikel der Grünen präsentieren. Das ist zumindest einmal ein Versuch, Konzepte und Ideen aus Youtube aufzugreifen und für die eigenen Zwecke umzusetzen.
Wie wichtig ist die zeitliche Nähe?
Sehr wichtig. Die Parteien und ihre Wahlkampfmitarbeiter sollten zeitnah reagieren, wobei CDU, SPD und FDP das auf Facebook auch tun. Dies wird zumindest bei den Reaktionszeiten der Direktnachrichten so angezeigt.
Welchen Rat würden Sie den Wahlkampfteams zum Thema Social Media geben?
Sie sollten sich überlegen, wen sie wie auf welchen Kanälen erreichen können. Und sich mehr auf die Interaktion einlassen, die Möglichkeit des Austauschs als Chance begreifen. Außerdem bieten die Sozialen Medien auch die Nähe zu den Wählern. Ich bin zum Beispiel überrascht, dass kaum einer der Spitzenkandidaten persönlich twittert.
Ein neues Phänomen im Wahlkampf ist die Partei Alternative für Deutschland. Welchen Eindruck haben Sie von deren Präsenz in den Sozialen Medien?
Über die AfD in den Sozialen Medien zu recherchieren, war herausfordernd und zum Teil auch erschreckend. Zum einen zu sehen, welche Inhalte die AfD in ihren Social-Media-Kanälen verbreitet, aber auch von der Tonalität der Kommentare her, die oft sehr aggressiv ausfallen. Die Partei trifft dennoch auf hohen Zuspruch, sie hat auffällig viel Zulauf auf Facebook. Wobei es schwierig zu erkennen ist, wer die AfD-Beiträge kommentiert. Viele dieser Profile geben nichts öffentlich frei außer den Beiträgen für die AfD.
Halten Sie es für möglich, dass dort mit gefälschten Profilen gearbeitet wird, um die Reichweite künstlich zu erhöhen?
Möglich wäre das, aber es ist notwendig, dies genauer zu untersuchen als ich es bisher getan habe. Das Muster der Kommentare ist ungewöhnlich, könnte aber vielleicht auch anders erklärt werden.

Expertin für Soziale Medien

Anne Suphan ist Post-Doc am Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Hohenheim. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit beschäftigt sie sich mit Ungleichheit, insbesondere im digitalen Kontext. Sie hinterfragt zum Beispiel, welche Folgen fehlende Zugänge und mangelnde Fähigkeiten für gesellschaftliche Subgruppen haben – oder auch wie sich dies in der Arbeitswelt auswirkt. Ihre Dissertationsschrift schrieb Anne Suphan zum Thema „Ein Tor zur Inklusion? Das Potential Sozialer Medien in Situationen der Arbeitslosigkeit“ an der Universität St. Gallen. Im Jahr 2013 war sie Visiting Researcher am Donald McGannon Communication Research Center an der Fordham University New York, USA.