Pamela Anderson zeigt sich in der Netflix-Doku ohne Make-up und schonungslos offen. Foto: IMAGO/Picturelux/IMAGO/Netflix

Schonungslos ehrlich und erfrischend komisch: Die Netflix-Doku „Pamela: Eine Liebesgeschichte“ räumt mit etlichen Vorurteilen auf, die man über Pamela Anderson hatte.

So hat man Pamela Anderson noch nie gesehen. Gänzlich ohne Make-up sitzt die 55-Jährige auf ihrem Sofa. Das steht nicht etwa in L.A., sondern in Ladysmith, Vancouver Island, Kanada. Die Schauspielerin, „das Busenwunder“, wie man in Deutschland jahrzehntelang völlig selbstverständlich schrieb, ist zu ihren Wurzeln zurückgekehrt.

Und so ungeschminkt wie Pam da sitzt, so offen und verletzlich macht sie sich auch in dem knapp zweistündigen Netflix-Film „Pamela: Eine Liebesgeschichte“, die seit Kurzem auf der Streaming-Plattform zu sehen ist. Das „Playboy“-Model, die „Baywatch“-Nixe, die x-fach Verheiratete schönt nichts in der Dokumentation, ist entwaffnend ehrlich und erfrischend komisch. Mit zartem Stimmchen spricht die 55-Jährige ganz ohne Sentimentalitäten über ihr Leben, das große Höhen, aber auch niederschmetternde Tiefen hatte.

Private Videos und Tagebücher

„Playboy“-Cover, „Baywatch“, Tommy Lee, das Sex-Tape, ihre Peta-Kampagnen – auf den ersten Blick ist das alles hinlänglich bekannt. Interessant ist die Perspektive: Es ist, zum allerersten Mal, die von Pamela Anderson selbst. Das Netflix-Porträt der Schauspielerin darf sich nämlich nicht nur an den unzähligen privaten Videoaufnahmen bedienen, die Pam über die Jahrzehnte aufgenommen hat – sondern auch an ihren Tagebüchern, die die 55-Jährige dem Emmy-nominierten Regisseur Ryan White zur Verfügung gestellt hat.

Mit „Pamela: Eine Liebesgeschichte“ und den zeitgleich erschienenen Memoiren „Love, Pamela“ holt sich die Schauspielerin die Deutungshoheit über ihr Leben zurück. Hat man den Film gesehen, ist es schwerer, in Pamela Anderson nur das naive Blondchen zu sehen, das wenig Talent, aber einen tollen Körper hat, fotogen über Malibus Strand laufen konnte und eben einen falschen Mann nach dem anderen heiratete.

Missbraucht von der Babysitterin

Geboren in die abgeschiedene Inselwelt von Vancouver Island, war Pamelas frühes Leben alles andere als idyllisch: In der Familie gab es Streit und Gewalt, von ihrer Babysitterin wurde sie missbraucht. Entdeckt wurde die hübsche Kanadierin bei einem Footballspiel. Eines Tages klingelte das Telefon und der „Playboy“ war dran. Die junge Kanadierin flog nach L.A. und erkannte, dass sie richtig gut in dem ist, was da von ihr verlangt wird: verführerisch sein. Der Rest ist Geschichte.

Ganz deutlich wird in dem Film eins: Was Pamela Anderson unter Liebe versteht, ist geprägt von der Beziehung ihrer Eltern. Die hatten eine turbulente Ehe, schlugen und vertrugen sich – stritten sich ebenso leidenschaftlich, wie sie sich liebten. Und so war auch die Beziehung zu Andersons großer Liebe, dem Mötley Crüe-Schlagzeuger Tommy Lee, mit dem sie von 1995 bis 1998 verheiratet war. Vielleicht, ziemlich wahrscheinlich sogar, suchte sie in jeder ihrer unzähligen Beziehungen danach nach diesem einen Gefühl. In einer Szene der Dokumentation sagt die Schauspielerin ihrem Sohn Brandon, der auch einer der Produzenten ist: „Ich habe deinen Vater wirklich geliebt und ich glaube, ich habe keinen anderen danach mehr geliebt.“ Und dann, mit dem Blick auf den Bildschirm, auf dem gerade eine Videosequenz mit Tommy Lee läuft: „Es ist so beschissen.“

Da ist es beinahe zwangsläufig, dass sich Pamela während der Dreharbeiten zu dieser Doku ein weiteres Mal scheiden lässt: von Dan Hayhurst, dem kanadischen Bauunternehmer, den sie erst 13 Monate zuvor geheiratet hatte.

Sittengemälde der 1990er

„Pamela“ ist aber nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch ein Sittengemälde der 1990er Jahre mit ihrem völlig unverhohlenen Sexismus. Ob Larry King, Jay Leno oder Matt Lauer – über die Jahre musste sich Anderson von (meist männlichen) Interviewpartnern herabsetzende Fragen über ihr Liebesleben oder ihre Brustimplantate anhören. Sie parierte sie stets schlagfertig, humorvoll und stoisch höflich.

Als ein privates Video der Eheleute Lee und Anderson gestohlen und als berüchtigtes Sex-Tape auf Videokassette und im noch jungen Internet verkauft wird, erreicht der Sexismus aber den Gipfel: Vor Gericht verliert das Ehepaar, weil der Richter argumentiert, bei Anderson und Lee handele es sich um Personen des öffentlichen Interesses, die so etwas einfach aushalten müssten. Heute unvorstellbar. Wie sehr diese öffentliche Demütigung Pamela Anderson heute noch schmerzt, zeigt ihre Reaktion, als sie erfährt, dass der Privatsender Hulu plant, die ganze Geschichte unter dem Titel „Pam & Tommy“ zu verfilmen. Ihr Unbehagen ist spürbar.

Der Film endet mit einer neuen Aufgabe für Pamela. Im Broadway-Musicalklassiker „Chicago“ spielt sie die Roxie. Mit 55 nimmt Anderson ihre Schauspielkarriere wieder auf, die durch das Sex-Tape und ihr öffentlich zelebriertes wechselhaftes Liebesleben einen gewaltigen Dämpfer erfahren hat. „Pamela: Eine Liebesgeschichte“ ist ein Teil dieser Rehabilitation. Sie hätte sich darin als unschuldiges Opfer der Umstände inszenieren können (wie es zuletzt zum Beispiel Prinz Harry und Herzogin Meghan mit ihrer Netflix-Serie recht selbstunkritisch taten), aber wenn Pamela Anderson eines nicht ist, dann ist es wehleidig. An den Regisseur Ryan White stellte sie nach dessen Worten im Vorfeld nur eine Forderung: „Mach es nicht zu einem kompletten Tränendrüsen-Drücker.“