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Die Grünen haben am Sonntagabend eine Partynacht eingeläutet, wie sie sie in Stuttgart noch nicht gesehen haben. Mittendrin im euphorischen Trubel: Der neue Oberbürgermeister Fritz Kuhn.

Stuttgart - Um 20.40 Uhr am Sonntagabend brechen alle Dämme. Die Stimmung im Schlesinger, wo die Grünen ihren Wahlsieg feiern, ist auf dem Siedepunkt angelangt. Weil Hunderte in die Kneipe hinein wollen und auch draußen nichts mehr geht, sperrt die Polizei die Schlossstraße.

Der Hauptakteur absolviert zu dieser Zeit einen Interview-Marathon im Rathaus. Unter frenetischem Jubel ist Fritz Kuhn um 19.15 Uhr in den Großen Sitzungssaal eingezogen – und kurzzeitig musste man sich Sorgen um das künftige Stadtoberhaupt machen. Minutenlang verschwand Kuhn in riesigen Trauben aus Fotografen und Gratulanten. Knapp zwei Stunden später spricht er immer noch in Mikrofone.

Die Stimmung bei seinen Parteigenossen ist ausgelassen. „Dass wir das noch erleben dürfen“, stammelt Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle immer wieder. Für Kuhn gibt es ein Lebkuchenherz, einen Blumenstrauß und auf den letzten Drücker auch noch Sekt. Der war kurzfristig ausgegangen, nachdem die Grünen kurz vor Ende der Auszählung schon die Korken knallen ließen.

Etwas abseits der Szenerie steht Kuhns Familie. Amüsiert beobachtet seine Frau Waltraud Ulshöfer den vollen Körpereinsatz ihres Mannes. Der hat zuvor noch Kräfte gesammelt. „Wir haben einen langen Spaziergang gemacht, gemeinsam gegessen und dann hat er tatsächlich noch den Nerv gehabt, sich eine Stunde hinzulegen“, erzählt die künftige First Lady der Landeshauptstadt. Endlich kann Kuhn das Rathaus verlassen – und macht sich zu Fuß auf in Richtung Schlesinger. Mehrfach gibt es unterwegs Szenenapplaus von Passanten.

Doch es mischen sich auch kritische Töne in den Jubel. Vor dem Stuttgarter Rathaus haben sich rund hundert Mitglieder der Parkschützer-Organisation versammelt. Aber nicht, um zu protestieren. „Wir feiern“, sagt eine ältere Dame. Und das, obwohl Hannes Rockenbauch eigentlich der Mann der Wahl gewesen wäre. Da dieser aber beim zweiten Wahlgang nicht mehr angetreten ist, sei nun Fritz Kuhn der Wunsch-OB der meisten Parkschützer. „Wobei es auch andere Meinungen dazu gab – die Parkschützer waren da ganz offen. Nur einen Konsens gab es: Turner wird nicht gewählt“, sagt die Frau.

Parkschützer: „Kuhn muss die Probleme mit Stuttgart 21 angehen“

Von Feierlaune möchte Matthias von Herrmann, Pressesprecher der Parkschützer, nicht sprechen. Aber doch von einer „gewissen Freude und der Zuversicht, dass es mit Kuhn nicht schlimmer wird als bisher“. Von Herrmann spricht Fritz Kuhn seine Glückwünsche aus, stellt aber sogleich auch seine Forderungen an den neuen OB: „Kuhn muss die Probleme mit Stuttgart 21 angehen.“ Zur Untermauerung entrollen die Parkschützer gleich noch ein Transparent im Großen Sitzungssaal.

Rockenbauch selbst kann es kaum erwarten, Fritz Kuhn zu beglückwünschen, obwohl er keine Wahlempfehlung abgegeben hat. „Ich freue mich, dass Schwarz so klar abgewählt wurde“, sagt er. Besonders, da somit ein Stuttgart-21-Gegner an die Macht gekommen sei. „Er muss auf seinen Mut nun nur noch Taten folgen lassen, und der Machtwechsel muss zu einem Politikwechsel werden“. Das sieht der Schauspieler und S 21-Gegner Walter Sittler ähnlich. „Ich freue mich wahnsinnig für und über Kuhn“.

300 Anhänger verwandeln die Stammkneipe der Grünen in eine Sardinenbüchse

Im Schlesinger warten derweil alle auf den neuen OB. Stadtrat Jochen Stopper hatte schon vorher bedingungslos an den Wahlsieg geglaubt. „Das klappt“, hatte er um 18 Uhr orakelt. Da verwandelten bereits 300 Anhänger die Stammkneipe der Grünen in eine Sardinenbüchse. Von Hochrechnung zu Hochrechnung wurden Jubel und Applaus lauter. „Acht Monate haben wir gekämpft“, freut sich ein Wahlkämpfer. Jetzt müsse er nur noch kommen, „der gute, alte Fritz“.

Vor dem neuen OB kommt der Ministerpräsident. „Die Wahl ist ein großartiger Erfolg – für Stuttgart, für Fritz Kuhn, für das Land und für die Grünen“, sagt Winfried Kretschmann. Dann endlich kommt ein strahlender Kuhn. Frenetischer Beifall ertönt und die Rufe „oben bleiben“ sind bis weit nach draußen zu hören: „Ich will und werde ein Oberbürgermeister für ganz Stuttgart sein, nah an den Leuten dran“, verspricht Kuhn. Und Rezzo Schlauch gibt die Parole aus: Das wird eine lange Nacht.“

„Fritz Kuhn ist für viele Bürger nur das kleinere Übel als Turner“, sagt hingegen Christoph Scheel von der Initiative „Mitmachen ohne mitzuspielen“. Diese hatte im Kunstverein eine „Gläserne Urne“ aufgestellt, in die Wahlberechtigte, die keinem Kandidaten ihre Stimme geben wollten, ihre Wahlbenachrichtigung einwerfen konnten. 70 Wahlbenachrichtigungen zählte man am Ende immerhin.