Kann sich nicht mehr ganz so freuen: Alberto Nunez Feijo, Vorsitzender der konservativen Partei PP Foto: dpa/Manu Fernandez

Eine Stimmenauszählung nur für starke Nerven: Entgegen der Umfragen hält sich in Spanien Amtsinhaber Pedro Sánchez gut.

Der Wahltag begann um 3.46 Uhr, als Adif, der Betreiber des spanischen Eisenbahnnetzes, einen Teil der Strecke zwischen Valencia und Madrid schließen ließ: In einem Tunnel hatte es gebrannt, und nach den Löscharbeiten stand das Gleisbett unter Wasser. 3500 Fahrgäste blieben hier oder dort hängen und waren entsprechend unglücklich. „Wir hatten kein Vertrauen in die Briefwahl“, erzählte Ana María Pérez, eine der Hängengebliebenen im Bahnhof von Valencia, einer Reporterin von „El Mundo“, „wir wollten heute mit dem Zug nach Madrid fahren, um dort abzustimmen“. Daraus wurde nichts.

Pedro Sánchez, der amtierende Ministerpräsident, hatte die Wahlen ausgerechnet für diesen Sonntag Ende Juli angesetzt, mitten im Hochsommer, wo viele Leute schon im Urlaub sind oder mindestens fürs Wochenende am Meer und eigentlich keine Lust zum Wählen haben. Andererseits hatten sie Lust: entweder weil sie Sánchez abwählen wollten, oder weil sie eine rechte Regierung unter Beteiligung von Vox verhindern wollten, den ganz Rechten. Fast zweieinhalb Millionen Spanier hatten Vertrauen in die Briefwahl, so viele wie noch nie, und als dieser Wahlsonntag begann, packten viele die Badehose ein, gingen abstimmen und dann an den Strand. Bis 14 Uhr hatten mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, ein überdurchschnittlicher Wert, bis 18 Uhr aber nur 53 Prozent, so wenige fast wie noch nie um diese Uhrzeit.

Kampf um die Stimmen war auch Kampf um die Stimmabgabe

Der Kampf um die Stimmen war an diesem Sonntag auch ein Kampf um die Stimmabgabe. Narciso Michavila, Spaniens bekanntester Wahlforscher, hatte das vorausgesehen: „Wir sind Latinos und tun gerne das Gegenteil von dem, was man uns sagt.“ Zum Beispiel: erst im letzten Moment abstimmen gehen.

Um 20 Uhr, als die Wahllokale in ganz Spanien mit Ausnahme der Kanaren schlossen, veröffentlichte Michavilas Umfrageinstitut GAD3 eine Prognose, die auf Umfragen am Wahltag selbst und den Tagen davor basierte. Bei den vorletzten Wahlen vor gut vier Jahren, im April 2019, lagen diese Prognosen ganz gut. Dieses Mal offenbar weniger.

GAD3 und das konkurrierende Umfrageinstitut Sigma Dos hatten die konservative Volkspartei (PP) mit an die 150 Parlamentssitzen (nach 89 Sitzen bei den letzten Wahlen im November 2019) deutlich vorn gesehen und die Sozialisten (PSOE) von Pedro Sánchez mit einigem Abstand dahinter.

Die Aufholjagd von Sánchez und seiner PSOE kommt überraschend

Doch als die Hälfte der Stimmen ausgezählt war, lag plötzlich Sánchez ganz knapp vorn. Was sich bestätigte, waren die Verluste von Vox und dem Linksbündnis Sumar. Nach den Prognosen wie auch nach den Umfragen vor der Wahl war ein Regierungswechsel zu erwarten gewesen. Zur Hälfte der Wahlnacht nicht mehr unbedingt.

Die Aufholjagd von Sánchez und seiner PSOE kam überraschend: Seit Sommer letzten Jahres, seit in der PP der damalige galicische Ministerpräsident Alberto Núñez Feijóo das Ruder übernahm, sahen die Umfragen den Konservativen vorn. Der 61-Jährige ist ein erfahrener Politiker, der im nordwestspanischen Galicien viermal hintereinander absolute Sitzmehrheiten eingefahren hatte, woran selbst seine gefährliche Freundschaft mit einem Zigarettenschmuggler und späteren Kokaindealer nichts änderte. Weil jene Amigo-Affäre nun schon ein Vierteljahrhundert alt ist, störten sich diesmal auch die Wähler im Rest Spaniens nicht daran, jedenfalls nicht sehr viele.

Eine starke Wählerströmung baute sich gegen Vox auf

Pedro Sánchez dagegen erlebten viele Spanier in seinen insgesamt fünf Regierungsjahren als wortbrüchig und selbstverliebt, zu jedem politischen Schwenk bereit, wenn ihn der nur an der Macht hielt. So haben es jedenfalls offenbar die Wechselwähler empfunden, die vor dreieinhalb Jahren noch die PSOE und diesmal die PP wählten.

Doch eine ebenso starke – oder vielleicht stärkere – Wählerströmung baute sich in den vergangenen Wochen gegen Vox auf, die nationalistisch, migrationsfeindliche und antifeministische Rechtsaußenpartei. Das ist eine Mischung, die besonders bei vielen jungen Männern gut ankommt, während sie anderen Angst macht. Wie Partnerparteien in Ungarn und Polen hat Vox ein sehr eigenes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit.

Ob sich nun der Unwille gegen Sánchez oder die Furcht vor Vox am Sonntag durchgesetzt hat, blieb am Sonntagabend ziemlich lange offen. Es sieht ganz danach aus, als wenn Spanien so oder so eine schwierige Regierungsbildung bevorsteht.

Politisches System in Spanien

Cortes Generales
 Das Parlament in Spanien besteht aus zwei Kammern: dem Congreso de los Diputados (Abgeordnetenhaus) und dem Senado (Senat). Sie üben die gesetzgebende Gewalt im Staat aus, bewilligen den Staatshaushalt, kontrollieren die Tätigkeit der Regierung und führen alle weiteren Aufgaben aus, die ihnen die Verfassung zuweist. Niemand kann gleichzeitig Mitglied in beiden Kammern sein.

Wahlkreise
 Gemäß der spanischen Verfassung besteht das Abgeordnetenhaus in Madrid aus 300 bis 400 Abgeordneten. Es gibt 52 Wahlkreise. Die Wahl erfolgt in den einzelnen Wahlkreisen nach Verhältniswahlrecht.