Der mächtige Schädel des T. rex war offenbar erstaunlich flexibel. Foto: Senckenberg

Der Schädel des Raubsauriers Tyrannosaurus rex konnte riesige Kräfte gut abfedern. Das haben Tübinger Wissenschafter mit aufwendigen Analysen herausgefunden.

Tübingen - Ingmar Werneburg ist Kurator der Paläontologischen Sammlungen in Tübingen. Er weiß genau, welchem Höhepunkt etliche der Schüler entgegenfiebern, die er gerade durch die von der Universität gesammelten Überbleibsel längst vergangener Jahrmillionen führt: Der mehr als einen Meter lange Schädel des Raubsauriers Tyrannosaurus rex, den alle nur bei seinem Kurznamen T. rex nennen, ist zwar nur eine Nachbildung eines Originals aus den USA, die künstlichen Knochen mit den spitzen Zähnen wirken aber so täuschend echt, dass Besucher fast zwangsläufig andächtig-schaudernd vor dem Monster stehen bleiben.

Die Schnauze mit den riesigen Zähnen bietet genug Platz für den Oberkörper eines Menschen, und würde jemand seinen Kopf in das große Loch vor der Augenhöhle in den Schädel des T. rex stecken, müsste er keine Angst haben stecken zu bleiben. Der Kopf des Raubsauriers sah nicht nur martialisch aus, sondern konnte auch tatsächlich riesige Kräfte freisetzen. Und doch waren die Knochen des Giganten nicht starr wie Panzerplatten miteinander verbunden, sondern pufferten die auf sie wirkenden gewaltigen Belastungen erstaunlich flexibel ab, wie Ingmar Werneburg und seine Kollegen in der Zeitschrift „Nature Scientific Reports“ berichten.

Damit unterscheidet sich T. rex grundlegend von vielen anderen Tiergruppen, deren Schädelknochen deutlich starrer miteinander verbunden sind. „Mich interessiert besonders, weshalb Tiere unterschiedlich aussehen und wie neue Formen in der Evolution entstehen“, sagt Werneburg. Deshalb untersucht der Zoologe vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Uni Tübingen auch die Zusammenhänge zwischen dem flexiblen Schädel und dem dennoch kräftigen Biss des Raubsauriers T. rex.

Werneburg nutzt Methoden aus gleich drei unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Disziplinen. Als Zoologe untersucht er die Struktur und Form ausgewachsener Organismen, als Embryologe die Entwicklung von der befruchteten Eizelle bis zum fertigen Tier und als Paläontologe die Überreste längst ausgestorbener Arten. Herausragende Morphologen bildeten den Thüringer in Jena, Zürich und im japanischen Kobe aus, und als er 2016 nach Tübingen kam, konnte er dieses Können mit der Paläontologie kombinieren. In dieser Disziplin spielt die Stadt am Neckar von jeher in der Weltspitze.

Interesse an Schädeln aller Art

Besonders interessiert sich Werneburg dabei für den Schädel verschiedener Arten. „Dieser sieht zwar bei allen an Land lebenden Wirbeltieren in der Grundstruktur recht ähnlich aus, es gibt aber auch grundlegende Unterschiede“, erklärt der Senckenberg-Forscher. Bei Schildkröten ist der Schädel hinter den Augen zum Beispiel geschlossen, während Säugetiere hinter jedem Augen jeweils eine Öffnung haben.

Im Prinzip haben Krokodile, Eidechsen, Schlangen, Brückenechsen, Schildkröten und Vögel dort sogar zwei Öffnungen, die allerdings im Laufe der Entwicklung der Arten genau wie auch bei den Säugetieren wieder verändert sein können.

Welche Funktion solche Öffnungen im Bereich der Schläfen haben, ist bislang noch nicht genau bekannt, auch wenn es einige Vermutungen dazu gibt. „Diese Fenster könnten zum Beispiel mit der Ernährung zusammenhängen“, sagt Werneburg. So setzen viele Muskeln und Sehnen des Kiefers genau an dieser Schläfenregion an. Die Ränder der beiden großen Fenster der Dinos in diesem Bereich bieten eine versteifte Fläche, an der die Kiefermuskeln ansetzen können. Sie verändern so auch die übertragenen Kräfte. Ein Raubsaurier wie T. rex hat zusätzlich auch noch je eine große Öffnung zwischen den Schädelknochen vor beiden Augen, deren Funktion ebenfalls noch nicht ganz klar ist.

Einen wichtigen Hinweis erhielten Werneburg und seine Kollegen, als sie die Schädel verschiedener an Land lebender Wirbeltiere mit einer aufwendigen Methode miteinander verglichen. Bereits als die Forscher die Knochen zählten, aus denen sich die jeweiligen Schädel zusammensetzen, fanden sie auffällige Unterschiede: So formen 34 Knochen den Kopf eines Huhns, während T. rex mit 63 fast die doppelte Zahl erreicht. Der wichtigste Teil der Analyse zeigte dann, wie die einzelnen Knochen miteinander verbunden sind.

Was Knochenverbindungen verraten

„Mit dem mathematischen Verfahren der Netzwerkanalyse haben wir untersucht, wie diese Knochen untereinander ‚verflochten‘ sind“, erläutert Werneburg. Dabei stach erneut der starke Unterschied zwischen Hühnern mit sehr wenigen und dem Raubsaurier mit sehr vielen dieser Verflechtungen ins Auge. Als die Forscher danach Regionen im Schädel anschauten, in denen die Knochen besonders stark miteinander verbunden sind, erlebten sie eine große Überraschung: „Das große Fenster im Schädel vor dem Auge unterteilt offensichtlich den Oberkiefer von T. rex in einen oberen und einen unteren Bereich, die sich dadurch vermutlich unabhängig voneinander bewegen konnten“, erklärt Ingmar Werneburg. Diese Eigenschaft könnte eine wichtige Voraussetzung für die extreme Beißkraft der Raubsaurier sein. Wäre der Schädel starr, könnten die dabei auftretenden gewaltigen Kräfte die Knochen so stark verformen, bis sie brechen würden.

T. rex konnte dagegen seine spitzen Zähne in die Beute schlagen und damit große Stücke Fleisch herausreißen. Dabei konnten sich die durch das Fenster im Knochen getrennten Bereiche im Kiefer der Raubechse ein wenig gegeneinander verbiegen, die riesigen Kräfte abpuffern und damit die Bruchgefahr verringern. Völlig zu Recht ist der riesige T.-rex-Schädel also ein Höhepunkt für alle Besucher der Paläontologischen Sammlungen in Tübingen.