Erst zögerlich – doch dann folgen die Schüler dem Diätregime widerspruchslos. Foto: dpa

Statt „Ohm“ gibt es „Haaamm“, aber kein Essen in Jessica Hausners stilistisch ausgefeilten Parabel „Club Zero“ über dogmatisch hungernde Internatsschüler.

Essen wird überbewertet, findet Miss Novak, der neue Ernährungscoach an einer Eliteschule für einsame Teenager. Deshalb unterwirft sie ihre Zöglinge einer strengen Fasten-Routine. Atmen und Summen sind dabei das A und O. Statt des aus den Gesängen buddhistischer Mönche bekannten „Ohm“ summen die Teenager ein sonores „Haaammm“.

Statt deftiger Mensa-Menüs gibt es ein paar mickrige Kartoffelecken auf dem Plastikteller – wenn überhaupt. Ein mit Miss Novaks Konterfei werbender Fastentee komplettiert die drastische Kur.

Die Bildgestaltung macht den Zwang sichtbar

So absurd diese Null-Kalorien-Diät in Jessica Hausners Satiredrama „Club Zero“ auch erscheinen mag; sie hat mehr mit der Wirklichkeit zu tun, als der gesunde Durchschnittsesser gemeinhin vermuten würde. Wie in Miss Novaks Unterricht wird in manchen Esoterikzirkeln die Ernährung mit sogenannter Lichtnahrung gepriesen, trotz belegter Todesfälle aufgrund solcher Radikalfastenkuren. Doch auch jenseits esoterischer Nischen tummeln sich in den sozialen Netzwerken „Ana-Coaches“ („Ana“ für „Anorexie“) und „Thinfluencer“ (ein Kofferwort aus dem englischen „thin“ für „dünn“ und „Influencer“), die Menschen online in die Magersucht treiben. Miss Novak (Mia Wasikowska) setzt noch auf analogen Psychodruck und schart bald einen orthodoxen Kern von fünf Hungerjüngern um sich, die ihr nach anfänglichem Zögern widerspruchslos in das Diätregime folgen.

Obsessive Zwänge hat Jessica Hausner schon in früheren Werken als verführerisch destruktiv beschrieben; sowohl im Drama „Amour Fou“ (2014) über einen historischen Selbstmordpakt als auch im Science-Fiction-Thriller „Little Joe“ (2019) über Mutterliebe und eine aggressiv duftende Pflanzenzüchtung. Besondere Bedeutung kommt in allen Hausner-Filmen der Bildgestaltung zu; Farben, Symmetrien, visuelle Wiederholungen und sterile Designs machen den Zwang sichtbar. In „Club Zero“ spiegeln der Sichtbeton-Brutalismus des Schulbaus, die Uniformen und das elegant reduzierte Mobiliar der Klassenzimmer die Normentreue des Schulsystems wider. Das behandelt zwar alle Kinder gleich, gibt aber deren individuellen Bedürfnissen wenig Raum. Deshalb gelingt es Miss Novak auch, sich parasitär in dieser Struktur einzunisten und sie zu missbrauchen.

Ratlose Eltern

Bei seiner Uraufführung in Cannes hat „Club Zero“ keine Begeisterungsstürme ausgelöst, weil er abseits seiner stilistischen Eigenwilligkeit scheinbar nichts Neues vermittelt. Interessant wird der Film allerdings dann, wenn man ihn über den schlichten Plot hinaus denkt als Parabel über die zersetzende Gewalt dogmatischer Lehren. Dann erhält die Erzählung über ein paar verbissen hungernde Kinder und deren ratlose Eltern viel mehr Gewicht als die magere Anlage zunächst vermuten lässt.

Weder die Teenager im Film noch ideologisch verbohrte Menschen in der Realität lassen sich von ihren Dogmen abbringen, weil die Gesellschaft um sie herum ihnen nicht vehement genug widersprochen hat. Im Film endet das tragisch, in der Wirklichkeit kann so viel harmoniesüchtige Ignoranz schnell gefährlich werden.

Club Zero. Österreich, UK, Deutschland, Frankreich, Dänemark 2023. Regie: Jessica Hausner. Mit Mia Wasikowska, Luke Barker, Sidse Babett Knudsen. 110 Minuten. Ab 12