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Heikler Fall für Stuttgarter Gericht nach Straßburger Urteil - Goll will strenge Überwachung.

Stuttgart - In der Frage, ob in Baden-Württemberg 17 Schwerverbrecher aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) freigelassen werden müssen, steht eine erste wichtige Entscheidung an. Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) hat den Antrag eines Sexualstraftäters auf dem Tisch, der in Heilbronn in Sicherungsverwahrung sitzt und unter Hinweis auf das Straßburger Urteil sofort entlassen werden möchte. "Der erste Strafsenat wird sich in den nächsten Wochen mit dem Fall befassen müssen", sagte die Sprecherin des OLG unserer Zeitung.

Der Mann (Jahrgang 1947) war im Zeitraum zwischen 1974 und 1985 von den Landgerichten Heilbronn und Stuttgart dreimal wegen Vergewaltigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. In einem Fall befand man ihn zudem des sexuellen Missbrauchs von Kindern für schuldig.

Er verweigerte im Gefängnis jegliche Therapie und hat sich laut OLG seit Ende der neunziger Jahre nicht mehr untersuchen lassen. Die bislang mit ihm befassten Sachverständigen und Richter halten ihn aufgrund der Aktenlage weiterhin für hochgefährlich. Trotzdem kann der Mann nun auf seine Freilassung hoffen. Bei ihm fand nämlich ein Bundesgesetz aus dem Jahr 1998 Anwendung, das eine Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der Haft auch rückwirkend auf unbestimmte Zeit verlängerte. Diese Rückwirkung des Gesetzes verstößt, wie die Richter in Straßburg vor zehn Tagen in letzter Instanz in einem konkreten Fall entschieden, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Inwieweit diese Entscheidung die Gerichte in anderen Fällen bindet, ist aber umstritten. Bundesweit soll es 70 ähnlich gelagerte Fälle geben.

Sollten die 17 Schwerverbrecher im Südwesten tatsächlich entlassen werden müssen, will Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) sie anschließend mit Hilfe einer elektronischen Fußfessel auf Schritt und Tritt überwachen lassen. Dazu bedarf es aber einer entsprechenden Erlaubnis des Bundes. "Ich werde in dieser Sache nun auf den Bund zugehen", kündigte Goll gegenüber unserer Zeitung an.