Mehrere Migranten sitzen in einem Boot im Mittelmeer, während Rettungskräfte versuchen ihnen zu helfen. Foto: Antonio Sempere/Europa Press/dpa

Der Umgang mit Asylbewerbern gehört seit langem zu den großen Streitthemen der europäischen Politik. Jetzt gibt es die Gesamtzahl der Anträge fürs vergangene Jahr. Die meisten wollen nach Deutschland.

Die Zahl der Asylbewerber in Europa hat die Marke von einer Million im vergangenen Jahr deutlich überschritten. Die Asylagentur der Europäischen Union EUAA (Europaean Union Agency or Asylum) mit Sitz auf der Mittelmeerinsel Malta registrierte in den 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie in Norwegen und der Schweiz insgesamt 1,14 Millionen Anträge, wie aus dem am Mittwoch (28. Februar) in Valletta veröffentlichten Jahresbericht hervorgeht. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies ein Plus von 18 Prozent.

Woher kommen Asylbewerber nach Europa?

  • Die meisten Antragssteller kamen nach Angaben der Asylagentur abermals aus dem Bürgerkriegsland Syrien, gefolgt von Afghanistan.
  • Gegen Ende des Jahres, nach Beginn des neuen Gaza-Kriegs im Oktober, wollten zunehmend auch Palästinenser nach Europa. Mit Abstand wichtigstes Zielland blieb Deutschland, wo zwischen Januar und Dezember 2023 nach diesen Angaben 334 000 neue Anträge registriert wurden.
  • Im Jahr zuvor war die Gesamtzahl der Anträge mit 996 000 noch knapp unter der Millionenmarke geblieben.
  • Hingegen wurden in den Jahren 2015 (1,4 Millionen) und 2016 (1,3 Millionen) noch deutlich mehr registriert.
  • Nicht eingerechnet sind mehr als 4,4 Millionen Menschen aus der Ukraine, die infolge des russischen Angriffskriegs Zuflucht in der EU gesucht haben und temporären Schutz bekamen.

Wie viele stellten 2023 in Deutschland Asyl?

Die Zahlen für Deutschland unterscheiden sich geringfügig von Angaben des zuständigen Bundesamts in Nürnberg, das fürs Gesamtjahr etwa 329 000 Anträge gemeldet hatte. So oder so entfiel auf Deutschland aber annähernd ein Drittel aller Anträge – so viel wie in den beiden folgenden Ländern Frankreich (167 000) und Spanien (162 000) zusammen.

Pro Kopf gerechnet gingen die meisten Anträge in Zypern ein – ein Antrag auf 78 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland war es einer auf 252.

Aus welchen Ländern stammen Asylbewerber in Deutschland?

  • Bei den Herkunftsländern lag Syrien (181 000) vorn, wo seit mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg herrscht. Im Vergleich zum Vorjahr kamen 38 Prozent mehr.
  • Die Zahl der Anträge von Menschen aus Afghanistan (114 000), wo inzwischen wieder die radikal-islamistischen Taliban an der Macht sind, ging hingegen zurück.
  • Knapp über der Marke von 100 000 lag auch noch die Türkei (101 000).
  • Über das Jahr hinweg wurden auch 11 600 Anträge von Palästinensern registriert – zwei Drittel mehr als im Jahr zuvor.

Wie viele Anträge wurden bewilligt?

Im Vergleich zu früheren Jahren wurden von den EU-Staaten deutlich mehr Anträge bewilligt. Die sogenannte Anerkennungsquote lag demnach bei 43 Prozent, so hoch wie seit sieben Jahren nicht mehr. Der Umgang mit Migranten, die nach Europa kommen wollen, gehört seit Jahrzehnten zu den großen Streitthemen der europäischen Politik. Bei Versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, kommt es immer wieder zu tödlichen Katastrophen.

Im Dezember beschloss die EU eine weitreichende Reform ihres gemeinsamen Asylsystems mit erheblichen Verschärfungen für illegale Einwanderer. Künftig sollen Menschen, die kaum Chancen auf Anerkennung haben, beschleunigte Verfahren an den EU-Außengrenzen durchlaufen.

Wie sieht die Asyl-Strategie der Bundesregierung aus?

In der Migrationsdebatte werden viele Vorschläge gemacht, um die irreguläre Einwanderung zu begrenzen. Die Bundesregierung hatte zuletzt einen härteren Kurs eingeschlagen. Hier eine Übersicht über die beschlossenen Maßnahmen:

Asylverfahren

Insgesamt soll „die Zahl der im Wege der Fluchtmigration nach Deutschland Kommenden deutlich und nachhaltig gesenkt werden“, heißt es in einem gemeinsamen Beschluss von Bund und Ländern. Asylverfahren für Angehörige von Staaten, für die die Anerkennungsquote weniger als fünf Prozent beträgt, sollen zügiger als bisher abgeschlossen werden.

Ziel ist, das Asyl- und das anschließende Gerichtsverfahren bei ihnen jeweils in drei Monaten abzuschließen. In allen anderen Fällen sollen die Asylverfahren regelhaft nach sechs Monaten beendet sein.

Grenzkontrollen

Grenzkontrollen an den Landesgrenzen zu Österreich, zur Schweiz, zur Tschechischen Republik und zu Polen sollen aufrechterhalten werden. Die Länder und die Bundespolizei wollen weiter eng bei der Bekämpfung der Schleusungskriminalität und der irregulären Einwanderung zusammenarbeiten.

Kosten für Versorgung

Die bestehende Flüchtlingspauschale des Bundes soll ab dem nächsten Jahr zu einer von der Zahl der Schutzsuchenden abhängigen Pro-Kopf-Pauschale weiterentwickelt werden („atmendes System“). Ab 2024 zahlt der Bund für jeden Asylerstantragssteller eine jährliche Pauschale von 7500 Euro. In der ersten Hälfte des Jahres 2024 soll es eine Abschlagszahlung von 1,75 Milliarden Euro geben.

Die neue Pauschale und Anpassungen bei Leistungen für Asylbewerber würden laut dem Beschlusspapier im kommenden Jahr zu einer Entlastung bei Ländern und Kommunen von rund 3,5 Milliarden Euro führen – basierend auf den Zugangszahlen dieses Jahres.

Leistungen 

Für Asylbewerber, die seit mehr als eineinhalb Jahren in Deutschland sind, sollen Leistungen eingeschränkt werden: Wenn sich ein Asylverfahren lange hinziehe, sollen nicht 18, sondern 36 Monate lang Grundleistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden.

Aktuell haben Asylbewerber eineinhalb Jahre lang Anspruch auf ein Dach über dem Kopf sowie Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern. Statt solcher Sachleistungen sind teils auch Wertgutscheine oder Geldleistungen vorgesehen. Nach 18 Monaten steigen die Sätze ungefähr auf Höhe der regulären Sozialhilfe. Dieser Schritt soll künftig später erfolgen.

Bezahlkarte

Barauszahlungen an Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollen eingeschränkt werden. Das soll den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen minimieren. Um dies zu erreichen wird eine Bezahlkarte eingeführt.

Bundeskanzler Scholz hatte im November mit den Regierungschefs der Länder die Einführung der Bezahlkarte vereinbart. Die Länder bekamen damals den Auftrag, „bundeseinheitliche Mindeststandards“ für die Karte auszuarbeiten, der Bund sollte sie dabei unterstützen. 14 der 16 Bundesländer einigten sich dann Ende Januar auf gemeinsame Standards für die Bezahlkarte.

Mit der Karte sollen Geflüchtete einen Teil der ihnen zustehenden Leistungen als Guthaben statt per Barauszahlung erhalten. Die Karte soll ohne Kontobindung funktionieren und bundesweit in allen Branchen einsetzbar sein. Sie kann jedoch nicht im Ausland eingesetzt werden, Geldüberweisungen sollen ebenfalls nicht möglich sein.

Hamburg hatte am 15. Februar als erstes Bundesland bekannt gegeben, mit der Ausgabe der Karte begonnen zu haben. Mehrere andere Bundesländer leiteten die Ausgabe ebenfalls bereits in die Wege.

Asylverfahren in Drittstaaten

Die Bundesregierung will prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Geprüft werden soll, ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann.

Kommission für Migration

Die Bundesregierung wird zu Fragen der Steuerung der Migration und der besseren Integration in Abstimmung mit den Ländern eine Kommission einrichten. Dabei sollen gesellschaftliche Gruppen einbezogen werden - zum Beispiel Kirchen und Gewerkschaften sollen teilnehmen, aber auch Wissenschaftler und Vertreter von Organisationen, die sich für die Belange von Asylbewerbern einsetzen.

Weitere Migrationsabkommen

Intensiv sollen Gespräche zu Migrationsabkommen mit weiteren Herkunftsländern geführt werden. Der Zuzug an den europäischen Außengrenzen soll begrenzt werden und dafür das Zustandekommen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auf EU-Ebene vorangetrieben werden. Flüchtlinge sollen an den Außengrenzen der EU strikt überprüft und registriert werden (mit dpa-Agenturmaterial).