In diversen Apotheken gibt es nach wie vor nicht mehr alle Medikamente. (Symbolbild) Foto: dpa/Monika Skolimowska

Fiebersäfte, Antibiotika, Cortison, Krebsmittel– derzeit stehen über 517 Arzneimittel auf der offiziellen Liste der nicht lieferbaren Medikamente in Deutschland. Der Landesapothekerverband von Baden-Württemberg warnt indes vor weiteren Engpässen.

Vor rund einem Jahr war es ganz bitter für diverse Familien mit kranken Kindern. Fiebersenkende Säfte hatten viele Apotheken nicht mehr vorrätig. Mit dem Lieferengpassgesetz der Bundesregierung sollten Medikamentenhersteller besser entlohnt werden, was wiederum für Entspannung auf dem Medikamentenmarkt sorgen sollte. Eine Entspannung ist jedoch auch weiterhin nicht in Sicht, ganz im Gegenteil, warnt nun Frank Eickmann, Pressesprecher des Apothekerverbandes des Landes Baden-Württemberg gegenüber unserer Zeitung. Während vor fünf Monaten noch rund 400 Arzneimittel auf der Medikamenten-Engpassliste standen, als das Gesetz verabschiedet wurde, sind es mittlerweile über 500 – Tendenz, laut Eickmann, steigend.

Auch Medikamente für Krebspatienten stehen auf der Liste

Auf der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) herausgegebenen Lieferengpass-Liste stehen neben Antibiotika und diversen Kinderarzneimitteln auch Insulin, Asthmaspray, Psychopharmaka, cortisonhaltige Produkte und Medikamente für Krebspatienten.

Für den Arzneimittel-Engpass in Deutschland gibt es mehrere Gründe, erklärt Eickmann gegenüber unserer Zeitung. Ein Hauptproblem: Das deutsche System kranke schon seit Jahren an einer chronischen Unterfinanzierung hinsichtlich der Bezahlung von Medikamenten. Sprich: Die Hersteller von Arzneimitteln bekämen in anderen Ländern teilweise wesentlich mehr Geld für ihre Produkte. So sei es nicht verwunderlich gewesen, dass Österreich im Gegensatz zu seinem deutschen Nachbarn vor einigen Monaten keine Ausgabeprobleme bei fiebersenkenden Mitteln für Kinder hatte. Denn: Österreich zahle den Herstellern rund drei- bis fünfmal so viel wie Deutschland.

Mit dem Lieferengpassgesetz wollte man nun die Einkaufspreise für Medikamente so flexibel nach oben drehen können, dass Deutschland gegenüber anderer Länder nicht das Liefer-Nachsehen hat und auch weiterhin attraktiv für Medikamentenhersteller bleibt. Doch damit ist das Problem nicht gelöst. Denn neben den Einkaufsfaktoren, wie viel Geld die Länder bereit sind, für Medikamente auszugeben, spielt auch die aktuell schwierige weltpolitische Lage eine wichtige Rolle. Dadurch kommt es zu Lieferkettenproblemen, Störungen in der Schifffahrt und generell im Welthandel. Durch Kriegsgeschehen wie in der Ukraine und im Gazastreifen steige zudem die Nachfrage an Medikamenten. Das Angebot hinke manchmal schlichtweg der Nachfrage hinterher.

Da die große Masse der Wirkstoffe nicht mehr in Europa hergestellt wird, sei man von Lieferanten insbesondere aus China und Indien abhängig. „Wirkstoffe werden nicht mehr in Europa hergestellt. Das kritisieren wir. Man muss in Deutschland daher wieder eine höhere Herstellerattraktivität schaffen“, fordert Eickmann.

Medikamenten-Hersteller würden den deutschen Markt zum einen als Produktionsstandort meiden, zum anderen sei Deutschland auch als „Kunde“ wegen der niedrigen Preispolitik derzeit nicht sehr beliebt. Des Weiteren seien in den vergangenen Jahren aber auch „Oligopole“ geschaffen worden, indem manche großen Krankenkassen mit ein oder zwei Herstellern pharmazeutischer Wirkstoffe Exklusiv-Verträge abgeschlossen hätten. Viele andere Hersteller seien dadurch leer ausgegangen oder hätten sich irgendwann aus dem Markt mit dem Argument zurückgezogen: „Zu diesen Dumpingpreisen können wir das nicht mehr machen.“ Ergo: Der Hersteller-Markt ist kleiner geworden. Oder, wie es Eickmann sagt: „Der Markt wurde kaputtgespart.“

Das alles gehe schließlich zu „Lasten der Versorgungssicherheit“,resümiert Eickmann. „Wir kommunizieren diese Problematik seit Jahren.“ Aber „der Zustand wird nicht besser.“ „Unsere Erwartung ist daher, dass in einem Industriestaat wie Deutschland ein fiebersenkender Saft für Kinder da sein und nicht zum Beispiel aus Ungarn zugekauft werden muss.“ In bestimmten Situationen könne dieser Versorgungsengpass sogar lebensbedrohlich sein, etwa bei fehlenden Psychopharmaka oder bei Krebsmedikamenten, die teilweise ebenfalls über Monate nicht lieferbar gewesen seien.