Helene Hegemann trifft sich mit ihren Gästen in verschiedenen Buchläden. Foto: rbb/Christian Pries

In ihrem neuen Literaturformat „Longreads“ in der ARD-Mediathek spricht die Autorin Helene Hegemann mit jeweils einem Gast über besondere Bücher, die prägen. Dabei geben Gast und Gastgeberin auch viel von sich selbst preis.

Die Lektüre eines Buches dient meist der Unterhaltung und dem Zeitvertreib. Doch es gibt auch Bücher, die das Leben oder die Sichtweise der Lesenden tatsächlich verändern können. Über solche Bücher möchte Helene Hegemann, selbst Autorin und Regisseurin, in ihrem neuen Literaturformat „Longreads“ mit ihren Gästen sprechen. „Longreads stehen im Journalismus für lange Erzählungen, die erlauben, tiefer in eine Geschichte einzudringen“ heißt es zum Konzept der Sendung, die kein gewöhnlicher Talk, sondern ein dokumentarisches Format sein soll. Hegemann nimmt den jeweiligen Gast der Sendung mit in eine Buchhandlung und in ihr Berliner Stammlokal, um dort über besondere Literatur zu sprechen.

Im Alter von 17 Jahren verfasste die heute 32-Jährige ihren ersten Roman „Axolotl Roadkill“, der ebenfalls besonders war. Zunächst von der Kritik bejubelt, löste er schließlich wegen Plagiatsvorwürfen heftige Debatten aus. Doch um die alten Geschichten soll es bei „Longreads“ nicht gehen. Wohl aber auch um die Ansichten der Gastgeberin, die ein Buch vorschlägt, über das gesprochen werden soll. Der Gast darf ebenfalls eine Lektüre auswählen.

Treffen in der Buchhandlung der Eltern

In der ersten Folge entscheidet sich der Journalist und Autor Thilo Mischke, den Hegemann als einen der „wildesten Investigativreporter Deutschlands und auch einen der aufrichtigsten“ vorstellt, für den Roman „Nichts“ von Janne Teller. Um über die Bedeutung des Buches zu sprechen, treffen sie sich im Buchladen seiner Eltern in Berlin-Friedrichshain. Dort stehen auch die von Mischke verfassten Bücher ganz bescheiden unter „M“ eingeordnet und Mischke gesteht, dass er mit allen fünf Buchtiteln und Covern nicht einverstanden war. Hegemann hat ihm „V13: Die Terroranschläge in Paris“ von Emmanuel Carrère empfohlen, weil sie darin eine Parallele zu seiner journalistischen Arbeit sieht. Von dieser Arbeit und Mischkes extremen Erfahrungen in Kriegsgebieten und an anderen gefährlichen Orten zeigt sich Hegemann so fasziniert, dass sie das Konzept der Sendung aus den Augen zu verlieren scheint. Doch das ist in Ordnung, schließlich ist Mischke ein spannender Gesprächspartner.

Helene Hegemann im Gespräch mit Thilo Mischke. Foto: rbb Presse & Information

Das Konzept versteht Hegemann ohnehin nur als groben Rahmen. Dazu gehören Szenen, die normalerweise herausgeschnitten werden. Man sieht das Kamerateam, wie es sich in die kleinen Buchläden quetscht, hört, wie sich Hegemann mit ihrer Regisseurin Lena Brasch über verschiedene Szenen austauscht und muss verwackelte Kamerabilder ertragen. Und immer wieder sieht man Hegemann und Brasch, wie sie in der Kälte stehen und sich Zigaretten anstecken. Die Inszenierung des vermeintlich Uninszenierten nimmt manchmal zu viel Raum ein und wirkt zu gewollt.

Samira El Ouassil (links) und Helene Hegemann Foto: rbb Presse & Information

Mit ihrem nächsten Gast, der Journalistin und Autorin Samira El Ouassil, will Hegemann gerade einen Gedanken ausführen, als sie von Geräuschen im Hintergrund ihres Stammlokals unterbrochen wird. Auch diese Szene, in der sich Hegemann genervt zeigt, ist nicht herausgeschnitten worden. Insgesamt bleibt sie in dieser Folge aber näher am Konzept. Intensiv sprechen die beiden Frauen über die von Samira El Ouassil vorgeschlagene Graphic Novel „Maus“ von Art Spiegelman, in der der Autor die Erfahrungen seines Vaters, der den Holocaust überlebte, verarbeitet hat. Die beiden Frauen kommen darüber auf den wachsenden Antisemitismus in der heutigen Zeit zu sprechen.

Zeina Nassar (links) und Helene Hegemann Foto: rbb Presse & Information

Ganz anders wiederum läuft das Gespräch mit der Boxerin und Autorin Zeina Nassar, die den Megaseller, die „1%-Methode“ von James Clear, vorgeschlagen hat. Hegemann hat die Essaysammlung „Über Boxen“ von Joyce Carol Oates mitgebracht. Somit drehen sich die Gespräche der beiden viel über persönliche Veränderungen und immer wieder über das Boxen, worüber Zeina Nassar gerne und voller Leidenschaft spricht.

„Longreads“ läuft ab sofort in der ARD-Mediathek und ist eine Produktion von Turbokultur im Auftrag von rbb, SWR und ARD Kultur.