Musik wird gestreamt, für Bücher gibt es Reader – und der Kunsthandel? „Wird einen Schub zur Digitalisierung erleben“, sagt Christie’s-Präsident Dirk Boll den „Stuttgarter Nachrichten“.
Stuttgart - Aus Sicht von Dirk Boll (49), Präsident des weltweit agierenden Londoner Auktionshauses Christie’s, steht der internationale Kunstmarkt vor einem radikalen Wandel.
Entwicklung wie in der Musikindustrie
„Institutionell wie kommerziell“, sagt Boll im Interview den „Stuttgarter Nachrichten“, „werden wir einen Entwicklungsschritt sehen, der in der Musikindustrie und im Buchhandel schon vor 20 Jahren passiert ist“. Zugleich sieht Boll auch Gegenbewegungen: „Aktuelle Hilfsprogramme von Bund und Ländern zeigen“, so der Christie’s-Spitzenmann, „dass die Politik die Bedeutung der Kulturmärkte – und innerhalb dieser Landschaft die Rolle der kleinen Unternehmen – klarer sieht als noch vor wenigen Jahren“.
Umfassende Umwälzung
Die Umwälzung komme dennoch: „In der Vergangenheit“, so Boll, „haben Krisen Facetten hinzugefügt oder entfernt, Entwicklungen beschleunigt, aber im Großen und Ganzen haben die Rezeptions- wie die Distributionssysteme keine einschneidenden Veränderungen erlebt. Die Gesamthaftigkeit dieser Krise hingegen wird größere Auswirkungen haben, denn sie erfasst alle Aspekte von Kunstvermittlung“.
„Schub zur Digitalisierung“
Der „Schub zur Digitalisierung“ zwingt aus Sicht von Boll, der bei Christie’s die Märkte Europa und Großbritannien, Mittlerer Osten und Afrika verantwortet, auch die Museen zum Umdenken. „Der Anspruch an die Institutionen, im Netz sichtbar zu bleiben, wird steigen“, sagt er. Zugleich sieht er eine Chance zur Neupositionierung: „Kunstvermittlung, aber auch die Darstellung der wissenschaftlichen Arbeit wird noch wichtiger werden“, so Boll. Es sei zu hoffen, „dass den staatlichen Häuser genug Raum gegeben wird, ihre Arbeit ,Sammeln, Erforschen, Bewahren, Vermitteln’ auch ohne medienwirksame Blockbuster-Ausstellungen zu leisten“.