Ursula Keck beim Interview im Technikraum der Theodor-Heuss-Realschule Foto: Horst Dömötör

Im Interview: Kornwestheims Oberbürgermeisterin Ursula Keck.

Kornwestheim - Die Beratungen für den Haushalt, der Schulneubau und, natürlich, immer wieder Corona: Die Rathauschefin spricht zum Jahresende über die Themen, die sie und ihre Stadtverwaltung 2021 besonders auf Trab gehalten haben.

Frau Keck, vor einigen Wochen waren Sie selbst an Corona erkrankt…

Ja, ich war nicht nur in Quarantäne. Ich war – trotz doppelter Impfung – richtig krank. Ich lag fast eine Woche mit grippeähnlichen Symptomen im Bett.

Spüren Sie heute noch Nachwirkungen der Krankheit?

Ich bin ja eine Läuferin, jogge gerne morgens. Doch aktuell mache ich keinen Sport. Man soll eine Corona-Infektion ja gut auskurieren. Im neuen Jahr starte ich wieder.

Wie ist es, wenn die Krankheit, die Sie in der Verwaltung stark beschäftigt, plötzlich auf einer persönlichen Ebene so nah heranrückt?

Ich hatte immer die Sorge, dass ich das Virus irgendwann bekomme. Mein Beruf lebt davon, dass ich unterwegs bin und viele Menschen treffe. Daher habe ich mich auch so bald wie möglich impfen lassen. Am 16. Dezember hätte ich meinen dritten Impftermin gehabt, doch dann kam die Infektion dazwischen. Meine größte Sorge war, ins Krankenhaus zu müssen – das blieb mir zum Glück erspart.

„Das Wort Impfgegner finde ich nicht gut“

Die Gedanken – „was wäre ohne die Impfung geschehen“ – macht man sich schon, oder?

Natürlich.

Was möchten Sie Impfgegnern zurufen?

Das Wort Impfgegner finde ich nicht gut. Es drückt aus, dass wir uns zu weit auseinanderdividieren lassen. Ich möchte, dass wir als Gesellschaft ins Gespräch kommen und im Gespräch bleiben. Aber ja, werde ich gefragt, dann sage ich, dass Impfungen wichtig sind. Sie verhindern schwere Verläufe. Und: Man übernimmt mit einer Impfung nicht nur für sich Verantwortung, sondern auch für andere, für Familie, Freunde und Freundinnen, Kollegen und Kolleginnen.

Die Impfpflicht befürworten Sie?

Ja, ich bin eine Befürworterin der Impfpflicht. Sie würde vieles leichter machen. Wir hätten mit einer Impfpflicht diese sich ständig verändernden Regeln nicht. Gäbe es die Impfpflicht schon länger, hätten wir die extremen Diskussionen der letzten Wochen nicht geführt und sie als notwendig angenommen.

Was war aus Ihrer Sicht im Corona-Jahr 2021 – aus Verwaltungsperspektive – anders als 2020?

Wir sind in Kornwestheim sehr krisenerprobt. Wir hatten bereits einen Krisenstab und einen Leitfaden zur Krisenkommunikation, als die Pandemie begann. Dennoch haben wir heute natürlich mehr Routine als am Anfang. Wir haben in der Verwaltung kurze Wege, können Regeln schnell umsetzen. Die Menschen – und das meine ich sowohl positiv als auch negativ – haben sich an die Pandemie gewöhnt. Beim ersten Lockdown war die Angst größer. Jetzt hat sich eine gewisse Routine eingeschlichen, daher haben wir jetzt die Debatte um die Impfpflicht. Was unser städtisches Ordnungsamt angeht: Wir haben einiges umorganisiert, auch personell aufgestockt. Ich denke, wir sind sehr konzentriert in dem, was wir tun, und versuchen stets, Risiken abzuwägen.

„Der Entscheidungsdruck war hoch“

Die Stadt hat sich sehr bei der Organisation von Impfterminen engagiert…

Ich denke, dass wir vor Ort die Situationen gut einschätzen und nach Bedarf handeln können, das ist eine Stärke der Kommunen. Gerade in Baden-Württemberg können die Städte und Gemeinden gut agieren, auch dank der Rolle der (Ober)Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, die zugleich Vorsitzende des Gemeinderates sind. In Krisenzeiten sind Kommunen meist die ersten, die handeln können und handeln müssen.

Hätten Sie sich denn von der Landes- und Bundespolitik ein entschlosseneres, früheres Handeln gewünscht?

Wenn ich im Jahr 2000 ein Buch gelesen hätte, in dem davon die Rede gewesen wäre, dass das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland auf Null gesetzt wird, hätte ich das nicht für möglich gehalten. Der Entscheidungsdruck war hoch, und die Politik hat Stärke darin gezeigt, den Lockdown durchzusetzen. Das hat mich beeindruckt. Beeindruckt hat mich auch, dass die Politik während der Pandemie oft losgelöst von Lobbyismus Entscheidungen getroffen hat. Aber: Je länger das geht, desto mehr verwässert dieser breite Konsens natürlich.

Die Stadt hat dieser Tage den Doppelhaushalt für 2021/2022 beschlossen. Wie haben Sie die Debatte erlebt?

In jeder Krise liegt auch eine Chance. Ich denke, wir haben im Gemeinderat – auch und gerade in der Pandemie – zu einer großen Stärke gefunden. Die Atmosphäre ist gut und von Vertrauen geprägt, das zeigt auch der Haushaltsplan. Einige Bürgermeister-Kollegen und -kolleginnen haben mir von Vorwürfen aus ihren Gremien berichtet, sie würden die Gemeinderäte nicht ausreichend einbeziehen – solche Kritik gab es bei uns nicht. Wir haben von Anfang an einen Maßnahmenplan etabliert, jede Maßnahme, die wir beschlossen haben, in diesen Plan aufgenommen und die Stadträte regelmäßig und zeitnah einbezogen. So waren sie informiert, wir in der Verwaltung blieben aber handlungsfähig. Von diesem Vertrauen profitierten wir auch in den Haushaltsberatungen.

„Überrascht hat mich die Diskussion um das Jugendzentrum“

Kritik gab es aber am Zeitplan der Beratungen: Einige Fraktionen fordern, künftig mehr Zeit für die Haushaltsberatungen einzuräumen….

Für mich ist die Haushaltsplanberatung, das Königsrecht des Gemeinderates, sehr gut gelaufen, mich stört auch nicht die hohe Zahl der Anträge. Es liegt an uns als Verwaltung, das gut vorzubereiten. Wir haben differenziert, was politisch wichtig ist, wo sich Synergien zwischen den Anträgen finden lassen, was Arbeitsaufträge sind und wo eine Erklärung reicht.

Dennoch war immer wieder von Stadträten zu hören: Wir haben zu wenig Zeit, uns zu beraten und vorzubereiten.

Eines muss man ehrlicherweise sagen: Uns ist bei der Terminplanung in diesem Jahr ein Fehler unterlaufen. In diesem Jahr bekamen die Stadträte montags die Vorlage mit den Anträgen, und dienstags war schon die erste Ausschusssitzung dazu, dabei muss eine Woche dazwischenliegen. Wir haben noch einen Termin eingefügt, kamen wieder in den normalen Turnus, aber dieser Fehler hat sich bemerkbar gemacht.

Welche Anträge haben Sie überrascht?

Überrascht hat mich die Diskussion um das Jugendzentrum.

Das war ein Vorschlag der CDU, der auch beinhaltete zu prüfen, ob anstelle der alten Stadtbücherei ein Bürgerhaus entstehen und die Stücke der Stadtgeschichtlichen Sammlung dafür ins jetzige Juz ziehen könnten…

Genau. Vorstellen könnte ich mir ein Jugendzentrum im Wette-Center durchaus. Das kann die Innenstadt befruchten. Man müsste die Beleuchtungssituation prüfen, es gibt kein Tageslicht im Wette-Center, nur eine tageslichtähnliche Beleuchtung. Die Frage ist besonders aus Arbeitsschutzgründen wichtig. Dann haben die Jugendsozialarbeiter aus dem Juz im Sozialausschuss – auch das hat mich überrascht – mitgeteilt, dass viele Jugendliche viel lieber am heutigen Standort bleiben würden. Wir werden im kommenden Jahr mit den Jugendlichen und unserer Jugenddelegation Judeko Gespräche führen, wie ihre Meinung zu diesem Vorschlag ist.

„Wir müssen die Stärken unserer Innenstadt stärker herausarbeiten“

Der Innenstadtentwicklungsprozess hat an Fahrt aufgenommen. Was versprechen Sie sich von der Bürgerumfrage, die fürs Frühjahr 2022 angesetzt ist?

Wir wollen an einem Strang ziehen, Maßnahmen gemeinsam vorbereiten und umsetzen. Gemeinsam – das ist wichtig. Es bringt nichts, wenn jeder nur eigene Bedürfnisse und Ideen im Blick hat. Wir müssen das große Ganze sehen. Die Schwäche in der Innenstadt ist die Attraktivität, die Aufenthaltsqualität. Da kann man mit kleinen Maßnahmen viel erreichen. Wir haben einen guten Branchenmix, man kann in den Parkhäusern, auch wenn das oft anders bewertet wird, gut parken. Wir müssen die Stärken unserer Innenstadt stärker herausarbeiten, in der man zu Fuß oder mit dem Rad mit kurzen Wegen vieles erledigen kann.

Sollte man eine Fußgängerzone testen?

An der Frage „autofrei oder nicht“ macht sich ja vieles fest. Von der Zufahrtssituation für Unternehmen, die man lösen muss, einmal abgesehen: Ich kann mir einen Testlauf gut vorstellen. Er wäre ein guter Start, um eine Fußgängerzone auszuprobieren und Akzeptanz dafür zu wecken. Die vielen Falschparker würden wegfallen, und dieses unflätige Angehen der verschiedenen Verkehrsteilnehmer und -teilnehmerinnen untereinander hätte man auch nicht mehr.

Wilder Westen Bahnhofstraße …

Ich habe neulich einen Falschparker angesprochen. Ich war auf alles eingestellt. Zu meiner Freude hat er gesagt: „Okay, ich fahre weg.“ Ich hatte aber auch schon andere Begegnungen: Eine Falschparkerin hat mir einmal zugerufen, sie dürfe stehen, wo sie steht. Ihr Bruder sei Beamter, der hätte das erlaubt. Ich habe entgegnet: „Ich bin auch Beamtin, aber ich darf Ihnen das nicht erlauben, fahren Sie bitte weg.“ Die Dame ist dann nur fünf Meter weitergefahren und blieb wieder stehen. Das habe ich dann doch aufgenommen. Das Ärgerliche ist: Man spürt, dass Menschen ihr Unrechtsbewusstsein verlieren.

„Für mich ist das Handwerk ein hohes Gut“

Um Fragen des Umgangs miteinander ging es auch in der Diskussion mit dem SVK im Herbst. Führende Mitglieder des Vereins hatten der Stadt vorgeworfen, den Sport nicht genug zu unterstützen. Haben sich die Wogen beruhigt?

Ja, das haben sie. Es gab einen Konflikt, den haben wir ausgestanden und gut geklärt. Wichtig ist, nach vorne zu schauen. Ich schätze die Mitglieder des Präsidiums und ich bin auch selbst SVK-Mitglied.

Haben Sie denn die schon lange angekündigte Aufstellung des SVK mittlerweile erhalten, die nachweisen soll, dass in anderen Kommunen der Sport stärker unterstützt wird als in Kornwestheim?

Nein, das nicht. Aber ich habe gehört, sie soll nun bald erarbeitet werden.

Generell ist die finanzielle Situation in der Stadt sehr im Fluss, man ist noch schuldenfrei, es gibt die Aussicht auf sprudelnde Gewerbesteuereinnahmen. Andererseits hat die Stadt viele Investitionen vorm Bug. Wie schätzen Sie die finanzielle Zukunft Kornwestheims ein?

Kornwestheim lebt nach der guten Tradition eines Schwaben: Erst Geld ansparen und dann ausgeben. Deswegen sehe ich unsere Situation optimistisch. Wir bereiten uns solide auf die kommenden Aufgaben vor. Aufgrund der Salamander-Insolvenz hat Kornwestheim schon früh verstanden, dass man sich nicht nur auf ein Unternehmen stützen darf, sondern eine ausgewogene Branchenvielfalt braucht. Dadurch kommen wir auch gut durch die Pandemie. Wir haben viele leistungsfähige Unternehmer. Und ja, das Thema Schulbauentwicklung werden wir gut stemmen. Alles, was Schule, Ganztag und Bildung fordern, werden wir in den Räumen hier abbilden. Bildung war den Gemeinderäten – auch vor meiner Zeit – immer wichtig.

Sie haben sich gewünscht, das diesjährige Jahresinterview im Technikraum der Realschule zu führen …

Ich wollte einen Raum, der für die Neuausrichtung der Bildungsstandorte steht – eben für das Miteinander von Gemeinschaftsschule und Realschule. Wir sind für die Ideenfindung des Campus Ost in einen konstruktiven Dialog mit allen Schulen eingetreten. Übrigens: Wenn wir an Bildung denken, denken wir oft nur an Akademiker. Mir ist wichtig, auch dafür steht dieser Raum, zu unterstreichen, dass unser starker Mittelstand ebenso bedeutend ist. Dass Realschule der Startpunkt für eine ebenso spannende und gute Karriere sein kann. Die Realschule in Kornwestheim ist ein Garant für Bildung und für Vielfalt. Ich selbst komme aus einer Arbeiterfamilie, für mich ist das Handwerk ein hohes Gut.

„Vielleicht müssen wir häufiger mal in die Höhe bauen“

Der Campus Ost wird 70 Millionen Euro kosten. Sehe Sie die Gefahr, viel Geld zu investieren und dennoch mit der Dynamik in der Entwicklung von der Schullandschaft nicht mithalten zu können?

Wichtige Voraussetzung in unserer Planung am Campus Ost ist, dass wir eine hohe Flexibilität behalten. Wir wollen gut und solide bauen, aber eben auch flexibel den Herausforderungen der Zukunft begegnen können. Dass Kornwestheim diesen Ansatz verfolgt, sieht man ja bereits an der heutigen Gemeinschaftsschule und dem Gymnasium, die in einem gemeinsamen Baukörper untergebracht sind. Je nachdem, wie sich die Schularten entwickeln, kann man die Räume unterschiedlich nutzen. Und auch in den Technikräumen der Realschule haben wir oft Akzente gesetzt, umgebaut und modernisiert. Wir haben bei der Anpassung unserer Gebäude an neue Bildungsprofile viel Erfahrung.

Haben Sie manchmal Sorge, dass das Mammut-Bauprojekt teurer wird oder sich verzögert?

Je länger eine Planungsphase dauert, desto teurer werden die Projekte. Ich glaube nicht, dass wir in den kommenden Jahren eine Verlangsamung dieser Preissteigerungen erleben werden. Gerade daher ist es wichtig, gut zu planen und die Flächen zu bauen, die wir brauchen. Was wir uns nicht leisten wollen, das sind öffentliche Räume, die am Ende nur minimal ausgelastet sind.

Stichwort Auslastung, bezogen aufs Thema Wohnbebauung: Die Stadt hat sich immer für Nachverdichtungen stark gemacht. Aber mit Blick aufs Stadtklima wird das heute in Frage gestellt...

Die Tradition der Nachverdichtung gibt es in Kornwestheim schon lange, seit Jahrzehnten. Man muss eben mit den wenigen Flächenressourcen sorgsam und schonend umgehen. Das gilt auch für die Zukunft. Dennoch müssen wir versuchen, in einer Balance zu bleiben, grüne Oasen zu bewahren, ökologische Ausgleichsflächen schaffen. Vielleicht müssen wir auch häufiger mal in die Höhe bauen. Ein schönes Beispiel für moderne Wohnformen ist übrigens die Baugemeinschaft Neckarstraße: In den Neubau werden im Februar 20 Familien einziehen. Ich bin stolz darauf, dass wir in Kornwestheim eine moderne und kooperative Wohnform ins Leben gerufen haben, und vor allem auch darauf, dass wir die Kostenschätzung, die 2018 aufgelegt wurde, halten konnten.

Sind Wohngemeinschaften auch ein Konzept für das neue Baugebiet nördlich der Zügelstraße?

Ich möchte nicht, dass wir wenigen Bauträgern das ganze Gebiet überlassen. Wir sollten Konzeptvergaben mit Bauträgern und Baugemeinschaften ermöglichen. Wir sollten bereit sein, Wohnformen zu realisieren, die wir jetzt noch nicht im Blick haben. Wir sollten, gerade beim Thema Wohnen, kreativen Ideen Raum geben.

Was erwarten Sie vom Jahr 2022 – das ebenfalls von Corona geprägt sein wird?

Ich denke, dass wir nach der vierten Welle akzeptieren, dass wir uns alle irgendwann infizieren. Wir werden uns im kommenden Jahr erneut darauf konzentrieren, unser gesellschaftliches und kulturelles Leben wieder hochzufahren – auch, um die Menschen wieder aus der Isolation zu holen.