Überraschung beim Caritas-Musikfest: Syrische Flüchtlinge singen „Der Mond ist aufgegangen.“ Foto: Drechsel

Pläne schützen vor unliebsamen Überraschungen. Manchmal verhindern Pläne aber auch angenehme Überraschungen. Deshalb ein Loblied auf die Spontaneität und das Unvorhergesehene.

Stuttgart - Für viele Leute ist es wichtig, einen Plan zu haben. Einen Plan vom Tag, einen Plan von der Woche, einen Plan vom Jahr, am besten noch einen Plan vom Leben. Dahinter steht ein verständliches Bedürfnis: Man will wissen, woran man ist, was man zu erwarten und zu erledigen hat. Das gibt Sicherheit und schützt vor unliebsamen Überraschungen. Manchmal verhindern die vielen Pläne jedoch auch schöne Überraschungen. Deshalb sei hier ein Loblied auf die Spontaneität angestimmt. Und auf das Unvorhergesehene.

Vorweg: Es lebe der Terminkalender! Er ist, ob in papierner oder elektronischer Form, unverzichtbar. Und das mehr denn je. Die Termine – beruflich wie privat – haben eine Dichte erreicht, die ohne Verschriftlichung oder elefantengleiches Gedächtnis nicht bewältigt werden kann. Man muss so vieles: die Besprechung hier, die Konferenz dort, der Auftrag heute, die Lieferung morgen. Dazu kommt der Freizeitstress. Auch öffentliche Groß- und Kleinereignisse wollen abgespeichert sein: aktuell das Sommerfest – bis 7. August. Am Montag, 8. August, kickt außerdem der VfB erstmals in Liga zwo – gegen St. Pauli. Für Fans ein Pflichttermin . . . So füllen sich die Jahresplaner. Das Leben erhält eine engmaschige Struktur. Feste Zeiten, fixe Termine – Leben im Schema F.

Die Stadt ist voller Überraschungen

Nichts dagegen, aber wo sind die Freiräume? Was ist mit dem Sich-treiben- und mit dem Sich-überraschen-Lassen? „Optimisten haben gar keine Ahnung von den freudigen Überraschungen, die Pessimisten erleben“, schrieb der Schriftsteller Peter Bamm. Das Gleiche gilt für strenge Planer. Sie versiegeln die Tage, machen sie undurchlässig für Überraschungen. Das ist schade, denn Überraschungen gibt es viele. Die Stadt ist voll davon. Voller jedenfalls als von Pokémons. Wer zum Beispiel am vergangenen Wochenende mit offenen Augen und Ohren bei den Berger Sprudlern vorbeitrieb, konnte live eine schöne Überraschung erleben: Beim internationalen Musikfest der Caritas trat ein Chor syrischer Flüchtlinge auf. Sie sangen dort ihr Lieblingslied: „Der Mond ist aufgegangen“. Auf Deutsch.

Vieles lässt sich gar nicht planen

Unerwartet schön war diese Woche auch der von einer Mitarbeiterin ausgedruckte Spruch am Eingang zur Redaktion: „Es gibt Menschen, die wissen gar nicht, dass sie das Highlight unseres Tages sind.“ Jeder kennt solche Überraschungsmomente – wenn er dafür offen ist. Sie führen aus dem geistigen Kessel heraus, in dem man sich oft dreht. Davon abgesehen lässt sich vieles nicht planen. „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen“, sagt Forrest Gump, „man weiß nie, was man bekommt.“ Alles Schicksalhafte macht Pläne zur Makulatur.

Unerwartet, außerplanmäßig bedeutet übrigens nicht automatisch Chaos. Im Gegenteil: Wenn man etwas durcheinander kommt, schafft das oft Klarheit.

jan.sellner@stzn.de