Schimmel als Delikatesse: reifer Camembert Foto: dpa/Jochen Eckel

Um die alten weißen Pilze, die dem Camembert sein typisches Aroma verleihen, ist es nicht gut bestellt. Die Camembert-Krise zeigt, wie wichtig Vielfalt ist – nicht nur im Käseregal, sondern auch in der Gesellschaft.

Kürzlich haben zahlreiche Medien darüber berichtet, dass schon bald das letzte Stündchen des Camemberts geschlagen haben könnte. Der Grund: Der Schimmelpilz, der dem beliebten Weichkäse seine flauschig-weiße Oberfläche und sein charakteristisches Aroma verleiht, schwächelt bedenklich. Wie Forscher herausgefunden haben, wächst die von den Käsereien seit Jahrzehnten ausschließlich eingesetzte weiße Variante von Penicillium camemberti immer schlechter und produziert zudem weniger Sporen.

Sollten sich die Sorgen der Fachleute bewahrheiten, werden wir vermutlich irgendwann über den letzten Camembert berichten. Die Kritiker der Mainstreammedien dürfen sich dann auf ganzer Linie bestätigt sehen – nach dem Motto: „Ich hab’s doch schon immer gewusst – die drucken auch noch den letzten Käse!“ Doch das lässt uns kalt, denn hier geht es um ein ernstes Thema – nämlich um die genetische Vielfalt, die auch außerhalb des Pilzreichs von unschätzbarer Bedeutung ist.

Das Problem der Camembert-Pilze: Sie hatten schon seit Ewigkeiten keinen Sex mehr. Stattdessen vermehren sie sich nur noch ungeschlechtlich über die bereits erwähnten Sporen. Damit fällt auch die genetische Lotterie aus, die bei jeder sexuellen Vereinigung neue Genkombinationen entstehen lässt – eine entscheidende Voraussetzung für die Anpassung an veränderliche Lebensbedingungen. Ohne ein Mindestmaß an genetischer Vielfalt droht deshalb nicht nur Pilzstämmen, sondern auch Tier- und Pflanzenarten der Niedergang.

Mangel an neuen Ideen

Hier tun sich Parallelen zwischen den alten weißen Pilzen auf dem Camembert und den alten weißen Männern auf, die nach wie vor viele Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Politik besetzen. Nein, wir wollen hier nicht auf die in vielen Fällen vermutlich ähnlich geringen sexuellen Aktivitäten beider Gruppen abheben, sondern auf einen anderen wichtigen Punkt: Während die alten Camembert-Pilze unter einem Mangel an neuen Genen leiden, fehlt es ihren menschlichen Pendants an frischen Ideen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Mit den Konzepten von vorgestern lässt sich die Zukunft schwerlich gestalten. Doch es gibt Hoffnung, denn schon aus biologischen Gründen werden die alten weißen Männer irgendwann die Bühne verlassen und jüngeren Menschen mit neuen Ideen Platz machen müssen.

Auch in der Käseproduktion könnte nach Ansicht der Forscher ein Generationswechsel für frischen Wind sorgen. Diskutiert werden etwa Kreuzungen der Camembert-Pilze mit anderen Pilzstämmen, um mehr Vielfalt in den Reifekellern zu erreichen. Gerüchten zufolge erwägt die EU in diesem Zusammenhang die verpflichtende Einstellung von Diversity-Managern, die in Käsereien für eine angemessene Repräsentation aller relevanten Pilzstämme sorgen sollen. Eine Bestätigung dafür gibt es nicht, aber die Käse-Lobby schürt sicherheitshalber jetzt schon die Angst vor einem „bürokratischen Monster“.

Neue Farben für den Camembert

Eine andere Möglichkeit wäre die Verwendung von anderen Pilzstämmen, die früher teilweise schon im Einsatz waren. Verbraucher müssten sich dann aber umgewöhnen. Denn diese Stämme bilden kein blütenweißes Pilzgeflecht, sondern ein leicht orange, gräulich oder grün gefärbtes. Gut möglich, dass diese bunten Pilze – man könnte sie auch Mushrooms of Color nennen – einmal als Retter des Camemberts in die Geschichte eingehen werden.

Aber vielleicht ist die Mühe am Ende ohnehin für die Katz. Denn immer mehr Menschen lassen Käse aus Milch links liegen und greifen zu veganen Ersatzprodukten. Früher regte sich die halbe Republik über sogenannten Analogkäse auf Fertigpizzen auf. Heute greifen Kunden freiwillig zu ganz ähnlichen Produkten, für die sie auch noch überhöhte Preise zahlen. Und die Entwicklung geht weiter. Unbestätigten Berichten zufolge arbeitet die Industrie längst am Digitalkäse. Bei dem gibt es nur noch zwei Geschmacksrichtungen: Null und Eins. Man sollte aber auch nicht jeden Käse glauben.