Obstbaumeister Jochen Heß an einem blühenden Aprikosenbaum im Fellbacher Lindle. Die Blüte hat in diesem Frühling rund drei Wochen früher begonnen. Foto: Gottfried Stoppel

Magnolien und Aprikosen stehen in Fellbach in voller Blüte, Osterglocken leuchten schon seit Wochen im Remstal. Experten sehen in dem verfrühten Start der Vegetation aber auch ein steigendes Risiko – nicht nur für Spätfröste.

Wer durch Fellbach oder Waiblingen spaziert, sieht Magnolien in voller Blüte stehen, die Osterglocken leuchten im Remstal schon seit Wochen. Auch die Forsythien mit den auffällig großen, gelben Blüten sind in einigen Gärten zu sehen. Es ist nicht nur ein Gefühl, dass dieser Frühling besonders früh dran ist.

Obstbaumeister Jochen Heß: „Die früheste Aprikosenblüte, die ich je erlebt habe“

Auch Fachleute bestätigen, was viele Laien empfinden. „Es ist in diesem Jahr die früheste Aprikosenblüte, die ich je erlebt habe“, sagt Jochen Heß. Der Obstbaumeister baut am Sonnenbühlhof im Fellbacher Lindle und an verschiedenen anderen Standorten im Remstal Sonderkulturen wie Aprikosen und Pfirsiche, aber auch Weintrauben und Äpfel an. Die 15 Aprikosensorten wachsen auf fünf verschiedenen Grundstücken in der Umgebung. „Vor drei Wochen haben die Aprikosen schon angefangen, zu blühen“, sagt Heß. „Jetzt stehen sie in Vollblüte, und bei manchen Bäumen sieht man schon eine abklingende Blüte.“

Auch die Tellerpfirsiche blühen, sie sind an den rosafarbenen Blüten zu erkennen, während die Aprikosen eine weiße Blüte auszeichnet, erklärt der Obstbaumeister. Die Spaziergänger im Lindle genießen den Duft und das Blütenmeer. So hat die Familie Heß in der Nähe der Aprikosenbäume ein großes Herz aus Weiden geflochten. „Hier machen einige ein Erinnerungsfoto“, sagt Jochen Heß. Wie bei einer Reise nach Mallorca zur Mandelblüte könne man sich da fühlen.

Auch der Stuttgarter Obstbauberater habe informiert, dass es in diesem Jahr außergewöhnlich früh mit der Blüte begonnen habe. Jochen Heß kann das an seinen Apfelbäumen beobachten: „Die frühen Sorten zeigen schon rote Knospen“, sagt er. Durch den vielen Regen und die Wärme habe das Wachstum einen kräftigen Schub erhalten. Allerdings heißt das nicht nur Gutes: Durch den frühen Frühling besteht eine besonders hohe Frostgefahr. „Eine Frostnacht reicht, um schwere Schäden anzurichten“, sagt der Experte. Eine Blüte könne unter Umständen leichten Frost von minus ein Grad noch wegstecken. Mit angesetzten Früchten seien die Bäume aber noch empfindlicher.

Experten des Deutschen Wetterdienstes bestätigen den frühen Vorfrühling

Ist es nur ein gefühlter früherer Frühling? „Es handelt sich hierbei nicht nur um ein Gefühl“, unterstreicht auch Marvin Manus vom Deutschen Wetterdienst, Abteilung Agrarmeteorologie. Wie man zum Beispiel an der phänologischen Uhr des Wetterdienstes sehen könne, „haben wir dieses Jahr einen stark verkürzten Winter und sowohl einen frühen Vorfrühling als auch einen verfrühten Erstfrühling“, so der Wetterexperte.

Der Eintritt einer solchen phänologischen Phase wird an bestimmten Zeigerarten und an ihren entwicklungsbiologischen Stadien festgemacht. Wenn zum Beispiel genug der Sofortmelder des Wetterdienstes die Haselblüte melden, sei dies ein klares Zeichen für den Eintritt in den Vorfrühling. Aus den Eintrittszeiten charakteristischer Vegetationsstadien kann das phänologische Jahr konstruiert und in einer phänologischen Uhr dargestellt werden. So markiert die Haselblüte den Vorfrühling. Im vieljährigen Mittel hat diese am 10. Februar begonnen, in diesem Jahr bereits am 26. Januar. Laut der Daten habe die Forsythienblüte bereits am 3. März eingesetzt, im langjährigen Mittel dagegen erst am 25. März.

Das Risiko von Spätfrostschäden hat sich verändert und teils verstärkt

Ist das eine Tendenz, die sich in den vergangenen Jahren abzeichnet, dass der Winter mild ist und der Frühling früher eintritt? „Es scheint sich langsam als Trend abzuzeichnen. So waren in den Jahren 2020, 2022 und 2023 ebenfalls deutlich frühere Eintrittszeitpunkte festzustellen. Nur 2021 hielt sich im langjährigen Mittel“, sagt Marvin Manus. Natürlich laufe die Entwicklung der Phänologie in Deutschland unterschiedlich voran. Die frühe Vegetation berge Risiken. „Es gibt weitreichende Probleme, die mit dem verfrühten Eintritt des Frühlings einhergehen“, erklärt der Wetterexperte.

Der Deutsche Wetterdienst hat meteorologische und phänologische Daten von 1961 bis 2020 ausgewertet. Das Ergebnis: Aufgrund der Verfrühung der Pflanzenentwicklung und des Rückgangs von Spätfrostereignissen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten das Risiko von Spätfrostschäden verändert. Die Wahrscheinlichkeit für Temperaturen unter minus zwei Grad im Zeitraum 1. April bis 15. Mai hat demnach insgesamt abgenommen. Lag die Wahrscheinlichkeit für Frost unter minus zwei Grad beispielsweise am 21. April im Zeitraum 1961 bis 1990 noch bei knapp 30 Prozent, betrug sie in den vergangenen 30 Jahren nur noch rund 20 Prozent. Allerdings hat sich laut der Daten beispielsweise der Beginn der Süßkirschenblüte inzwischen um rund neun Tage verfrüht. Damit ist die Wahrscheinlichkeit für ein Frostereignis nach Beginn der Süßkirschenblüte im Mittel über Deutschland von 19 auf 27 Prozent gestiegen. Bei Klimawandel und den Schadfrösten zeigten sich jedoch starke regionale Unterschiede.

Auch auf der Streuobstwiese birgt der frühe Frühling Risiken

Andreas Hieber vom Vorstand des Kreisverbands der Obst- und Gartenbauvereine Waiblingen und Inhaber einer Baumschule in Leutenbach kann das nur unterstreichen, dass in diesem Jahr die Vegetation besonders früh startet. Seine Zeigerpflanzen seien wilde Mirabellenbäume auf der Streuobstwiese. „Diese blühen auch etwa drei Wochen früher als sonst“, sagt er. „Je früher der Austrieb, desto länger ist noch die Zeit, in der es Frost geben kann“, macht der Experte für Streuobstbau deutlich. Seiner Beobachtung nach würden auch die Bäume keine richtige Winterruhe mehr machen. In einem kalten Winter zieht der Baum den Saft ganz zurück, um die Minusgrade besser durchzuhalten. Das sei durch die milden Winter nicht mehr der Fall, die Bäume würden dann auch sehr schnell wieder austreiben. Ein weiterer Punkt seien eingeschleppte Schädlinge wie die Kirschessigfliege. „Sie kann in den milden Wintern hier überleben und hat bei uns keine biologischen Gegenspieler“, so Hieber. Wie stark sich der Start der Blüte ändere, zeigt sich für ihn auch an seinen Lehrbüchern aus den 1980er Jahren. „Da beginnt die Magnolienblüte noch im April“, so Andreas Hieber. Und oft blühten inzwischen verschiedene Magnolienarten fast gleichzeitig, wie die Sternmagnolie und die Tulpenmagnolie. Durch die Spätfrostgefahren könnten Gegenden, wo die Vegetation später beginne, aufgrund der kühleren Lage eventuell künftig sogar einen Vorteil haben. „Die Vegetation kann sich nicht so schnell auf den Klimawandel umstellen“, so der Fachmann.

Die phänologische Uhr des Wetterdienstes: https://www.dwd.de/DE/leistungen/phaeno_uhr/phaenouhr.html