Erzieherin Nese Yesilok mit Julian, Florian und Malte (v. li.) Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Betrieb in den städtischen Kindertagesstätten läuft wieder normal. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Die Schlichtung im Kita-Tarifstreit ist abgelehnt, der nächste Streik droht. Unser Besuch zeigt, wie viel Spaß eine Erzieherin hat.

Stuttgart - Kurz vorm Mittagessen sitzen zehn Kinder auf Schemeln in einer Runde. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. „Mir hat gefallen, dass wir Experimente gemacht haben“, sagt der sechsjährige Julian. Es ist ein großes Kompliment an die Erzieherin Nese Yesilok (43), die sich den ganzen Vormittag mit dem neugierigen Jungen, seinem forschen Freund Florian und mit dem fünfjährigen Malte auf unterschiedlichste Art und Weise beschäftigt hat. Die städtische Kindertagesstätte in Steinhaldenfeld ist dafür gut gerüstet. Symbole und Bilder führen die 75 Kinder, die dort betreut werden, ins Atelier, in den Theatersaal oder den Forschungsraum.

Nese Yesilok ist schon seit 8 Uhr da. Bevor die Kinder nach und nach ins Haus kommen, nimmt sie sich Zeit für die Portfolios. Im Büro der zwölf Erzieherinnen und Erzieher stehen bunte Ordner, für jedes Kind einer. „Ich beschreibe darin, womit sich das Kind gerade beschäftigt und welche Entwicklung stattfindet“, erklärt die zierliche Frau, deren rabenschwarze Haarpracht von einem Band gezähmt wird.

Zweimal pro Woche notiert sie ihre Beobachtungen, skizziert Inhalte, klebt Bilder ein und kontrolliert mit dem Kollegium, welche Schritte auf dem Bildungsweg das Kind schon gemacht hat, wo es momentan steht und welcher Kollege oder welche Kollegin dafür die Verantwortung trägt. „Seit ich 1999 in den Beruf kam, haben Bildung und Betreuung wesentlich an Qualität gewonnen“, sagt Yesilok.Oder anders ausgedrückt: der Job ist noch anspruchsvoller geworden.

Es bleibt nicht lange ruhig im Haus, denn die Kinder treffen ein. Nese Yesilok muss die Kekse und das Teesortiment im Mitarbeiterraum links liegen lassen.

„Wollen wir experimentieren?“, fragt sie Julian, Florian und Malte. Keine Frage!

„Wollen wir heute mal Butter machen?“

„Jaaaa!“

„Was braucht man dazu?“

„Sahne“, ruft Florian.

Die Erzieherin gießt Sahne in ein leeres Gurkenglas, dreht den Verschluss gut zu und fragt: „Was muss man nun machen?“ Keine Antwort. Julian und Florian schütteln hüpfend das Gurkenglas. Nese Yesilok fordert sie auf, zu sprechen. „Was ist passiert?“ Malte sagt: „Es hat ganz viele Blasen.“ „Beim Schütteln trennt sich das Fett vom Wasser“, erklärt die Erzieherin. „Später können wir ein Stück Brot damit bestreichen.“

Darauf freuen sich die drei Kinder mindestens so sehr wie auf die nächste Aktion: Eine alte Musikkompaktanlage wird zerlegt. Als Julian und Florian versuchen, Plastikteile mit dem Schraubenzieher aufzuhebeln, geht Nese Yesilok dazwischen. „Es ist wichtig, nicht mit Gewalt zu arbeiten“, erklärt sie. „Schaut nach, wo ihr Schrauben aufdrehen könnt!“

Die Buben setzen das Werkzeug an, dann sind zwei Seitenwände gelöst. Jetzt beginnt ein Ziehen und Zerren, Florian will noch ein Teil lösen, sieht sich durch die beiden anderen aber daran gehindert. „Ihr müsst mir helfen“, fordert er sie auf. „Nein, nicht so!“

„Wir wissen ja nicht, wie!“, ruft Julian, und erntet lauten Protest von Florian. „Ihr müsst miteinander reden“, fordert Nese Yesilok, was dann tatsächlich klappt. Am Ende triumphieren Julian, Florian und Malte: Der Deckel ist auch ab, und es reift die Erkenntnis: „Da ist ja ganz wenig drin!“

Für Nese Yesilok hat der Vormittag ebenfalls Spaß gebracht. Sie sieht ihn aber auch aus einer weiteren Perspektive – aus der erzieherischen. „Für Florian würde ich heute zum Beispiel im Portfolio vermerken, dass er sehr engagiert war, gute Ideen hatte, wie die Kompaktanlage zu zerlegen sein könnte. Er hat mit den anderen Jungen diskutiert, er hat Teamarbeit eingefordert und Julian freundschaftlich einbezogen.“ Und er habe die Werkzeuge richtig benennen können.

Jetzt macht Nese Yesilok Pause; eine halbe Stunde am Tag steht ihr laut Tarifvertrag zu. „In der Zeit machen wir unser Essen warm oder bereiten ein Müsli zu. Und bis wir gegessen haben, ist die Zeit schon wieder um.“ Dabei ist sie nicht ungestört, immer wieder kommt eines der Kinder herein, erzählt was, fragt was, ist neugierig.

Die Zeit läuft, bald gibt es Mittagessen. Doch zuvor dürfen die Kinder in ihrer Hocker-Runde den Vormittag Revue passieren lassen.

„Emil soll neben mich!“, fordert Nathan lautstark. Nese Yesilok unterbricht ihn, sagt: „Ich möchte, dass du das als Wunsch formulierst.“ Und Nathan korrigiert sich: „Ich wünsche, dass du heute neben mir sitzt.“ Kurz darauf sind die Plätze gefunden, Streitigkeiten werden aufgearbeitet, die beiden Erzieher moderieren die Aussprache. Im Anschluss diskutiert die Runde, ob sich nur die Wolken am Himmel bewegen oder ob sich womöglich die Erde dreht. Tizian beendet die Diskussion: „Ich habe ein Space-Shuttle-Buch daheim. Dort schaue ich heute Abend nach, und morgen bring ich’s mit.“ Sagt’s, und verschränkt entschlossen die Arme.

Ein Abzählreim entscheidet, wer danach von seinen Erlebnissen erzählen darf. Julian hat Glück. Und er sagt: „Ich würde auch gern mal im Ernährungsbereich Butter machen.“ Worauf man dabei achten müsse, fragt die Erzieherin in die Runde. „Dass der Deckel richtig zu ist“, sagt Julian wie aus der Pistole geschossen.

In den Kitas rückt der nächste Streik näher. Der Grund dafür: Nach der Ablehnung des Schlichterspruchs im Tarifstreit durch die Gewerkschaften kündigten die Arbeitgeber bereits an, ihr Angebot für die bundesweit rund 240 000 Erzieher und Sozialarbeiter nicht verbessern zu wollen.

An diesem Donnerstag ist die nächste Verhandlungsrunde in Offenbach. Einigen sich die Parteien jedoch nicht, gibt es voraussichtlich in der zweiten Oktoberhälfte einen weiteren Ausstand der Beschäftigten. Das kündigte Verdi-Chef Frank Bsirske am Montag an. Es gebe aber keine einfachen Dauerstreiks wie im Frühsommer. „Ich glaube, wir werden den Eltern Gelegenheit geben können, sich auf veränderte Öffnungszeiten einzustellen“, sagte Bsirske. „Die Varianz der Öffnungszeiten“ könnte sich aber ändern.

Die Stadt Stuttgart hielt sich auf Anfrage zum abgelehnten Schlichterspruch und dem drohenden Streik bedeckt. „So lange nicht feststeht, dass tatsächlich erneut gestreikt wird, wird sich die Stadt nicht zu den Tarifverhandlungen äußern“, teilte eine Sprecherin der Stadt mit.