Begeisterndes Solo: Maximilian Schaible Foto: JES

Was macht es mit einem Kind, wenn die Mutter depressiv ist? „All das Schöne“ ist ein bewegendes Stück. Das JES Stuttgart macht daraus einen starken Theaterabend, der das Publikum einbindet.

Als der Vater ihn ausnahmsweise an der Schule abholt, ahnt der Junge schon, dass etwas passiert sein muss. Die Mutter liegt im Krankenhaus. Aber warum? Der Vater könnte es erklären, er könnte sagen: „Sie hat sich weh getan, weil sie traurig ist“ oder „Sie hat etwas Dummes gemacht.“ Er aber spricht nicht – und so legt sich über die Kindheit dieses Jungen bleiernes Schweigen und dauerhaft die Sorge: Auf den „ersten Versuch“ könnten weitere folgen.

Wie lebt es sich mit einer depressiven Mutter? Es ist alles andere als leichter Stoff, den der britische Autor Duncan Macmillan in „All das Schöne“ verhandelt und den das Junge Ensemble Stuttgart nun für Jugendliche in einer ungewöhnlichen Produktion auf die Bühne gebracht hat. Denn bei allem Witz ist ein bewegendes Stück herausgekommen, das so unmittelbar an unsere Lebenswirklichkeit anknüpft, dass man sich kaum entziehen kann. So, wie über der Kindheit des Jungen hängt auch über dem Theaterabend wie ein Damoklesschwert die Angst, ob die Mutter es wieder versuchen wird.

Die Depression wird weitergereicht

Monologe auf der Bühne sind meist etwas farblos. Hier aber liegt es nicht nur an der emotionalen Kraft des Textes, dass man sofort in Bann gezogen wird, sondern auch an Maximilian Schaible, der so unprätentiös und ohne falsches Pathos diesen Jungen spielt, der seine Kindheit vor allem damit verbringt, Argumente zu suchen, warum es sich lohnt, zu leben. Er beginnt, Listen zu schreiben und die Mutter förmlich zu bombardieren mit all dem Schönen, das es gibt: Zitroneneis, Wasserschlachten und Fernsehen, Vollmond, Musik, Liebe. Tausende Dinge kommen im Lauf der Jahre hinzu – und irgendwann wird klar, dass der inzwischen junge Mann mit dieser Liste längst nicht nur den Lebensmut der Mutter wecken will, sondern die eigenen Dämon vertreiben will, dass er womöglich wie sie werden könnte – oder vermutlich schon ist.

Das Publikum wird direkt eingebunden

Der Regisseur Frederic Lilje bindet das Publikum ganz unmittelbar ein. Ein kluger Kniff, um ein jugendliches Publikum bei der Stange zu halten. Die Zuschauer sind es, die all die schönen Dinge beisteuern oder auch kleine Rollen übernehmen, den Vater spielen oder die erste Freundin. Sie ist es, die dem jungen Mann letztlich hilft, dem Teufelskreis zu entrinnen und bewusst zu machen, dass es Wege aus der Düsternis gibt und Hoffnung, wenn man es eben nicht wie der Vater macht und Depression und Suizidgedanken verschweigt, sondern Hilfe sucht.

Weitere Vorstellungen 6. bis 8. Februar