Man muss es tragen können: John Lydon Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Nach wie vor ist er ein undressierter Griesgram, musikalisch klingt er mit seiner Band jedoch gereift: John Lydons Konzert mit P.i.L. im Stuttgarter Wizemann.

Zwei Jahre gehen noch ins Land, dann ist es sage und schreibe ein halbes Jahrhundert her, dass die Sex Pistols ihr erstes Konzert gaben. Der Rest ist Geschichte, beziehungsweise: war eine schnelle Geschichte. Denn so flott die britische Punkband ihren legendären Beitrag zur Musikhistorie ablieferte, so flugs war sie auch schon wieder auseinandergebrochen.

Fünf Dekaden ist’s in bald fünf Jahren allerdings auch schon wieder her, dass der Sänger der Sex Pistols seinen Künstlernamen Johnny Rotten ablegte und unter seinem Geburtsnamen John Lydon die Band P.i.L. gründete, der eine zwar wechselhafte, aber langlebige Existenz beschieden sein sollte.

Lang aufgeschobene Premiere

Und so kommt‘s, dass Johnny Rotten an diesem Freitag – nach einem lange zurückliegenden Gastspiel in Ludwigsburg – zum ersten Mal in der 45-jährigen Geschichte seiner Band nun in Stuttgart auf der Bühne steht; im zwar nicht gerammelt gefüllten, aber doch leidlich gut besuchten großen Saal des Wizemann. Seinen Irokesenbüschel hat er wie die Liebe zu ungewöhnlichen Outfits über die Jahrzehnte hinübergerettet, die Bretter betritt er in einem grotesken Aufzug, an dem seine vor einem knappen Jahr gestorbene einstige „Stilberaterin“ Vivienne Westwood ihre helle Freude gehabt hätte: knallrote Creepers und zwei Paar (!) signalorangene Hosenträger zu zerfetztem Oberhemd, Krawatte und Stresemannhose, darüber vor den mächtigen Leib eine Art Lätzchen gespannt.

Hier passt nichts zusammen, was man vornehm formuliert ja auch über die ebenso rasch wie die Mode wechselnden Geisteshaltungen des Johnny Rotten in den letzten Jahren sagen könnte. Mal ging er die britischen Sozialisten an, mal die Torys, mal favorisierte er die Liberalen, mal das Lager der Gewerkschaften, hier äußerte er Verständnis für den multikulturellen Antirassismus, dort für den Rechtsausleger Nigel Farrage, den Brexit oder Donald Trumps Wählerschaft. Im Wizemann hingegen hält er sich mit Aussagen allgemein bedeckt. Ein Transparent an der Rückwand des Saals weist mit einer deutlichen Message darauf hin, dass Lydon immer noch sehr mit dem seiner Ansicht nach grotesk missglückten Sex-Pistols-Biopic „Pistol“, hadert, das der „Trainspotting“-Regisseur Danny Boyle im vergangene Jahr für Disney inszenierte, bemerkenswert ist ohnehin sein offenbar auch nach fünfzig Jahren nicht zu bändigender Hass auf jene Band, der er doch seinen Ruhm verdankt; ansonsten zeigt sich John Lydon von seiner gewohnt schrullig-griesgrämigen Art, ohne jedoch sonderlich ausfallend zu werden oder ausufernde Tiraden vom Stapel zu lassen.

Grober Klotz, feine Musik

Viel passt hingegen verblüffenderweise bei der Musik zusammen. Nach einem etwas monoton-repetitiven Auftakt in den ersten Nummern groovt sich das Trio hinter Lydon in einen immer treibenderen Sound hinein, der wenig mit dem P.i.L. angehefteten Etikett „Post-Punk“ und viel mehr mit einem sprudelnden Alternative-Dancebeat gemein hat, als man erwartet hätte. Schön und teils ungewöhnlich instrumentiert ist das mit Robert „Lu“ Edmonds‘ elektrifizierter türkischer Saz-Laute oder Scott Firth‘ Standbass, schlüssige künstlerische Wege schlägt das mit dem Schlagzeuger Bruce Smith komplettierte Trio an den Instrumenten besonders zum Ende des regulären Sets an, in den drei letzten, allesamt schon gut angejahrten aber keinesfalls angegrauten Songs „The Body“, „Warrior“ und Shoom“. Den größten Hit seiner Band, „This is not a Love Song“, bringt Lydon dezent gleich als viertes Stück des Abends unter, den zweitgrößten gibt’s als letztes Stück der kleinen Zugabe eines Konzertabends, der musikalisch wie auch in seiner Zusammenstellung sehr gut zu gefallen weiß.

John Lydon schließlich ist immer noch der (buchstäblich auch auf der Bühne des Wizemann) undressiert rotzende Krakeeler, der er mal als Johnny Rotten war. Sonderlich altersmilde ist der nun 67-Jährige mit seinem Organ auch nicht geworden, sein bellender Shouter-Semisprechgesang steht immer noch ein wenig schräg zur Musik. Seine Performance lebt eher von der körperlichen Präsenz als armrudernder Vorsteher, und der Gesamteindruck der Band P.i.L. natürlich von dem Mythos, das diesen Mann umweht – allein schon angesichts des essenziellen Beitrags, den er mit den Sex Pistols zur Geschichte der Popmusik geleistet hat.

Und doch meint man, ihm auf der Bühne immer wieder auch anzumerken, dass er hier weder zum Broterwerb noch zur Selbstvergewisserung steht (beides hat er ohnehin sicher nicht mehr nötig), sondern in erster Linie aus Liebe zur Musik. Ein feines Äderchen für die Feinheiten der Künste scheint in dem sich so nassforsch und grobschlächtig gebenden Mann doch zu pulsieren. Die Aufopferung, mit der er in den vergangenen Jahren seine kranke Frau bis zu ihrem Tode pflegte, könnte ihr übriges beigetragen haben. Johnny Rotten mag also nicht altersmilde geworden sein, ein bisschen altersweise aber vielleicht schon. Ein waschechter Punk ist er allerdings auch nach fünfzig Jahren geblieben.