Triathlet Sebastian Kienle bei Tests im Windkanal von Mercedes in Untertürkheim Foto: Daimler AG Pressefoto

2014 war ein erfolgreiches Jahr für Sebastian Kienle – er wurde Weltmeister auf Hawaii. Den Titel will der Triathlet aus Mühlacker verteidigen und geht dafür in den Windkanal nach Stuttgart.

Stuttgart - Gegenwind mit 45 km/h bläst Sebastian Kienle ins Gesicht. Der Triathlet sitzt auf seinem Hightech-Fahrrad und tritt ordentlich in die Pedale – doch er kommt keinen Zentimeter voran und ständig zieht weißer Qualm an seinem Gesicht vorbei. Die Atmosphäre erinnert an Science Fiction, an einen Menschen im Zeittunnel kurz vor dem Zeitsprung. Sebastian Kienle ist tatsächlich in einem Tunnel, in einem Windtunnel, und was er da tut, könnte man im weitesten Sinn als Training beschreiben. „Der Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers sind Grenzen gesetzt“, sagt der Mann aus Mühlacker, „deshalb muss man schauen, wo man sich sonst einen erlaubten Wettbewerbsvorteil verschaffen kann.“

Der amtierende Ironman-Europa- und Weltmeister sieht diese Chance in der Wissenschaft, und um genau zu sein: Im Windkanal von Mercedes-Benz in Untertürkheim. Dort setzt sich Sebastian Kienle auf sein Fahrrad, das auf Rollen steht, und fährt gegen den Wind – dabei trägt er Trikots aus verschiedenen Materialien und in verschiedenen Schnitten.

Ingenieure sitzen im Kontrollraum vor ihren Computern und erfassen über zehn Messpunkte eine Unmenge von Daten. Das Ergebnis: Mit Trikot eins musste Kienle eine Tretleistung von 325 Watt aufbringen, mit Trikot zwei sind es elf Watt weniger. Für den Dienstagnachmittag sind weitere Tests vorgesehen. „Es ist nicht so, dass man sich einfach für den Stoff entscheidet, der weniger Luftwiderstand bietet“, betont der 30-Jährige, „ich muss mich auch darin für 180 Kilometer auf dem Rad wohlfühlen.“ Das ist längst nicht alles. Weil der Triathlon-Profi im Raddress nicht Schwimmen und Laufen kann, muss der Zeitgewinn beim Radfahren mit dem Zeitverlust des zweimaligen Umziehens gegengerechnet werden.

Im Windkanal wird zudem mithilfe weißen Rauchs die aerodynamisch günstigste Sitzposition auf dem Rad ermittelt, auch dabei ist die windschnittigste nicht die beste. Kienle muss sie mehrere Stunden einnehmen können, ohne zu verkrampfen. „Wenn man so noch ein paar Watt Kraftersparnis herauskitzeln kann, ist das sehr hilfreich“, sagt er.

Rasierte Arme machen schneller

Früher hat Sebastian Kienle selbst experimentiert, hat herausgefunden, dass rasierte Arme einen schneller machen. Doch irgendwann war er, obwohl er einige Semester Physik studiert hat, mit seinem Wissen am Ende – und sehr dankbar, dass Mercedes-Benz ihn unterstützt. „Wir sind seit zwei Jahren Sponsor der Ironman-Tour, daher lag es nach Kienles Erfolg auf Hawaii sehr nahe, diese Partnerschaft einzugehen“, sagt Nicolai Berger, Leiter Marketing-Kommunikation bei Mercedes Vans, „zudem stammt er aus der Region.“ Das Sponsoring beschert dem Triathleten einen Mercedes-Van und Windkanal-Stunden, für die Firmenfremde 1500 Euro für 60 Minuten hinlegen müssen, sowie die wissenschaftliche Begleitung.

Dieses Know-How ausschöpfen zu können, ist dem Weltmeister besonders wichtig – denn er weiß: Es ist schwieriger, sich an der Spitze zu behaupten, als an die Spitze zu kommen. „Ich begreife nun, was das bedeutet“, sagt er. Wo er in diesem Jahr auch startet, der aktuelle Hawaii-Sieger geht als Favorit ins Rennen, er wird von allen gejagt werden – und er selbst setzt die Erwartungen an seine Leistung ebenfalls hoch.

„Ich muss die Balance hinbekommen, einerseits meine Leistung auf höchstem Niveau zu halten“, sagt Sebastian Kienle, „andererseits muss ich meine Erfolge entsprechend vermarkten, was zusätzliche Aufgaben mit sich bringt. Ich muss ein Zeitproblem managen.“ Am 19. April gibt er in Cannes sein Saisondebüt geben, oberstes Saisonziel ist die Titelverteidigung auf Hawaii am 10. Oktober.

Bis Herbst wird sich der Ausdauer-Champion noch ein paar Mal im Windkanal den Rauch um die Nase wehen lassen, er will an einigen Details feilen. Was genau, verrät Sebastian Kienle nicht. „Die Konkurrenz hat gemerkt, dass ich diesen Know-How-Vorteil habe – und den will ich behaupten.“