Bodo Ramelow ist der einzige Ministerpräsident der Linkspartei. Foto: dpa

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) hat mit Blick auf die Wahlen in Sachsen und Brandenburg den Umgang mit der AfD kritisiert. Eine Minderheitsregierung nach der Wahl am 27. Oktober in Thüringen sei für ihn kein Schreckgespenst.

Berlin - Bald muss sich Bodo Ramelow, der erste und bislang einzige deutsche Ministerpräsident der Linkspartei, in Thüringen zur Wiederwahl stellen. Der 63-Jährige sieht der Abstimmung nach eigenen Worten gelassen entgegen – auch weil die AfD aus seiner Sicht für den Osten kein Konzept zu bieten hat.

Herr Ramelow, die AfD hat bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg massiv hinzugewonnen. Warum?

Die AfD bietet nichts außer Empörung. Der Kitt, der die AfD zusammenhält, ist Empörung. Empörung über Frau Merkel, Empörung über das System, Empörung über die Altparteien. Es ist mir in dem Zusammenhang allerdings zu wenig, wenn die Antwort der anderen Parteien, auch meiner, im Wesentlichen darin besteht, ihrerseits empört zu sein, dass die AfD so einen Zulauf hat. Es wird viel zu viel über die AfD geredet und zu wenig über die Demokratie. Immer wieder liest man: Der Osten ist braun. Der Osten, das sind Nazis. Der Osten ist traurig und alles geht schief. Über die Leistungen der neuen Länder und der hier lebenden Menschen hingegen wird kaum gesprochen.

Immerhin hat die AfD viele Nichtwähler mobilisiert und die Wahlbeteiligung in die Höhe getrieben. Mit diesen Federn kann sich die Partei doch schmücken?

Stimmt. Sie hat dafür gesorgt, dass die Polarisierung stärker geworden ist, sie hat dafür gesorgt, dass Wähler mobilisiert wurden. Da kann ich mich nicht hinterher über das Wahlverhalten beschweren. Ich habe auch keine Lust, Wähler-Beschimpfung zu betreiben. Die Wähler haben ein Recht darauf, sich genauso auszudrücken, wie sie das möchten.

Die AfD präsentiert sich im Osten gerne als Ost-Partei, also das, was Ihre Partei, die Linke, lange hervorgehoben hat. Ist sie das?

Eine Partei, die wie die AfD auf die europäischen Fördergelder für den Osten verzichten möchte, hat überhaupt keine Ostkompetenz. Wenn wir die europäischen Fördergelder verlieren würden, hätten wir ein richtig großes Problem. Das würden die Menschen merken. Etwa, wenn der Dorfplatz nicht mehr gepflastert wird, weil die Mittel des Europäischen Sozialfonds oder des Fonds für regionale Entwicklung nicht mehr abrufbar wären.

Thüringen stehen die Wahlen noch bevor. Welche Lehren ziehen Sie denn als Ministerpräsident aus den Wahlen in Sachsen und Brandenburg?

Ich mache meine Arbeit. Und ich erzähle und zeige den Menschen, wie diese Arbeit wirkt. Diesem Grundsatz folge ich seit Beginn meiner Amtszeit. Deswegen verfalle ich nicht in Hektik, nur weil Wahlen anstehen oder weil gerade Wahlen waren. Die Arbeit, die geleistet werden muss, wird getan. Maßgeblich sind dabei nicht parteipolitische oder ideologische Gesichtspunkte, sondern einzig der praktische Mehrwert für das Land und die hier lebenden Menschen.

Sie führen eine Dreierkoalition aus Linke, SPD und Grünen. In Sachsen und Brandenburg müssen nun ebenfalls Dreierbündnisse gebildet werden. Was würden Sie den Ministerpräsidenten Dietmar Woidke und Michael Kretschmer dazu raten?

Ich würde darauf hinweisen, dass die Dreierkoalition ein von mir angestrebtes Modell war. Das war kein Betriebsunfall. Ich habe über Jahre hinweg an der Entstehung der Dreierkoalition gearbeitet, weil ich zutiefst überzeugt war, dass wir eine andere politische Kultur in Thüringen brauchen. Die Zeit, in der eine große und eine kleine Partei die Regierung bilden, ist vorbei. Die großen haben sich selber kleingemacht, die kleinen sind vielfältig geworden, dieser Prozess war vorhersehbar und er bedurfte überzeugender neuer Antworten. Ich freue mich, dass uns das in Thüringen gelungen ist.

Und was würden Sie den beiden Ministerpräsidentenkollegen in Sachsen und Brandenburg sagen, die nicht zehn Jahre an einer Koalitionsvision gearbeitet haben?

Dass es einen großen Unterschied zu früher gibt. Wir brauchen eine neue und andere Form des Umgangs miteinander. Der Kollege in Schleswig-Holstein, Daniel Günther, hat eine scheinbar unverträgliche Koalition aus CDU, FDP und Grüne gebildet. Aber er hat den Bogen raus. Günther lässt allen drei Partnern die Nase im Gesicht. Und das ist auch mein Credo. Ich bin Ministerpräsident für ganz Thüringen und ich leite ein Kabinett, das von drei Parteien getragen wird, also achte ich darauf, dass keine Partei bevorzugt oder benachteiligt wird. Wir reden immer nur über den Inhalt.

Auch Minderheitsregierungen werden künftig wahrscheinlicher. Viele fürchten so eine Situation. Ist das begründet?

Das ist eine deutsche Phobie, die mich schon seit dreißig Jahren wundert. In den nordischen Ländern sind Minderheitsregierungen normal. Hier in Deutschland gilt es als Anomalie. Ich hätte mir gewünscht, Angela Merkel hätte nach der Bundestagswahl und dem Scheitern von Jamaika eine Minderheitsregierung angeführt. Weil ich der Meinung bin, dass das Land stabil genug dafür ist.

Ist Thüringen auch stabil genug für jeden denkbaren Fall, der nach den Landtagswahlen am 27. Oktober eintreten könnte?

Wie gesagt: Minderheitsregierungen sind für mich kein Schreckgespenst. Ich strebe sie aber auch nicht an. Ich kämpfe erneut und mit ganzer Kraft für Rot-Rot-Grün.

Im Vorfeld der ostdeutschen Landtagswahlen ist das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland wieder in den Fokus gerückt. Wann ist die Teilung überwunden?

Wenn im öffentliche Bewusstsein die Erkenntnis verankert ist, dass beide, der Westen und der Osten, in relevantem Maße zum wirtschaftlichen und politischen Gedeihen des Gemeinwesens beitragen. Da liegt noch ein Weg vor uns. Von 500 Deutschland dominierenden Konzernen haben 462 ihren Sitz im Westen. Die Stuttgarter Abrechnung von Daimler ist auch deshalb so gut, weil sie so kostengünstige Teile aus dem Osten kriegen. Und dann betrachtet man uns aus der Stuttgarter Sicht ein bisschen so wie den Fernen Osten. Oder man kann es auch böse sagen: An manchen Stellen ist es so, als wenn wir die Kolonie wären. Diese Sichtweise muss sich ändern, wir sollten Anerkennung füreinander entwickeln.

Nun ist es ja nicht möglich, einen Konzern dazu zu zwingen, seinen Sitz zu verlegen.

Es sind neue große Unternehmen entstanden, die auch in Thüringen Steuern zahlen. Die Jenoptik AG, die Carl Zeiss Meditec AG und N3, eine Tochtergesellschaft von Lufthansa und Rolls-Royce. Das sind aber Ausnahmen. Alles andere sind kleine und mittelständische Betriebe. Da wiederum sind wir führend. Auf 1000 Einwohner liegt Thüringen auf Platz 1, was die Häufigkeit solcher Betriebe betrifft. Aufgabe der Landespolitik ist, diese Betriebe gut zu begleiten, damit sie stärker werden.