Vanessa Kirby als Joséphine, Joaquin Phoenix als Napoleon. Foto: dpa/Aidan Monaghan

Im Historienfilm „Napoleon“ hält sich Ridley Scott nicht mit Feinheiten der komplexen Biografie des französischen Kaisers auf.

Irgendwo in Ägypten, um 1798: Skeptisch mustert Napoleon Bonaparte (Joaquin Phoenix) das staubige Antlitz des vor ihm aufgerichteten Pharaos, der mit geschlossenen Augen in seinem Sarg dem fremden Eroberer zu trotzen scheint. Napoleon rückt ein Schemelchen an die ihn überragende Mumie heran, stellt sich darauf und rümpft grimmig die Nase. Doch gerade, als Napoleon den stummen Herrscher an der Wange berühren will, kippt der wie im Ekel leicht zur Seite.

Eine lustige Gehässigkeit haben sich der Filmemacher Ridley Scott und sein Drehbuchautor David Scarpa da einfallen lassen. Es ist nicht die einzige im über zweieinhalbstündigen Historienepos „Napoleon“, das allenfalls schlaglichtartig vom Aufstieg und Fall des Feldherrn und Kaisers erzählt. Mehr als die nötigsten Eckpunkte bekommt man selbst in dieser üppigen Laufzeit auch kaum unter. Zu komplex sind die politischen Bedingungen und Hintergründe der Wirkungszeit Napoleons, als dass man sie einigermaßen korrekt in einen einzigen Film quetschen könnte.

Alles beginnt mit Marie-Antoinettes Enthauptung

Scott und Scarpa scheren sich nicht um Kindheit und Jugend des Korsen als Abkömmling einer Familie des niederen Adels. Scott steigt mit der französischen Terreur in die Geschichte ein, zeigt, wie Marie Antoinette 1793 ihr Haupt auf dem Schafott verliert, schon beim Anschauen kitzelt es fies im Nacken. Untermalt wird die makabre Szene von einem kämpferischen Chanson von Edith Piaf. Napoleon gehört zu dieser Zeit den Jakobinern an, die vom Tugendterroristen Robespierre (Sam Troughton) aufgepeitscht werden. Im Film bekommt der gewiefte Demagoge bloß ein paar mickrige Sentenzen, bevor er selbst dem Mob zum Opfer fällt.

Wie und warum Napoleon danach der Aufstieg gelingt, können Scott und Scarpa nicht plausibel darstellen. Viel wichtiger werten sie Napoleons Begegnung mit der verwitweten Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby) als dessen Geliebter, Gattin und Kaiserin. Mit sichtlichem Vergnügen an schlüpfrigen Details inszeniert Scott das royale Sexualleben mit Napoleon als wild rammelndem Karnickel, während die schnell frustrierte Joséphine ihm Hörner aufsetzt. Scotts Fokus auf Napoleons Bett und Schlachtfelder ist nachvollziehbar, weil sich die ausufernde Historie so wenigstens dramaturgisch schlüssig gliedern lässt.

Ein sympathisch linkischer Kriegshandwerker

Authentisch wirkt die Atmosphäre, die der Regisseur in prächtig ausgestatteten Tableaus beschreibt. Umso hemdsärmeliger schrubbt die anekdotische Aneinanderreihung über politische Zusammenhänge hinweg. Den verheerenden Russlandfeldzug handelt der Film in wenigen Einstellungen ab, den intelligenten Vordenker der Moderne und skrupellosen Machtmenschen verharmlosen Scott und Scarpa als sympathisch linkischen Kriegshandwerker. Den allerdings gibt Joaquin Phoenix überzeugend mit Humor als freundliche Karikatur.

„Napoleon“ ist garantiert kein seriöses Historiendrama, dafür aber eine oft dreist-witzige und trotz der gigantischen Laufzeit kurzweilige Kostümparty.

Napoleon. USA, GB 2023. Regie: Ridley Scott. Mit Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby. 158 Minuten. Ab 12 Jahren.