An seinem 17. Geburtstag im Jahr 1939 marschierte die deutsche Armee in Leopold Paul Rosenkranz’ Heimatstadt Radom ein. Foto: Leonie Hemminger

Der gebürtige Pole Leopold Paul Rosenkranz hat das Konzentrationslager in Auschwitz überlebt.

Weilimdorf - Leopold Paul Rosenkranz kam mit dem Namen Leibisch Pejssach zur Welt. „Das kommt von Löwe“, sagt der gebürtige Pole, der als junger Mann nicht überlebt hätte, wenn er nicht gekämpft hätte. Der Blick seiner strahlend blauen Augen ist klar und durchdringend, doch seine Erinnerungen beginnen langsam zu verblassen. Wann er genau nach Weilimdorf in die Nähe des Lindenbachsees gezogen ist, daran kann er sich nicht mehr erinnern. Es muss sehr lange Zeit her sein. Eines weiß der 90-Jährige aber genau: „Ich habe viel Schlimmes erlebt“, sagt er ruhig und ohne Groll.

Am 10. September 1922 wird Leopold Paul Rosenkranz in Radom, eine Stadt 100 Kilometer südlich von Warschau, als Sohn eines Rabbiners geboren. Er macht sein Abitur und möchte eines Tages Arzt werden. An seinem 17. Geburtstag im Jahr 1939 marschiert die deutsche Armee nach Radom ein. Zwei Jahre später richten die Deutschen dort ein Ghetto ein. Als das Lager 1944 aufgelöst wird, werden viele der Bewohner erschossen oder in Konzentrationslager gebracht. Rosenkranz’ komplette Familie, rund 30 Verwandte, wird umgebracht. „Meine Mutter und meine Schwester habe ich noch einmal gesehen, als sie weggeführt wurden“, sagt Rosenkranz. Nur sein dreijähriger Neffe bleibt am Leben. Der junge Mann nimmt das Kind zu sich. Wenn er zum Appell muss, versteckt er den Jungen in einer selbst gebauten Kiste oder auf einem Baum.

Transport nach Auschwitz

Als er das Lager räumen muss, weigert sich Rosenkranz, das Kind abzugeben, und marschiert zwei Tage lang mit ihm auf den Schultern ohne Essen und Trinken 40 Kilometer weit. Schließlich wird er zusammen mit seinem Neffen nach Auschwitz ins Konzentrationslager deportiert. „Ich sehe noch den KZ’ler vor mir, der mir den Jungen weggenommen hat. Er hat gesagt: ,Du bist noch jung, du wirst arbeiten müssen, bis du stirbst.‘“ Es ist der Tag, an dem Leopold Paul Rosenkranz sich schwört, den ersten Deutschen umzubringen, der ihm über den Weg läuft, sollte er je das Lager überleben.

Rosenkranz überlebt. Am 7. April 1945 befreien die Franzosen das Konzentrationslager Vaihingen/Enz, in das der 22-jährige Jude inzwischen verlegt wurde. Es dauert nicht lange, bis er dem ersten Deutschen begegnet. Es ist ein weinender Junge, der seine Mutter verloren hat. Rosenkranz nimmt ihn auf den Arm und hilft ihm bei der Suche. Wenig später sieht er eine alte Frau mit einem schweren Koffer. Der befreite Gefangene trägt ihn ihr zum Bahnhof. „Das war meine Rache“, sagt der Weilimdorfer und lächelt.

Bleiben statt fliehen

Statt Deutschland zu verlassen, heiratet er eine deutsche Christin, die zum Judentum konvertiert, und wird Vater von vier Kindern. Polen besucht er nur noch ein einziges Mal, um Bekannten zu zeigen, wo er früher einmal gewohnt hat. Er studiert in München, Tübingen und Stuttgart Philosophie, Psychologie, Kunstgeschichte und Geschichtswissenschaft, macht eine Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker. 1975 erlangt er das Diplom als Heilpädagoge. Später arbeitet Rosenkranz in einem geisteswissenschaftlichen Fachbuchverlag. Nebenbei lehrt er 38 Jahre lang an der Universität Tübingen jüdische Sprache und Literatur. Erst im April dieses Jahres beendet er den Lehrauftrag. „Mit 90 sollte man aufhören“, sagt der Witwer bedauernd.

Ist es ihm je schwer gefallen, in Deutschland, dem Land seiner Peiniger, zu leben? „Nein“, sagt Rosenkranz und schüttelt den Kopf. „Ich lebe hier unter Deutschen, ich habe nur Deutsche unterrichtet – da kann man doch nicht feindlich sein. Ich wurde immer gemocht.“ Im KZ habe er schlechte Gedanken gehabt, „aber als das vorbei war, habe ich diese Gedanken verloren.“ In dem Land, wo man lebe, habe man sich schließlich auch zu benehmen. Das Erlebte sei eine Bürde, die man ertragen müsse. „Genau wie jemand, der einen Buckel hat – er kann ihn auch nicht abschneiden. Er muss ihn tragen“, sagt Rosenkranz.

Für ein Miteinander der Religionen

Im März dieses Jahres hat Oberbürgermeister Fritz Kuhn ihm den Otto-Hirsch-Preis verliehen. Die Auszeichnung bekommen Personen, die sich um die christlich-jüdische Zusammenarbeit verdient gemacht haben. Rosenkranz engagierte sich seit 1977 bei der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg und trug dazu bei, Vorurteile gegenüber dem Judentum abzubauen, indem er nicht-jüdische Besucher durch die Synagoge führte. Er sprach mit Schülern über den Holocaust und hielt Vorträge an Volkshochschulen. „Ein Miteinander der Religionen ist doch möglich“, ist er sich sicher. Er wünsche sich mehr Verständnis zwischen den Religionen. Wenn nur der eigene Glaube für richtig gehalten werde, berge dies immer Feindschaft. Er selbst habe Respekt für jede Glaubensrichtung. „Es ist mir fremd, andere Religionen anzufeinden“, sagt Rosenkranz. „Gott ist für alle da. Die Religionen machen die Menschen.“