Ein Stück Preußen in Schwaben: Die Burg Hohenzollern bei Hechingen Foto: Haus Hohenzollern

Hohenzollern war fast hundert Jahre preußisch, um das zu bemerken, muss man enau hinschauen.

Hechingen - Doch, doch, er war ein paar Mal hier. Als junger Kronprinz hat Friedrich II. mitunter seine schwäbischen Verwandten besucht. Die Geschichtsbücher halten das aber nur deshalb fest, weil der sensible Jüngling die Gelegenheit nutzen und sich nach Frankreich absetzen wollte. Weit weg vom grimmigen Vater in Berlin. Was daraus wurde, ist bekannt: Sein Freund, der die Sache eingefädelt hatte, endete auf dem Schafott.

Genau genommen hielt sich Friedrich der Große, dessen Geburtstag sich am 24. Januar zum 300. Mal jährt, sogar viel länger im deutschen Südwesten auf: fast 40 Jahre. Die meiste Zeit allerdings in einem Zinksarg auf der Burg Hohenzollern bei Hechingen. Dort hatte die Familie seine sterblichen Überreste 1952 nach einer kriegsbedingten Odyssee zwischengelagert.

Einbalsamiert und mit einem blauen Waffenrock bekleidet liege er im Sarkophag, berichtete damals ein Hechinger Klempner, der den beschädigten Deckel zulöten sollte - und natürlich zuvor reinspickte. Dabei wollte der König doch ausdrücklich nicht mumifiziert werden. Immerhin brachte man ihn 1991 dorthin zurück, wo er begraben sein wollte: nach Potsdam in die Gruft von Schloss Sanssouci.

Geschickte Diplomatie und weiblicher Fürsprache

Als er bei Kaiserwetter und zu den Klängen der Hechinger Stadtkapelle in den Sonderzug geladen wurde, ging ein weiteres Kapitel preußischer Geschichte im Südwesten zu Ende. Oder sagen wir: ein Kapitelchen, denn die sogenannten Hohenzollernsche Lande, die von 1850 bis 1945 preußisch waren, sind in den Annalen der Großmacht nur eine Randnotiz. Dennoch hat Preußen hier Spuren hinterlassen. Und zwar mehr als das alte Grenzschild, das beim Ausflug auf die Zollernburg ins Auge fällt.

Eigentlich hätte es dieses zerrupfte Staatsgebilde ja gar nicht geben dürfen. Schon als Napoleon Anfang des 19. Jahrhunderts die europäische Landkarte nach seiner Fasson zeichnete, standen die beiden Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen auf der Kippe. Der Franzosenkaiser hatte schon weit größere Territorien ausradiert.

Der württembergische König von Napoleons Gnaden blickte denn auch mit wachsendem Appetit auf die beiden kleinen Ländchen mitten im eigenen Territorium. Doch dank geschickter Diplomatie und weiblicher Fürsprache in Paris blieben die beiden Fürsten ihre eigenen Herren.

Als Napoleons Stern dann sank und der von Preußen aufging, stach wiederum die Verwandtschaftskarte der Hohenzollern. Das Adelsgeschlecht hatte sich zwar schon im Mittelalter in eine süd- und eine norddeutsche Linie geteilt, doch im Ernstfall besannen sich die Brandenburger auf ihre schwäbischen Wurzeln.

Beide Fürsten schlüpften unter das Berliner Dach

Ein Vergnügen war es allerdings nicht, zu jener Zeit in Gammertingen, Haigerloch oder Sigmaringen zu leben. Das Land war rückständig, arm - und alles andere als sexy. Das war wohl der Hauptgrund, dass die beiden Fürsten unter dem Eindruck der Revolution 1848 resignierten und unter das Berliner Dach schlüpften. So wurden die Hohenzollernsche Lande ab 1850 ein eigener preußischer Regierungsbezirk.

"In Christo Geliebte", soll ein Ortsgeistlicher damals seine Sonntagspredigt begonnen haben, "ich werde heute zu Euch sprechen: Erstens darüber, wie sehr wir uns freuen sollen, dass wir preußisch geworden sind, und zweitens darüber, wie wir dies um unserer Sünden willen auch nicht besser verdient haben!"

Das klingt nach Zwangspreußentum, und die Untertanen wurden ja in der Tat nie gefragt. Doch so einfach war das Verhältnis von Preußen und Hohenzollern nicht, auch wenn die Württemberger das immer gern so hingedreht haben. Denn die effizienten Beamten aus der fernen Großstadt machten aus dem rückständigen Provinzflecken binnen weniger Jahrzehnte ein fortschrittliches und vor allem schuldenfreies Gebiet.

"Allmähliche Überleitung in das preußische Wesen"

Natürlich lief das nicht immer reibungslos ab. Und noch heute kursieren Anekdoten darüber, wie zackig-schneidige Berliner mit behäbig-sturköpfigen Älblern zusammenrasselten.

Außerdem war man im Süden streng katholisch und nahm die politischen Losungen traditionell von der Kanzel entgegen - was den hohen Herren im protestantischen Berlin den Blutdruck in die Höhe trieb.

"Die Widersprüche sind schwer zu verstehen", sagt einer, der es wissen muss: Casimir Bumiller hat sich nicht nur als Historiker eingehend mit der Geschichte des Landes befasst, sondern die Ambivalenz des preußischen Schwabentums auch in der eigenen Familie erfahren. Er stammt nämlich aus Jungingen, einem kleinen Ort im heutigen Zollernalbkreis. Dort hatte sein Vater, den er als freisinnigen, liberalen Menschen bezeichnet, eine Gastwirtschaft. "Die Erfahrungen als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg haben aus ihm einen Kommunisten gemacht", sagt Bumiller. "Trotzdem hat er immer Wert darauf gelegt, dass in der Jukebox seiner Wirtschaft der Preußische Exerziermarsch gespielt wurde."

Friderizianische Gesinnung auf der Alb? Mit der Zeit arrangierten sich die Menschen jedenfalls mit der neuen Obrigkeit. Zumal die Lehrer und Verwaltungsbeamten weniger von der Spree als von der preußischen Rheinprovinz stammten.

"Die standen den Älblern in der Mentalität näher", sagt Bumiller. Ihre Aufgabe: eine "allmähliche Überleitung in das preußische Wesen" zu erreichen. Teilweise ist das auch gelungen.

"Ja wellet denn Ihr au preußisch werde?"

Als dann ab 1850 auch noch der Stammsitz der Hohenzollern bei Hechingen in ein neugotisches Märchenschloss umgebaut wurde, das von der Herrlichkeit des Geschlechts "vom Fels zum Meer" künden sollte, keimte mitten im deutschen Südwesten so etwas wie preußischer Stolz.

Dazu wird gern die Geschichte vom Hechinger Lindenwirt erzählt, der einem vorübergehenden württembergischen Soldaten auf dessen leutselige Anrede "Grüß Gott, Landsmann" geantwortet haben soll: "So, so, Landsmann! Ja wellet denn Ihr au preußisch werde?"

Hohenzollerische Bewusstsein nur noch im historischen Reservat

Notwendig war nun natürlich auch eine eigene Hymne. "Oh Heimatland, wie ist mein Herz an dich gebannt, an Hohenzollerns steilen Felsen, wo unverzagt die Eintracht ruht", heißt es darin. Casimir Bumiller hat anlässlich seiner Vortragsreisen noch bis vor einigen Jahren erlebt, wie man das Lied in traditionsbewussten Gemeinden anstimmte und sich dabei gravitätisch erhob. Ob aus hohenzollerischer Gesinnung oder eher aus preußischer, lässt sich schwer beurteilen.

Außer ein bisschen Folklore hat sich davon allerdings nichts erhalten. "Schon den jüngeren Bürgermeistern muss ich erklären, wie die Zusammenhänge sind", sagt Bumiller. Natürlich kennt man in Sigmaringen den Fürsten Karl Friedrich, den Chef der schwäbischen Linie, und er ist als Mensch wie als Arbeitgeber durchaus beliebt. Der "gemeine Hohenzoller" jedoch, so glaubt Bumiller, sterbe allmählich aus. Während Badener und Württemberger noch immer lustvoll-neckisch ihre Konkurrenz zelebrieren, überlebt das hohenzollerische Bewusstsein nur noch im historischen Reservat - vom preußischen ganz zu schweigen.

Das hängt auch mit der jüngeren Landesgeschichte zusammen. Denn die kleinste der drei Keimzellen Baden-Württembergs wurde bei der Namensgebung geflissentlich übergangen. Alles Mögliche fiel den Verfassungsvätern ein, als sie 1953 überlegten, wie die südwestdeutsche Zangengeburt denn nun heißen solle. Rheinschwaben etwa oder Alemannien. Auch Baden-Württemberg natürlich, und dabei blieb es dann ja. Nur Hohenzollern, nein, das haben sie nie ernsthaft erwogen.

91,4 Prozent für Baden-Württemberg

Vielleicht fühlten sich die Badener doch zu sehr an den preußischen Prinzen Wilhelm I. erinnert, der 1849 ihre Revolution niederkartätscht hatte. Vielleicht war das aber auch der natürliche Reflex, alles Preußische, das der Alliierte Kontrollrat 1947 ja als "Träger des Militarismus" gebrandmarkt hatte, weit hinter sich zu lassen.

Trotzdem gelang es den Vertretern des schlauchförmigen Ländchens, das die Franzosen nach dem Krieg mit Südwürttemberg zwangsvereinigt hatten, noch eine gewisse Sonderstellung zu erhalten. Bis weit nach der Landesgründung gab es zum Beispiel den noch aus preußischen Zeiten stammenden Landeskommunalverband. Das war eine Art Sonderparlament in Sigmaringen, das parallel zum Landtag tagte und für Wirtschaft, Soziales und Kultur zuständig war. Das skurrile Gebilde bestand noch bis 1972 - dann verschwand mit der Kommunalreform auch noch das letzte hohenzollerisch-preußische Relikt von der Landkarte.

Wer jetzt noch Überreste sucht, tut sich schwer. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg hat dem Thema 1995 eine Ausstellung gewidmet und dazu einen Begleitband herausgegeben. Darin wagt ein Historiker die These: Vermutlich hätte Württemberg die Hohenzollern auch nicht anders behandelt. Als es darum ging, einen Südweststaat zu bilden, seien jedenfalls keine preußischen Sonderwünsche bekanntgeworden. Die schwäbischen Preußen stimmten übrigens zu 91,4 Prozent für das Bundesland.