In diesem Haus ist Friedrich Hölderlin aufgewachsen. Foto:  

Die Nürtinger Gemeinderatsfraktion NT 14 rechnet mit zwei Millionen Euro Mehrkosten. Das Rathaus weist dies zurück und kontert die Kritik.

Nürtingen - An der geplanten Modernisierung des Nürtinger Hölderlinhauses entzündet sich weiter Kritik. Nachdem erst der Verein Hölderlin-Nürtingen seine Ablehnung bekräftigt und eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Wirtschaftsministerium des Landes als oberste Denkmalschutzbehörde eingereicht hat, legen nun Stadträte von NT 14 nach.

Stadt rechnet mit Zuschuss von 2,7 Millionen Euro

Die Gemeinderatsfraktion geht von deutlich höheren Kosten als die angesetzten fünf Millionen Euro aus. „Nach den uns vorliegenden Zahlen rechnet die Stadt bereits jetzt für das Hölderlinhaus mit Gesamtkosten über sieben Millionen“, schreibt die Fraktion in einer Stellungnahme. Angesichts der seit Jahren angespannten Haushaltslage der Stadt sei es „erst recht verantwortungslos, in eine überdimensionierte Modernisierung des Hölderlinhauses zusätzliche Millionen zu stecken, während für die dringend notwendige Sanierung von Kindergärten und Schulen kein Geld da ist“, heißt es weiter.

Die Stadtverwaltung weist dies allerdings entschieden zurück. Die fünf Millionen Euro hätten Bestand. Das Rathaus habe vom Regierungspräsidium Stuttgart die Zusage erhalten, dass die Maßnahmen am Hölderlinhaus im Rahmen des Investitionspakets „Soziale Integration im Quartier“ abgerechnet werden können. Die Stadt rechnet daher mit Zuschüssen von Land und Bund in Höhe von insgesamt 2,7 Millionen Euro. Dieser Rechnung zufolge müsste die Stadt noch 2,3 Millionen Euro selber schultern.

Hölderlinverein befürchtet die Zerstörung eines Kulturdenkmals

Das Gebäude, in dem der Dichter Friedrich Hölderlin seine Kindheit und Jugend verbracht hat, soll das Herzstück des neuen Bildungszentrums Schlossberg werden und nach der geplanten Fertigstellung Ende September 2021 der Volkshochschule als neues Domizil dienen. Vorgesehen ist auch eine dauerhafte Hölderlinausstellung, um dem berühmten Sohn der Stadt, dessen Geburtstag sich 2020 zum 250. Mal jährt, angemessen Referenz zu erweisen.

Dabei sollen zwar die Flurwand und die Trennwand der Beletage aus Hölderlins Epoche erhalten werden. Das Modernisierungskonzept sieht aber auch eine Entkernung des Gebäudes und eine Haus-in-Haus-Konstruktion mittels einer Holzkonstruktion vor. Während die Stadtverwaltung in der Lösung einen gelungenen Dialog zwischen der Vergangenheit und der heutigen Zeit sieht, lehnt der Hölderlinverein das Konzept ab. Er wertet die Totalentkernung als Zerstörung eines Kulturdenkmals und fordert stattdessen eine behutsame Sanierung im Bestand, um die Authentizität des Hauses zu wahren.

Literaturarchiv-Chef hat an der Nürtinger Planung nichts auszusetzen

Allerdings ist das während der vergangenen Jahrhunderte mehrfach umgebaute Hölderlinhaus nicht als Denkmal gelistet, weil es diesen Status aus Sicht der Denkmalschützer nicht erfüllt – ein Fehler, wie der Verein Hölderlin-Nürtingen betont. Mit seiner Aufsichtsbeschwerde will der Verein nun eine Korrektur bewirken. Indessen begrüßt Thomas Schmidt, der Leiter des Literaturarchivs Marbach, die Nürtinger Planungen. Der literarische Denkmalschutz sei nicht mit dem architektonischen Denkmalschutz gleichzusetzen. Schmidt zufolge ist es sehr wohl möglich, das Erbe Hölderlins in einem modernisierten Gebäude entsprechend in Szene zu setzen und zu pflegen.

Eine Aufsichtsbeschwerde hat inzwischen auch NT 14 eingereicht – gegen die Stadt beim Regierungspräsidium. Die Fraktion bezweifelt, ob das favorisierte Konzept tatsächlich die wirtschaftlichste und nachhaltigste Lösung ist. „NT 14 hat wiederholt und in schriftlicher Form Widerspruch Verfahrensfehler sowie fehlerhafte und unvollständige Protokollführung eingelegt“, heißt es in der Stellungnahme. „Verfahrensfehler sind uns nicht bekannt“, erwidert hingegen das Rathaus. Es sei außerdem „erstaunlich“, dass NT 14 am 26. März im Gemeinderat bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung für eine Resolution gestimmt habe, die unter anderem bekräftige, „hinter dem Projekt Hölderlinhaus auf Grundlage der vorliegenden Planung zu stehen“.

Bürger verhindern den Abriss

Zentralisierung
Vor zwölf Jahren hat der Nürtinger Gemeinderat beschlossen, das historische Hölderlinhaus abzureißen. Am Tor zur Nürtinger Altstadt sollte ein Bildungs- und Verwaltungszentrum entstehen, um die auf mehrere Gebäude verstreute Volkshochschule und Teile der Kulturverwaltung an einem Standort zusammenzufassen.

Protest
Gegen diesen Beschluss formierte sich Widerstand in der Bevölkerung. Ein Gutachten eines Bauhistorikers ergab, dass das Hölderlinhaus über mehr historische Bausubstanz verfügt als angenommen. Der Oberbürgermeister Otmar Heirich verordnete eine Denkpause. Vor fünf Jahren wurde der Abrissbeschluss formal aufgehoben. Der Verein Hölderlin Nürtingen kämpft dafür, die Authentizität des nicht denkmalgeschützten Gebäudes zu erhalten.