Schauen, wie sie’s in Kornwestheim machen: Treffen der Zukunftswerkstatt Kommune“-Community in der Salamanderstadt. Foto: Werner Kuhnle

Welche Strategien braucht es, um Gemeinwesen generationengerecht zu entwickeln? Das wälzen die Teilnehmer-Orte des bundesweiten Projekts „Zukunftswerkstatt Kommunen“ besonders intensiv. Zum Beispiel Kornwestheim – die einzige Teilnehmer-Stadt aus Baden-Württemberg.

Eine Ärztin oder einen Arzt in eine Gegend zu bringen, in der Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, ist schwerer denn je. Ihre fast noch nagelneue Praxis preisen Andre Barthel, Demografie-Beauftragter, und Jörg Steinmetz, Bürgermeister der Gemeinde Helbedündorf in Thüringen, im Image-Film „Cooles Dorf sucht coolen Arzt“ deshalb in den höchsten Tönen an. Sie locken mit den Vorzügen des sympathischen Dorflebens und mit finanziellem Entgegenkommen für den möglichen Mediziner, damit die Bürgerinnen und Bürger endlich wieder vor Ort ärztliche Versorgung bekommen.

Dass Helbedündorf den Imagefilm erstellen konnte – „für schmales Geld“, so Barthel, in Kooperation mit der Hochschule Nordhausen – das liegt auch an der „Zukunftswerkstatt Kommunen – Attraktiv im Wandel“, einem Projekt des Bundesfamilienministeriums. Es wurde aufgelegt, um Gemeinden, Landkreisen, Städten oder Großstadtquartieren bei der Gestaltung des demografischen Wandels zu unterstützen und passgenaue Strategien zu entwickeln. 40 Kommunen sind in das Programm aufgenommen worden und werden in der vierjährigen Förderphase von Prozessbegleitern an die Hand genommen. Darunter – als einzige aus Baden-Württemberg – Kornwestheim.

Das ist auch der Grund dafür, dass Andre Barthel aus Helbedündorf gerade eine schweißtreibende Wanderung durch die Salamander-Stadt im Schwabenland gemacht hat und jetzt mit einem Dutzend Vertreterinnen und Vertreter anderer Kommunen bei Sprudel und Obstspießchen im Kultur- und Kongresszentrum ausdampft: Bei so genannten Werkstatt-Treffen kommen immer wieder Teilnehmer-Kommunen aus regionalen Clustern zusammen. Sie bringen sich dann gegenseitig auf den Stand darüber, wie weit sie bei Themen wie Generationengerechtigkeit, gesellschaftliches Miteinander oder Barrierefreiheit sind – und bei anderen Fragen, die mit Demografie zu tun haben. In Kornwestheim drängen, so ergibt der Rundgang und die anschließende Diskussion, Themen wie ein Begegnungshaus für Jung und Alt, mehr Behindertenparkplätze, mehr Grün gegen zu viel Beton und Hitze oder aus den Nähten platzende Schulen.

Demografie – noch zu stiefmütterlich behandelt?

„Jeder soll und muss seine eigene Demografiestrategie finden“, sagt die Kommunenmanagerin Hedwig Diekwisch von der „Zukunftswerkstatt“. Selbst wenn die Teilnehmer-Kommunen hinsichtlich Größe, Einwohnerstruktur oder wirtschaftliche Bedingungen oft komplett unterschiedlich seien, sei es hilfreich, wenn sie sich vernetzen und voneinander lernten. Und sogar in den Städten oder Gemeinden selbst sei es oft überraschend, dass einzelne Ämter, Fachbereiche oder Institutionen an sich überschneidenden Themen arbeiteten, aber eben nicht gemeinsam. „Demografie ist aber Querschnittsthema“, so Diekwisch. Dafür könne die „Zukunftswerkstatt“ die Augen öffnen.

Dass es fürs „Augen öffnen“ auch auf höherer politischer Ebene dringend an der Zeit sei, bringt mit einiger Vehemenz Sabine Wölfle – Landesvorsitzende des Arbeiter-Samariter-Bundes, ehemalige sozialpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion und Systemische Moderatorin – ins Gespräch ein. „Die Zukunftswerkstatt Kommunen greift Themen auf, die in der Politik noch zu stiefmütterlich behandelt werden“, sagt sie.

Ob die Querungshilfe vor dem Seniorenstift, Aktionswochen wie „Gemeinsam gegen Einsamkeit“ oder Projekte zur Stärkung von Vereinen: Unterschiedliche Vorhaben werden in Begleitung der „Zukunftswerkstatt Kommunen“ angepackt – aber nicht finanziert. Die bis zu 40 000 Euro Förderung, die es jährlich für jeden Teilnehmer-Ort gibt, sind zwar auch für die Umsetzung kleinerer Projekte gedacht, vor allem wird damit aber die Beratung oder die wissenschaftliche Bewertung der Projekte bezahlt. Auch dass Bürger in die „Zukunftswerkstatt“ einbezogen werden, ist gewollt.

In Kornwestheim sind Projekte wie eine offene Sprechstunde von Gymnasiasten für Senioren in der Stadtbücherei oder Workshops „Digitale Angebote sicher nutzen“ in Kooperation mit der Realschule aus der Taufe gehoben worden, berichtet Siegfried Dannwolf von der „Zukunftswerkstatt“-AG Bürgerschaftliches Engagement. Raphael Eismann von der AG Klima und Umwelt erzählt von einem Vogeltränke-Projekt mit Grundschulen. Der junge Mann erklärt zudem, warum sich die Stadt aus seiner Sicht beim Klimaschutz mehr ins Zeug legen muss. Armin Scheuer vom VDK hofft auf öffentliche Bänke mit unterschiedlichen Sitzhöhen – überhaupt auf mehr „Schwätzbänkchen“ – , oder auf Barrierefreiheit auch unter Verwendung von Leichter Sprache.

Andre Barthel in Helbedündorf treiben neben dem Arzt-Thema Probleme wie Leerstände, deren Sanierung sich wegen hoher Denkmalschutzauflagen keiner anzupacken traut, auf der Agenda. Teil der „Zukunftswerkstatt“-Community zu sein, bedeutet für ihn Input – „und dass wir einen Blick von außen bekommen“, sagt er. Der zeige übrigens nicht zuletzt, „dass wir bei vielen Themen schon auf einem guten Weg sind“.

Gut aufgestellt sein im demografischen Wandel

Die Zukunftswerkstatt
Das Projekt „Zukunftswerkstatt Kommunen“ soll – nicht nur, aber vor allem in strukturschwache Regionen – Kommunen, die dem demografischen Wandel meistern müssen, helfen, attraktiv zu bleiben. Die Kommunen werden dabei unterstützt konkrete Halte- oder Anziehungsfaktoren zu stärken, die Teilhabe aller Generationen in einer alternden Gesellschaft zu stärken, Krisenbewältigungsideen zu entwickeln oder die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in das gesellschaftliche Miteinander vor Ort zu fördern.

Die Teilnehmer
40 Kommunen aus Deutschland sind im Boot, viele in Mittel- und Norddeutschland, wenige in Bayern, nur eine in Baden-Württemberg: Kornwestheim. Woran das liegt? Es gab aus dem Ländle weniger Bewerbungen.„Vielleicht, weil das Bundesland viele eigene Förderprogramme hat“, sagt Winnie Rüter von der „Zukunftswerkstatt“-Kommunikation.