Ein besonderes Exemplar des Buches „Des destinées de l’âme” des französischen Schriftstellers Arsène Houssaye (re.) aus dem 19. Jahrhundert: Es war bis vor kurzem in Menschenhaut eingebunden gewesen. Foto: AFP/pa/akg-images

Ein in Menschenhaut gebundenes Buch? 2014 sorgte ein solches Werk in der Bibliothek der US-Universität Harvard für Schlagzeilen. Nun ist die Haut vom Bucheinband entfernt worden. Handelte es sich um ein einzigartiges Exemplar oder gibt es noch mehr solcher gruselig-makabren Bücher? Eine Spurensuche in den Fußstapfen der „Anthropodermischen Bibliopegie“.

Die US-Universität Harvard hat menschliche Haut von dem Einband eines ihrer Bücher entfernt. Nun sei sie dabei, weitere Nachforschungen zum Buch und zu der Patientin durchzuführen, deren Haut für den Einband verwendet worden sei, teilte die Bibliothek der Elite-Hochschule in Cambridge (US-Bundesstaat Massachusetts)  mit. Man werde sich mit den zuständigen Behörden beraten, „um eine endgültige, respektvolle Stätte für diese menschlichen Überreste zu bestimmen“.

„Des destinées de l’âme“ von Arsène Houssaye

Das Buch hatte im Jahr 2014 auch in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt, als eine Untersuchung ergeben hatte, dass es in Menschenhaut gebunden war.

Es handelt sich um ein Exemplar von „Des destinées de l’âme“ („Über die Schicksale der Seele“), das der französische Schriftsteller Arsène Houssaye (1815-1896) laut der Harvard Bibliothek erstmals im Jahr 1879 veröffentlicht hatte.

Seit 1934 im Besitz der Harvard-Bibliothek

Erster Besitzer des Buches war demnach der französische Arzt Ludovic Bouland (1839-1932), ein Freund Houssayes. Er habe das Buch mit Menschenhaut gebunden, „die er ohne Zustimmung vom Körper einer verstorbenen Patientin in dem Krankenhaus, in dem er arbeitete, genommen hatte“, erklärte die Universitäts-Bibliothek.

Das Buch befindet sich der Bibliothek zufolge seit 1934 in den Sammlungen und ist in der Houghton Bibliothek – einer von zahlreichen Bibliotheken der Universität – untergebracht.

„Bei genauem Hinsehen sind die Hautporen leicht zu erkennen”, vermerkte der mit Houssaye befreundete Arzt Ludovic Bouland zu dem Werk. „Ein Buch über die menschliche Seele hat eine menschliche Hülle verdient.“ Im 19. Jahrhundert war es nicht unüblich, Menschenhaut für Einbände zu verwenden. Foto: AFP/Houghton Library/Harvard University

„Ethisch fragwürdige Entstehungsgeschichte des Buches“

Nach einer sorgfältigen Prüfung sei man zu dem Schluss gekommen, dass die für den Bucheinband genutzten menschlichen Überreste nicht mehr in die Bibliotheks-Sammlungen gehören, heißt es in einer Stellugsnahme Harvards. Zur Begründung verwies die Bibliothek unter anderem auf die „ethisch fragwürdige Entstehungsgeschichte des Buches“.

Dabei räumte die Verantwortlichen ein, in der Vergangenheit im Umgang mit dem Buch Fehler gemacht zu haben. Diese hätten die Würde des betroffenen Menschen weiter objektiviert und beeinträchtigt. „Wir entschuldigen uns bei denjenigen, die durch diese Handlungen geschädigt wurden.“

Eine Liste (auf Englisch) mit mutmaßlich in Menschenhaut gebundenen Büchern weltweit finden Sie hier.

Test ergaben 2014 menschlichen Ursprung des Bucheinbands

Eine Reihe von Tests hatten im Jahr 2014 ergeben, dass der Einband von „Des destinées de l’âme“ tatsächlich menschlichen Ursprungs war, teilte die Hochschule damals mit. Für die Untersuchungen wurden kleinste Proben der Hülle verwendet. Die Tests bestätigten damit einen entsprechenden handschriftlichen Hinweis auf die Beschaffenheit des Einbands in dem Buch selbst.

„Bei genauem Hinsehen sind die Hautporen leicht zu erkennen“, vermerkte der ehemalige Besitzer Ludovic Bouland darin. „Ein Buch über die menschliche Seele hat eine menschliche Hülle verdient“, schrieb er weiter.

Nach Boulands Angaben wurde die Haut dem Leichnam einer psychisch kranken Frau entnommen, die an einem Herzinfarkt gestorben war. Die Haut stammt demnach aus dem Bereich des Rückens. Zudem berichtete Bouland in seinen Anmerkungen von einem weiteren in Menschenhaut eingebundenen Buch in seinem Besitz.

Der Campus der Harvard-Universität in Cambridge in Massachusetts. Foto: Xinhua/dpa

Einziges in Menschenhaut gebundenes Buch in Harvard

Die Universität teilte damals mit, dass sich in ihren Beständen sich kein weiteres Werk mit einer solchen humanen Hülle befinde. Zwei weitere Verdachtsfälle hätten sich nicht bestätigt. Weiter hieß es, die Verwendung von Menschenhaut – etwa von hingerichteten Kriminellen – zum Einbinden von Büchern sei im 19. Jahrhundert nicht unüblich gewesen (mit dpa/AFP-Agenturmaterial).

Info: Anthropodermische Bibliopegie – in Menschenhaut gebundene Bücher

Anthropodermische Bibliopegie
Weltweit sind rund 50 nachweislich in Menschenhaut gebundene Bücher bekannt. Diese besondere Form der Buchbindekunst nennt sich „anthropodermische Bibliopegie“ - zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern für Mensch (anthropos), Haut (derma), Buch (biblion) und verfestigen (pegnynai).

Anthropodermic Book Project
Das „Anthropodermic Book Project“ hat 31 von 50 Büchern in öffentlichen Einrichtungen untersucht, die anthropodermische Bindungen haben sollen, von denen 18 als menschliches und 13 als tierisches Leder bestätigt wurden. Die Mehrzahl der belegten anthropodermischen Bindungen stammt aus dem 19. Jahrhundert.

Anthropodermische Bücher
Überlebende Beispiele menschlicher Hautbindungen wurden oft von Ärzten in Auftrag gegeben, durchgeführt oder gesammelt, die Zugang zu Leichen hatten - manchmal zu denen von hingerichteten Kriminellen, wie im Fall von John Horwood im Jahr 1821 und William Corder im Jahr 1828. Das Royal College of Chirurgen von Edinburgh in Großbritannien bewahrt ein Notizbuch auf, das in die Haut des Mörders William Burke nach seiner Hinrichtung und anschließenden öffentlichen Sezierung durch Professor Alexander Monro im Jahr 1829 gebunden war.

Erforschung
Dass es sich tatsächlich um echte Menschenhaut handelt, hatten Forscher des „Anthropodermic Book Projects“ nachgewiesen. Zu diesem multidisziplinären Team von Wissenschaftlern, die weltweit derartige raren Bücher aufspüren und auf Authentizität untersuchen, gehört auch Megan Rosenbloom, Bibliothekarin an der University of California in Los Angeles. Einen tiefen Einblick in die Arbeit der Buchjäger und -prüfer gewährt sie in ihrem Buch „Dark Archives“ aus dem Jahr 2020. Die in Menschenhaut gebundenen Bücher würden sich von außen betrachtet nicht sonderlich von anderen antiquarischen Werken im Bücherregal unterscheiden, schreibt sie darin. „Selbst wenn Sie jetzt gerade eines in der Hand halten würden, könnten Sie den Unterschied vermutlich gar nicht sehen.“

Verwendung
Vor allem Mediziner wie Ludovic Boulande ließen Bücher, die ihnen wichtig erschienen, in Menschenhaut binden. Zum einen war es für sie einfacher, menschliche Haut zu beschaffen. Zum anderen schien ihnen offenbar besonders für anatomische Werke das „außergewöhnliche“ Material für den Einband zum Inhalt zu passend.

Populärkultur
Das Einbinden von Büchern in menschliche Haut ist auch in Horrorfilmen und fiktionalen Werken ein übliches Element. In H. P. Lovecrafts (1890-1937, einem US-Schriftsteller und einer der bedeutendsten Autoren phantastischer Horror-Literatur des 20. Jahrhunderts) Horrorgeschichte „The Hound “ (1922) besitzen der Erzähler und sein Freund St. John, die Grabräuber sind, eine Sammlung makaberer Artefakte. Unter ihnen „eine verschlossene Mappe, die in gebräunte menschliche Haut gebunden war, enthielt gewisse unbekannte und nicht benennbare Zeichnungen, von denen behauptet wurde, dass Goya sie begangen habe, aber nicht zuzugeben wagte.“ In der „Evil Dead“-Reihe von Filmen und Comics, die ursprünglich 1981 von US-Regisseur Sam Raimi erstellt wurden, ist ein fiktives sumerisches Buch namens „Necronomicon Ex-Mortis“ in menschliche Haut gebunden und mit menschlichem Blut eingefärbt.