Greenwich Village ist eines der teuersten Viertel in New York. Doch seine gut betuchten Einwohner haben ein peinliches Problem. Foto: Mauritius Images

Greenwich Village ist eines der teuersten Viertel in New York. Doch seine gut betuchten Einwohner haben ein Problem. Denn der allgemeine Bauboom erzeugt auch tierische Wohnungssuchende.

New York - Das Greenwich Village im Südwesten von Manhattan gehört zu den begehrtesten Wohnlagen von New York, die fünfstöckigen Stadthäuser an von alten Linden gesäumten Kopfsteinpflastergassen erzielen seit Jahren Rekordpreise. So blätterte jüngst ein britischer Designer 37 Millionen Dollar für eines dieser Prachtstücke hin.

Das Geld hat der Mann nicht bloß für die hübsche Immobilie aus dem 19. Jahrhundert ausgegeben. Im Preis inbegriffen ist das idyllische Flair des Viertels (man spricht es „Grenitsch Willitsch“ aus), man zahlt auch für das schicke Ambiente der kleinen versteckten Cafés, exklusiven Restaurants mit intimer Atmosphäre, eleganten Jazz-Klubs.

Doch seit einiger Zeit droht eine eklige Plage den oberen Zehntausend, die sich im Village angesiedelt haben, den teuren Spaß zu vermiesen. Als jüngst der genannte Designer, der anonym bleiben wollte, aus einem Restaurant an der Thompson Street trat, musste er darum kämpfen, das exklusive Mahl bei sich zu behalten. Unmittelbar vor dem Lokal musste er über nicht weniger als 30 quietschende Ratten steigen.

Berichte über Begegnungen mit den Nagern haben sich dramatisch vervielfacht

Nicht, dass Ratten in der Stadt am Hudson-Fluss ein neues Problem wären. New Yorker klagen seit kolonialen Zeiten über die lästigen Nager. Horror-Geschichten über Ratten, die aus Toiletten springen oder schlafenden Obdachlosen das Fleisch von den Rippen kauen, gehören fest zur Mythologie der Stadt.

Doch in den vergangenen Jahren machen sich die Ratten auf eine immer unangenehmere Art und Weise bemerkbar. Die Berichte über Begegnungen mit den Nagern haben sich dramatisch vervielfacht. Im Jahr 2014 riefen noch rund 12 000 New Yorker die Bürgerhotline 311 an, um über die Plage zu klagen. 2018 waren es beinahe 18 000.

Die gestiegene Zahl der Berichte mag freilich auch der Tatsache geschuldet sein, dass die Tiere immer tiefer in Gebiete vordringen, in denen sie sich bislang eher selten bemerkbar machten. Die Thompson Street im putzigen Village gehört ebenso dazu, wie das edle Wohngebiet Park Slope. Selbst im Geschäftsbezirk Midtown, wo Rattensichtungen früher eher rar waren, treten sie heute in Rudeln auf.

New York erlebt seit zehn Jahren einen Bauboom

Die Erklärung für die Vermehrung der Biester in Bezirken, in denen sie bislang eher unterrepräsentiert waren, ist ebenso simpel wie einleuchtend. New York erlebt seit zehn Jahren einen Bauboom wie selten zuvor in seiner Geschichte. Und je tiefer und häufiger im Untergrund der Stadt gebohrt und gebaggert wird, desto mehr drängt es die Ratten an die Oberfläche.

So ist im Westen Manhattans, gar nicht so weit von Midtown und Greenwich Village, gerade ein komplett neuer Stadtteil entstanden. Acht neue Wolkenkratzer umfasst das funkelnde neue Luxus- Wohn- und Shopping-Quartier Hudson Yards, zwölf weitere sind in Bau. Weiter südlich schmiegt sich ein neues Apartmenthaus neben das andere.

Rund 28 000 neue Apartments kommen in diesem Jahr in New York auf den Markt, verteilt auf 421 Gebäude in Brooklyn und rund 80 in Manhattan. Hinzu kommen rund fünf Millionen Quadratmeter Büroraum, nachdem in den vergangenen zwei Jahren bereits zwölf Millionen davon gebaut worden sind.

So wird es eng für die Ratten, und sie drängen in die gleichen Räume, in die alle die neuen Mieter und Immobilienkäufer ziehen wollen. Ein unguter Wettbewerb, bei dem im Zweifel die Bauherrn und Vermieter verlieren.

Der Bürgermeister sagt, er wolle Rattenleichen sehen

Das will natürlich niemand in New York, außer vielleicht denjenigen, die über eine Immobilien-Flaute ein wenig Schadenfreude empfänden. So kündigte Bürgermeister Bill de Blasio im vergangenen Jahr eine Großoffensive gegen die Ratten an. „Ich will Rattenleichen sehen“, sagte der Stadtvorsteher und gelobte bis zum Ende des Jahres die Population um 70 Prozent zu reduzieren.

Dafür gab die Stadt 32 Millionen Dollar aus. Doch die Ratten-Jäger erwiesen sich machtlos, der Plage Herr zu werden. „Es gibt da einfach kein simples Rezept“, kommentiert Michael Deutsch, der für eine Schädlingsbekämpfungsfirma auf der Manhattan vorgelagerten Insel Long Island arbeitet. „Man kann die nicht mit einem Mal ausräuchern, man muss die andauernd und immer wieder bekämpfen.“

In diesem Kampf hat die Stadt wohl auf Dauer den kürzeren Atem. So muss sich die Klasse der Besitzenden in der Stadt wohl damit abfinden, dass sie ihre neuen Glamourviertel mit etwas weniger glamourösen Bewohnern teilen muss.