Trump hat sich auf Deutschland und Kanzlerin Merkel eingeschossen. Foto: dpa

US-Präsident Trump setzt die Verteidigungsallianz aufs Spiel. In seinem Visier: Deutschlands angeblich viel zu niedriger finanzieller Beitrag.

Brüssel - Eigentlich ist der alle zwei Jahre stattfindende Nato-Gipfel ein Ereignis, bei dem die Verteidigungsallianz sich selbst unterhakt und das Pensum für die nächsten zwei Jahre beschließt. Doch wenn die Staats- und Regierungschefs der 29 Mitgliedsländer an diesem Mittwoch und Donnerstag für 20 Stunden in Brüssel zusammenkommen, wird es etwas anders: Sie werden alle wie das Kaninchen auf die Schlange starren und abwarten, wann es passiert.

Merkel als Reizfigur für Trump?

Es ist fest damit zu rechnen, dass US-Präsident Donald Trump die Verteidigungsausgaben zum großen Thema macht. Trump hat sich vor allem auf Deutschland eingeschossen. Kanzlerin Angela Merkel scheint für ihn zur Reizfigur geworden zu sein. Sie macht er verantwortlich für den großen Außenhandelsüberschuss der deutschen Volkswirtschaft gegenüber der amerikanischen – und eben für eine für seine Begriffe zu geringe finanzielle Beteiligung vieler Verbündeter in der Nato. Trump beruft sich dabei auf das Ziel, einmütig beschlossen beim Nato-Gipfel 2014 in Wales, dass alle beteiligten Länder ihre Verteidigungshaushalte bis 2024 „in Richtung“ der Marke zwei Prozent verschieben sollen. Gemeint ist, dass jedes Land im Jahr 2024 einen Betrag in die Verteidigung investiert, der zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung entspricht. Richtig ist: Die USA zahlen aktuell vorbildlich 686 Milliarden Dollar (584 Milliarden Euro), was 3,57 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht. Deutschland hat den Trend umgedreht und investiert inzwischen mehr in Verteidigung. Doch bleibt es mit 1,24 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr, 1,31 Prozent im nächsten und dem Versprechen, 2024 bei der 1,5-Prozent-Marke zu landen, angreifbar. Vor allem für Trump, in dessen Welt kein Platz ist für das Kleingedruckte.

Der US-Präsident ignoriert, was die Bundesregierung in diesen Wochen und Monaten immer wieder erläutert. Deutschland hat seine Verteidigungsausgaben von 2013 bis 2017 um 17 Prozent erhöht und peilt für die Zeit 2014 bis 2024 einen Zuwachs um 80 Prozent an. Außerdem ist Deutschland, im Gegensatz zur Trump’schen Rhetorik, nicht vertragsbrüchig gegenüber der Nato. Deutschland ist der zweitgrößte Truppensteller und nach den USA der zweitgrößte Beitragszahler im Bündnis. Berlin will das auch in Wales gegebene Versprechen, 20 Prozent seiner Verteidigungsausgaben in Rüstungsprojekte zu investieren, vor 2024 erreichen. Die Bundeswehr engagiert sich im Baltikum, indem sie die Nato-Präsenz in Litauen, anführt. In der schnellen Speerspitze der Nato-Kräfte, die binnen zwei bis sieben Tagen verlegbar sind, stellt die Bundeswehr 4700 von insgesamt 7600 Soldaten.

Der US-Präsident legt vorab via Twitter los

Doch Kanzlerin Merkel, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD), die alle drei anreisen, wissen bereits, dass es nicht ausreichen wird. Sie machen sich darauf gefasst, im Umfeld des Gipfels einige harsche Bemerkungen aus dem Munde des US-Präsidenten zu hören. Über Twitter legte er vor dem Treffen schon los und forderte, dass europäische Länder viel mehr tun müssten, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen – um gleich im Anschluss Deutschland zu nennen: „Obwohl diese Länder ihre Beiträge erhöht haben, seit ich ins Amt gekommen bin, müssen sie viel mehr machen. Deutschland ist bei einem Prozent, die USA sind bei vier Prozent, und die Nato nützt Europa viel mehr als den USA.“

Anders als beim Nato-Treffen in Brüssel im vergangenen Jahr hält er diesmal keine öffentliche Rede. Damals hatte er angeprangert, 23 Nato-Mitgliedstaaten würden „immer noch nicht das zahlen, was sie zahlen sollten“, das sei „nicht fair“ gegenüber dem US-Steuerzahler. Trump wird gewiss auch diesmal einen Weg finden, seinen Unmut deutlich zu machen. Und sei es, wenn er im Flugzeug sitzt und abreist, wie er dies kürzlich nach dem G-7-Gipfel in Kanada getan hat. Im Gegensatz zu seiner aggressiven Wortwahl steht, dass sich Washington eben nicht militärisch aus Europa verabschiedet. Im Gegenteil: Unter Trumps Regierung haben die USA ihre Truppen in Europa verstärkt.

Deutschland steht am Pranger, Putin triumphiert

Klar ist aber: Wenn Trump sich vom nach derzeitigem Stand 34 Seiten langen Gipfel-Kommuniqué wieder distanzieren würde, wäre dies ein GAU für die Nato. Der innere Zusammenhalt ist das größte Kapital, das ein Militärbündnis hat. Nach außen getragener Streit unter den Alliierten wäre eine Bankrotterklärung. Triumphieren könnte einzig der russische Präsident Wladimir Putin. Und das, obwohl sich wichtige inhaltliche Beschlüsse des Gipfels sowie viele Anstrengungen des Bündnisses aus den vergangenen Jahren eben genau gegen die aggressive Politik richten, die Putin verantwortet. Seitdem Russland 2014 völkerrechtswidrig die Krim annektiert hat, setzt die Nato auf mehr Abschreckung gegen Moskau. Die Nato will schneller einsatzbereit sein, sie zeigt in den Nachbarstaaten zu Russland demonstrativ Präsenz, und sie lässt sich Verteidigung mehr kosten. Die Nato-Aufrüstung richtet sich klar gegen zwei Bedrohungen: Die eine geht von Russland aus, die zweite vom islamistischen Terror.

Die Beschlüsse des Gipfels zielen darauf, die Einsatzbereitschaft der Nato zu erhöhen. So sollen künftig jeweils 30 Einheiten zu Lande, zu Wasser und in der Luft innerhalb von 30 Tagen nach Auslösen des Befehls am Einsatzort sein können. Dieses Ziel soll 2020 erreicht werden. Nach dem Gipfelbeschluss soll dann bis Ende des Jahres ausgearbeitet werden, welche Nationen dafür welche Beiträge leisten sollen. Zudem wird eine neue Kommandostruktur beschlossen. Die Nato bekommt zwei neue Hauptquartiere: eines in Northfolk (USA), das für eine schnellere Verlegbarkeit von Truppen über den Atlantik zuständig ist, sowie ein zweites im schwäbischen Ulm, das die Verfügbarkeit der Kräfte innerhalb Europas verbessern soll. Darüber hinaus will die Nato eine Trainingsmission für den Irak beschließen. Nato-Kräfte sollen nicht vor Ort militärisch aktiv werden, sondern dem irakischen Militär bei der Ausbildung unter die Arme greifen. Die Nato macht zudem deutlich, dass sie offen für neue Mitglieder ist: Nachdem Mazedonien den Namensstreit mit Griechenland beigelegt hat, wird das Balkanland offiziell eingeladen, in die Beitrittsgespräche einzutreten.