Benjamin Netanjahu steht mächtig unter Druck. Foto: Abir Sultan/AP/dpa/Abir Sultan

Eine Einigung mit der Hamas hätte für den israelischen Ministerpräsidenten wohl einen hohen Preis: Es könnte Netanjahu die Macht kosten. Die rechtsextremen Koalitionspartner drohen ihm.

Für die Familien der 134 israelischen Geiseln im Gazastreifen dürfte die Anspannung kaum erträglich sein: Die Verhandlungen um die Freilassung der Verschleppten könnten bald in einer Einigung münden oder in ihrem endgültigen Scheitern. Als „letzten Versuch“ beschreibt die israelische Seite den jüngsten Kompromissvorschlag, die sie mit Hilfe der Vermittlerstaaten Ägypten, USA und Katar der Terrororganisation Hamas zukommen ließ. Diese wiederum sendete zuletzt Signale, die Beobachter vorsichtig optimistisch stimmten.

Rafah-Offensive auf der Kippe?

Rafah-Offensive auf der Kippe?

Dabei bleibt eine entscheidende Frage offen: Kann sich die israelische Regierung zu dem Kompromissvorschlag verpflichten, ohne daran zu zerbrechen? Berichten zufolge sieht der Vorschlag zwei Phasen vor: In der ersten Phase soll die Hamas mindestens zwanzig Geiseln während einer dreiwöchigen Feuerpause freilassen, im Austausch gegen die Entlassung einer noch unklaren Zahl palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen. Die zweite Stufe sieht eine zehnwöchige Waffenruhe vor, in der sich beide Seiten auf die Freilassung weiterer Geiseln und eine längere Kampfpause einigen könnten. Die Hamas hat bislang ein Ende des Krieges gefordert, eine Bedingung, auf die Israel sich nicht einlassen will, solange die Terroristen die dominante Kraft im Gazastreifen sind. Es ist allerdings denkbar, dass die Bedingungen der zweiten Phase so vage formuliert sind, dass beide Seiten sie nach Wunsch interpretieren können.

Ein solcher Deal brächte eine mehrmonatige Kampfpause mit sich – und womöglich die Absage der angekündigten Rafah-Offensive, zumindest aber deren Verzögerung. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat einen Einsatz in der Grenzstadt Rafah wiederholt als Bedingung beschrieben, um die Hamas in Gaza zu besiegen. „Die Vorstellung, dass wir den Krieg beenden, ohne sämtliche seiner Ziele erreicht zu haben, steht außer Frage“, sagte er am Dienstag bei einem Treffen mit einigen Geiselfamilien. „Wir werden in Rafah reingehen, und wir werden die Hamas-Bataillone dort auslöschen – mit oder ohne Deal, um den totalen Sieg zu erreichen.“

Diese Formel nutzt Netanjahu seit Monaten in beinahe jeder öffentlichen Ansprache. Experten halten die Vorstellung eines „totalen Sieges“ über die Hamas für eine Illusion. Netanjahu hat damit seinen Anhängern sowie seinen rechtsextremen Koalitionspartnern indes ein Versprechen gegeben, das er nicht enttäuschen kann.

Die extreme Rechte macht Druck

Die extreme Rechte macht Druck

Der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, Vorsitzender der rechtsextremen Partei Jüdische Stärke, sowie Finanzminister Bezalel Smotrich, Chef des ultrarechten Religiösen Zionismus, fordern Netanjahu bereits auf, einen möglichen Deal abzusagen und möglichst schnell mit der Rafah-Offensive zu beginnen. Für den Fall, dass der geplante Einsatz auf Eis gelegt werde, droht Smotrich, die Koalition zu verlassen. Und die Ministerin für nationale Missionen, Orit Strock von der Jüdischen Stärke, sagte Mittwoch in einem Radiointerview, es gebe „kein Existenzrecht“ für eine Regierung, die den Soldaten sage, „sie wirft alles in den Müll, um 22 oder 33 Leute zu retten.“

Oppositionsführer Yair Lapid reagierte darauf mit einem Post auf der Plattform X: „Es gibt kein Existenzrecht für eine Regierung mit 22 oder 33 extremen Koalitionsmitgliedern.“ Lapid hat gegenüber Geiselfamilien versprochen, er würde mit seiner zentristischen Partei Yesh Atid zeitweise der Regierung beitreten, falls dies nötig würde, um einen Deal zur Geiselbefreiung zu beschließen. Netanjahu braucht für eine Einigung seine extremen Partner also nicht zwingend.

Doch diese sind seine einzige Möglichkeit, sich nach dem Ende des Krieges an der Macht zu halten. Und viele seiner Kritiker fürchten, dass Benjamin Netanjahu sich im Zweifelsfall für die Machtsicherung entscheiden könnte – selbst wenn damit die überlebenden israelischen Geiseln in der Gewalt ihrer Peiniger blieben.