Starke Haltung: Frankreichs Star Antoine Dupont kickt das Ei. Foto: AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Gastgeber Frankreich ist Favorit bei der am Freitag beginnenden Rugby-WM, zu der 2,5 Millionen Zuschauer erwartet werden. Die Grande Nation ist das einzige nicht englischsprachige Land unter den Top-Teams, die Sportart ist dort sehr populär. Wie kommt das?

Bis zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris sind es noch zehneinhalb Monate. Doch schon in den nächsten sieben Wochen ist Frankreich Gastgeber eines globalen Sport-Großereignisses: Am Freitag (21.15 Uhr/Pro Sieben Maxx) beginnt im Stade de France in Saint-Denis bei Paris die Rugby-Weltmeisterschaft mit dem Eröffnungsspiel zwischen Neuseeland und dem Heimteam, das als Favorit auf den WM-Titel gilt. Das Finale steigt am 28. Oktober an gleicher Stelle.

In Frankreich wird mit 600 000 ausländischen Besuchern gerechnet. Insgesamt werden 2,5 Millionen Zuschauer in den Stadien erwartet, die Partien in Saint-Denis, Lyon, Marseille, Nizza, Bordeaux, Nantes, Toulouse, Lille und Saint-Etienne sind allesamt ausverkauft – auch die britischen Thronfolger Prinz William und seine Frau Prinzessin Kate haben ihr Kommen bereits angekündigt.

Zuschauerrekord im Visier

Turnierdirektor Michel Pousseau ist optimistisch, die Zahl der TV-Zuschauer der WM 2019 in Japan (857 Millionen Fans) zu übertreffen. In Deutschland zeigt Pro Sieben Maxx insgesamt 35 der 48 Begegnungen live im Free-TV (alle Spiele sind überdies im Livestream auf Ran.de zu sehen). Die deutsche Nationalmannschaft ist jedoch nicht vertreten, sie hat sich noch nie für eine WM qualifiziert.

Das Nachbarland Frankreich ist dagegen sehr erfolgreich, die Sportart dort sehr populär. Die Grande Nation ist das einzige nicht englischsprachige Land unter den Top-Rugbynationen. Wie das kam? 1870 brachte ein schottischer Weinhändler Rugby nach Bordeaux. Ursprünglich wurde Rugby (so wie in Großbritannien ja auch) in den Elite-Lycées gespielt. Aber dann verbreitete sich das Spiel aus Paris hinaus in die Region und vor allem in den Süden Frankreichs, wo es – in Europa einzigartig – vor allem bei Bauern und in der Arbeiterklasse große Akzeptanz fand.

Treue Mitglieder

Dies war der Beginn des „Rugby des Villages“, bei dem jede Stadt einen Club mit treuen Mitgliedern gründete, um benachbarte und rivalisierende Dörfer und Städte zu „bekämpfen“. Es gab auch Tote und Verletzte. Vor allem die Basken und Katalanen – harte, muskulöse Bergmänner – entwickelten eine schier grenzenlose Leidenschaft und betrachteten Rugby schnell als Symbol des Nationalstolzes und Bollwerk gegen die zentralistische Macht von Staat und Kirche, die das Spiel als brutal und atavistisch verteufelte.

Im tiefen Südwesten Frankreichs ist Rugby mehr als Sport, es ist fast schon wie eine Religion. Ein schönes und pittoreskes Beispiel dafür ist eine dem Rugby gewidmete Kapelle in Larrivière-Saint-Savin (Département Landes), am Ufer des Flusses Adour. Im Inneren der Notre Dame du Rugby befinden sich Hunderte gerahmter Rugbytrikots, und hinter dem Altar steht ein Schrank mit Fotos und Trikots von Rugbyspielern – ein Schrein für junge einheimische Männer, die beim Rugby oder aufgrund einer Rugbyverletzung gestorben sind.

Geschmückte Kapelle

Das Highlight der Kapelle ist ein aufwendig gestaltetes Buntglasfenster, auf dem die Jungfrau Maria über einem Rugbygedränge zu sehen ist. Das ihr zu Füßen krabbelnde Jesuskind wirft gerade das Rugbyei. Neben dem Altar in der Kapelle eingerahmt ist das Gebet: „Jungfrau Maria, die du deinem Kind Jesus beigebracht hast, auf deinen Knien zu spielen. Behalte das Spiel dieser erwachsenen Kinder mütterlich im Auge. Sei auch im großen Gedränge des Daseins mit uns, damit wir aus dem großen Spiel des Lebens als Sieger hervorgehen und – wie auf dem Feld – ein Beispiel für Mut, Tatendrang und Teamgeist geben. Amen.“

Nicht nur Leidenschaft

Doch Rugby ist in Frankreich nicht nur Leidenschaft und Tradition, sondern längst auch Big Business. Über 100 000 Zuschauer kommen mittlerweile zu den Halbfinals und Finals der nationalen Liga, Spielergehälter von über einer Million Euro pro Jahr sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. Auch deshalb zieht die Serie die Stars der großen Rugbynationen an wie keine andere Liga der Welt. Davon profitiert auch die französische Nationalmannschaft.

Bis heute ist man in Frankreich stolz auf das sogenannte „French Flair“, jenen für die nördliche Hemisphäre so einzigartigen Stil aus flüssigem Pass- und Laufspiel sowie grenzwertig rustikalem Körpereinsatz des Teams. Die Franzosen schafften es damit in drei WM-Finals (1987, 1999, 2011), konnten aber noch nie den Titel gewinnen. Das könnte sich aber dieses Jahr ändern, auch wenn sich Romain Ntamack – der größte Hoffnungsträger neben Kapitän Antoine Dupont – nur wenige Wochen vor WM-Start das Kreuzband gerissen hat und für das ganze Turnier ausfällt. Es spricht für die Stärke der Franzosen mit ihrer goldenen Generation, dass sie trotzdem Favorit auf den Weltmeistertitel sind.

Wer holt den Titel?

Favoriten
 Neben Gastgeber und Favorit Frankreich werden bei der Rugby-Weltmeisterschaft (8. September bis 28. Oktober) Titelverteidiger Südafrika die größten Titelchancen zugerechnet. Die Springboks haben Ende August den legendären All Blacks aus Neuseeland mit einem 35:7 die höchste Niederlage in der 102-jährigen Geschichte des Aufeinandertreffens der beiden Rugbygiganten beigebracht.

Außenseiter
Richtig in den Seilen hängt die englische Nationalmannschaft, die vor vier Jahren bei der WM in Japan die Rugbywelt so begeistert hat. Nach etlichen Pleiten wie einer 10:53-Rekordniederlage im März gegen Frankreich fehlt bei der WM nun zunächst auch noch Owen Farrell. Der Kapitän ist aufgrund eines bösen Foulspiels kürzlich gegen Wales für die entscheidenden ersten beiden Gruppenspiele gegen Argentinien und Japan gesperrt.