Die Flächen der Ackerhelden werden nach den Richtlinien der Anbauverbände Bioland, Demeter oder Naturgut bewirtschaftet – in Stuttgart ist der Demeter-Betrieb Hof Eichenhain der Familie Wais in Riedenberg der Kooperationspartner. Foto: Ackerhelden

Bio ist längst Mainstream, nun erreicht der Trend auch das urbane Gärtnern. Immer mehr Menschen wollen biologische, regionale und saisonale Lebensmittel direkt vom Acker. Das Pflänzchen gedeiht prächtig.

Stuttgart - Lukas Dreyer steht im Stall des Reyerhofs, der leicht zurückgesetzt an einer kleinen Straße in Möhringen liegt, da, wo ihn zunächst einmal keiner vermuten würde. Die Kühe pflücken sich büschelweise Heu aus den Ballen – doch schon in wenigen Tagen werden sie sich taglich am Grünfutter laben können, das eigens für sie herangekarrt wird, gemäß der Demeter-Richtlinien. „All unsere Bio-Milch verkaufen wir selbst, entweder als Rohmilch oder als verarbeitetes Produkt“, sagt der 30-jährige Betriebsleiter, der den Hof vor gut einem Jahr übernommen hat. Die Milch, den Käse, Frischkäse, Quark, Joghurt, Fruchtjoghurt und das Speiseeis kann man im Hofladen erstehen.

Bio ist längst Mainstream: Die Umsätze mit ökologisch erzeugten Lebensmitteln sind in Deutschlanderstmals über die Marke von zehn Milliarden Euro gestiegen sind, steht im aktuellen Marktbericht „Die Bio-Branche 2018“ vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. 98 Prozent der deutschen Haushalte kaufen mindestens einmal pro Jahr ein Bioprodukt.

Der Bio-Trend hat nun auch das urbane Gärtnern erfasst

Doch im Supermarkt einkaufen kann jeder. Der Bio-Trend hat nun einen weiteren Bereich erfasst: das urbane Gärtnern. Aber was hat ein Bauernhof mit urbanen Gärtnern zu tun, das man nicht allein auf der privaten Scholle, sondern gemeinsam auf öffentlichen Flächen betreibt? Nichts, könnte man meinen – doch beim Reyerhof ist das ein bisschen anders. Zwar wird das Gemüse nicht auf einem öffentlichen Acker angebaut. Die Gemeinschaft aber spielt eine große Rolle. Denn auf dem Reyerhof wird solidarische Landwirtschaft betrieben von einer Gruppe von Menschen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Verantwortung dafür zu übernehmen, wie ihre Lebensmittel erzeugt und verteilt werden.

Konkret heißt das, dass das Budget des Reyerhofs in einer Vollversammlung besprochen wird und jedes Mitglied eine Kostenzusage für einen Anteil gibt, dessen Höhe jeder selbst bestimmt. In diesem Jahr liegt der monatliche Durchschnittsbetrag bei 57 Euro, doch „jeder soll geben, so viel er kann – der eine mehr, der andere weniger. Keiner soll ausgeschlossen werden, weder Studenten noch junge Familien: Alle haben ein Recht auf gute Lebensmittel,“, so Dreyer. Denn im Gegenzug erhalten die Mitglieder wöchentlich Kartoffeln, Gemüse, Salat, Apfelsaft, Getreide, Mehl und Brot, die an 14 Verteilpunkten abzuholen sind.

Die Solidarische Landwirtschaft auf dem Reyerhof hat einen Zuwachs von 25 Prozent

„Die Leute sollen den Eindruck haben: Es ist auch mein Hof“, sagt Dreyer. Dazu tragen freiwillige Arbeitseinsätze bei – und Mitbestimmung bei wesentlichen Entscheidungen. So war es schon den Gründern der Solidarischen Landwirtschaft im Jahr 2012 wichtig, dass der Hof biologisch-dynamische Landwirtschaft betreibt und samenfestes Sorten-Saatgut und kein üblichen Handelsdünger verwendet. Zudem soll auch krummes und kleines Gemüse verteilt werden. Aber auch für höhere Löhne der Angestellten setzt sich die Gemeinschaft ein. Dem Reyerhof wiederum hilft die solidarische Landwirtschaft zu planen, wird doch das wirtschaftliche Risiko von der Gemeinschaft mitgetragen.

Das Konzept kommt an: Im vergangenen Jahr hatte die Solidarische Landwirtschaft auf dem Reyerhof einen Zuwachs von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 360 Anteile sind vergeben. Dreyer führt das große Interesse darauf zurück, dass bei seinem Gemüse der Dreiklang biologisch, regional und saisonal zustande kommt. „Das ist den Leuten wichtig“, sagt er – vor allem nach all den Lebensmittelskandalen und Diskussionen um Glyphosat.

Bio-Fans werden immer jünger

Diese Erfahrung hat auch Tobias Paulert, Mitbegründer der Ackerhelden, gemacht. Seit drei Jahren bietet der Essener zusammen mit seinem Kompagnon Birger Brock mit verschiedenen Gemüsesorten vorbepflanzte Ackerstücke zum Mieten an. Das Konzept ist nicht neu. In Stuttgart gibt es seit 2012 Meine Ernte, die Gemüseäcker an Städter vermieten. Neu ist indes, dass bei den Ackerhelden ausschließlich Flächen bepflanzt werden, die nach den Richtlinien der Anbauverbände Bioland, Demeter oder Naturland bewirtschaftet werden und entsprechend zertifiziert sind. Das bedeutet: keine giftigen Pestizide und Herbizide sowie keine chemisch-synthetischen Dünger. In Riedenberg ist der Demeter-Betrieb Hof am Eichenhain von Familie Wais der Kooperationspartner. Laut Paulert ist die Fläche, die dort für die Ackerhelden reserviert wird, immer größer geworden – der Bedarf steige von Jahr zu Jahr.

Auch die Menschen, die sich ein Stückchen Land bei den Ackerhelden mieten, schätzen laut Paulert Regionalität und Saisonalität – und ganz besonders die Bio-Qualität. Seiner Beobachtung nach werden Bio-Fans zudem immer jünger: „Bio ist nicht mehr staubig und kommt nicht mit Jutebeutel und in Sandalen daher“. Auch die Ackerhelden wollen ihr Konzept „lifestylig verpacken“ – doch mit ernsten Inhalten füllen.

Es geht um Nachhaltigkeit, eine große Sortenvielfalt, weniger Schadstoffe, saubereres Trinkwasser, mehr Geschmack, mehr Bewegung an der freien Natur, kurze Wege, mehr Wissen um die Lebensmittel – und darum, dass „es keine Entscheidung der Politiker ist, wie wir uns ernähren, sondern von jedem einzelnen“, so Paulert. Und es geht nicht zuletzt auch darum, mit beiden Händen in der Erde zu wühlen. Einer Erde frei von Giftstoffen.