US-Präsident Joe Biden (links) sagt dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj weitere Waffenlieferungen zu. Foto: dpa/Susan Walsh

Der Überraschungsbesuch des ukrainischen Präsidenten beim Gipfel der sieben wichtigsten Industriestaaten im japanischen Hiroshima stellt das offizielle Programm auf den Kopf – und bewirkt weitere Waffenlieferungen.

Wolodymyr Selenskyj entschuldigte sich für den Vergleich und bemühte ihn doch mehrfach: „Die Bilder des zerstörten Hiroshima erinnern mich an Bachmut und andere Städte – wo nichts Lebendiges mehr übrig ist, wo alles zerstört ist“, sagte er am Sonntagabend.

Der ukrainische Präsident hatte am Nachmittag mit Japans Ministerpräsident Fumio Kishida den Friedenspark in Hiroshima besucht, einen Strauß weißer Blumen niedergelegt und sich in Gedenken an die Opfer der Atombombe vom 6. August 1945 verbeugt. Er besuchte das Atombombenmuseum, die Bilder dort von schwer verletzten Kindern und Babys schockierten ihn: „In der Ukraine sehen wir solche Bilder auch jeden Tag, das treibt mir Tränen in die Augen“, sagte er. „Wie kann jemand anderen so etwas antun, noch dazu Kindern?“ Auf die Frage, ob es stimme, dass die Russen Bachmut nun eingenommen hätten, sagte Selenskyj: „Ich denke nicht. Es gibt dort nichts, sie haben alles zerstört.“

„Frieden wird heute näherrücken“

Selenskyjs Überraschungsbesuch hatte die Stadt und den G7-Gipfel seit Freitag auf den Kopf gestellt: Erst sollte er nur per Videokonferenz teilnehmen, reiste dann jedoch am Samstagnachmittag an Bord einer französischen Maschine persönlich an. Obwohl er nur rund 30 Stunden in Japan verbrachte, war es Selenskyj, der am Treffen der Staats- und Regierungschef der sieben großen Industrienationen den Zeitplan auf den Kopf stellte. Selenskyj teilte kurz nach seiner Ankunft mit: „Sicherheit und verbesserte Kooperation für unseren Sieg. Frieden wird heute näherrücken.“

Biden genehmigt F-16-Lieferung

Es war seine erste Asienreise seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022. Als jemand, der in seinen Reden nicht vor deutlichen Formulierungen zurückschreckt, hatte er am Freitag beim Besuch in Saudi-Arabien am Treffen der Arabischen Liga einigen Regierungschefs vorgeworfen, die Augen vor dem russischen Angriff auf die Ukraine zu verschließen. „Wir versuchen so viele Länder wie möglich zu involvieren“, erklärte Selenskyj am Sonntag die Motivation für seine aktuelle Reisediplomatie. Er hatte zuvor mehrere europäische Länder besucht, auch Deutschland.

Noch bevor er Fuß auf japanischen Boden setzte, trug Selenskyjs Coup erste Früchte. US-Präsident Joe Biden sagte zu, die Lieferung amerikanischer F-16 durch europäische Länder an die Ukraine zu genehmigen. Bisher hatten die USA dies abgelehnt, um Russland nicht zu provozieren. Außerdem wollen sich die USA an der Ausbildung ukrainischer Piloten beteiligen. „Es hilft unserer Gesellschaft, unseren Leuten, Häuser und Familien zu schützen. Ich denke, es ist keine Entscheidung, dass wir all diese Verteidigungsmaßnahmen morgen haben, wir müssen uns vorbereiten, aber egal, es ist ein großartiges Ergebnis“, sagte Selenskyj dem ZDF. Russland warnte, dass westliche Länder mit einer F-16-Lieferung ein „kolossales Risiko“ eingehen würden. Bei ihrem bilateralen Treffen am Sonntag sagte Biden der Ukraine weitere Hilfe in Form von Munition, Waffen und Fahrzeugen zu. Selenskyj dankte Biden für die anhaltende Unterstützung. Über den Umfang aller am G7-Gipfel gemachten Zusagen blieb Selenskyj vage: „Wir bekommen hochqualitative Waffen – von allen.“

Die G7 verschärfte am Wochenende die Sanktionen gegenüber Russland erneut, um Schlupflöcher zu stopfen für die Lieferung von Waffen aus Drittländern. Im Abschlusskommuniqué einigten die Teilnehmer sich darauf, „die Ukraine angesichts des fortdauernden illegalen russischen Angriffskriegs so lange zu unterstützen, wie dies nötig ist“.

Selenskyj wirbt um globalen Süden

Im Visier hatte Selenskyj nicht nur die G7-Chefs, sondern auch die acht als Gäste geladenen Staats- und Regierungschefs von Ländern des globalen Südens. Sie stehen dem russischen Angriffskrieg überwiegend neutral gegenüber. Viel beachtet war sein Treffen mit dem indischen Regierungschef Narendra Modi. Indien hat sich bisher geweigert, den russischen Angriffskrieg anzuprangern. Modi sagte, er verstehe den Schmerz der Ukrainer. Sein Land werde der Ukraine weiter humanitäre Hilfe schicken und alles tun, um den Krieg so bald wie möglich zu beenden. Brasilien hingegen verweigerte sich einem Treffen. Es sei nicht so einfach, alle hätten ihre eigenen Zeitpläne, spielte Selenskyj die Absage herunter.

Selenskyj sagte, er wolle Russland zum „letzten Aggressor“ der Welt machen, und bot die ukrainische „Friedensformel“ an, um „andere mögliche Aggressoren zu lähmen“ – wohl in Anspielung auf einen drohenden weiteren Krieg. Taiwan stand wegen der wachsenden Bedrohung durch die Volksrepublik China ebenfalls hoch auf der Agenda der G7-Staatenlenker. Diese wollen verhindern, dass das Ukraine-Beispiel Schule macht und dem mit ihrem in Hiroshima demonstrierten Schulterschluss vorbeugen. China reagierte auf den G7-Gipfel, indem es am Freitag parallel ein Treffen mit fünf zentralasiatischen Nationen abhielt. Das G7-Kommuniqué, in dem China zu verantwortungsvollem Handeln aufgerufen wird, verurteilte es als „Einmischung in interne Angelegenheiten“.

Bevor er sich erneut unter strengen Sicherheitsmaßnahmen noch am Sonntagabend zum Flughafen aufmachte, reflektierte Selenskyj seinen Besuch im wiederaufgebauten Hiroshima, „einer modernen, lebendigen Stadt“. So stelle er sich auch die Zukunft der Ukraine und von Bachmut vor.