So sehen ihn die deutschen Fans am liebsten: Mario Gomez bejubelt ein Tor. Foto: AP

Mario Gomez ruht in sich wie nie zuvor – auch deshalb ist der lange umstrittene Nationalstürmer so wertvoll.

Evian - Das Problem mit Spanien hat sich von ganz alleine erledigt. Stramm war es auf Mario Gomez zugekommen, als das deutsche Nationalteam das EM-Viertelfinale erreicht und das Duell mit dem Heimatland seines Vaters wie eine Bedrohung vor ihm gestanden hatte. Ihm blieb an jenem Abend in Lille nichts anderes übrig als sich diesen Gegner zu wünschen – „ich kann ja schlecht Italien bevorzugen, was soll mein Papa dann denken?“ Doch dürfte er nichts dagegen gehabt haben, dass es die Spanier waren, die vorzeitig nach Hause fahren mussten. Jetzt bleibt es dem Stürmer erspart, Señor Gomez senior in Gewissenskonflikte zu stürzen.

Das Thema Spanien ist nicht das einzige Problem von Mario Gomez (30), das sich vor dem EM-Viertelfinale am Samstag (21 Uhr/ARD) gegen Italien in Wohlgefallen aufgelöst hat. Seit Wochen erlebt man ihn als dauerlächelnden Mann, der seine Kämpfe und Enttäuschungen hinter sich gelassen, seinen Frieden gemacht und sich neu erfunden hat. Mit tibetanischer Gelassenheit ruht Gomez in sich wie nie zuvor in seinem wechselvollen Leben als Fußballprofi – auch deshalb ist er wieder so wertvoll für die deutsche Nationalmannschaft.

Die Karriere ist nicht mehr alles

„Wenn du jung bist, malst du dir deine Karriere aus und hast Träume, denen du hinterherrennst. Du willst bei Bayern, Real Madrid und Barcelona spielen und alle Titel gewinnen“, das hat Mario Gomez schon im Trainingslager in Ascona gesagt und seither oft wiederholt: „Inzwischen ist mir egal, was noch kommt. Jetzt habe ich nicht mehr die eigene Karriere im Blick, sondern genieße nur noch den Moment.“

Es ist die Weisheit eines Fußballers, der in mittlerweile fast dreizehn Jahren alle Höhen und Tiefen erlebt hat. Den frühen Ruhm beim VfB Stuttgart und das Triple mit den Bayern; den leisen Abschied von den Münchnern, die ihn nicht mehr wollten, die zwei verlorenen Jahre in Florenz, die Pfiffe und die Häme in der Nationalelf, wenn er am Tor vorbeischoss. Der Buhmann war er, nicht nur bei der EM 2008, sondern auch vier Jahren später, obwohl er fast Torschützenkönig geworden wäre. Es waren diese Niederlagen und Demütigungen, die ihn mehr geprägt haben als die Erfolge. Ein sehr empfindsames, nachdenkliches Gemüt steckte schon immer in dem Körper des Modellathleten.

Vor dem Fernseher musste Gomez vor zwei Jahren den WM-Triumph von Rio erleben, jubelnd als Fan und gleichzeitig leidend als Ausgemusterter. Beschlossene Sache schien es, dass es eine Rückkehr in die Nationalmannschaft nicht mehr geben würde – erst recht, als er sich im vergangenen Sommer vom AC Florenz zu Besiktas Istanbul ausleihen ließ: Endstation Süper Lig. Doch im Gefühl, jetzt nichts mehr zu verlieren zu haben, fand Gomez seine Fitness wieder, sein Selbstbewusstsein, seine Sicherheit beim Torabschluss.

Die Auferstehung.

Als türkischer Meister und Torschützenkönig reiste er ins EM-Trainingslager – ohne große Erwartungen, befreit von dem Druck, es irgendjemandem beweisen zu müssen, von allen gemocht werden zu wollen. Er war glücklich, überhaupt wieder dabei zu sein „in dieser großartigen Mannschaft“. Und er werde glücklich bleiben – „auch wenn ich bei der EM am Ende nur drei Minuten gespielt habe. Ich werde alles akzeptieren“.

Auch die Kritiker loben den Stürmer

Im zweiten Gruppenspiel gegen Polen wurde Gomez erstmals eingewechselt – und nach dem 0:0 wieder einmal heftig kritisiert. In den darauf folgenden Spielen gegen Nordirland (1:0) und die Slowakei (3:0) aber stand er in der Startformation. Er erzielte jeweils ein Tor und überraschte nicht nur deshalb seine Kritiker. „Er hat sich enorm verbessert, mit ihm kann man Fußball spielen“, sagte nach dem Achtelfinale Lothar Matthäus, so als hätte Gomez bislang eine andere Sportart betrieben.

In den Stadionkatakomben ließ der Stürmer hinterher alle an seinem neuen Glück teilhaben, auf Italienisch, auf Deutsch, auf Englisch. Er definiere sich nicht mehr durch Tore, sagte er, „ich will dass die anderen sehen, dass ich mich fürs Team einbringe“. Gomez steht nicht mehr nur im Strafraum und wartet, dass etwas passiert. Er weicht auf die Seiten aus, reißt Lücken, reibt sich in Zweikämpfen auf, damit die anderen mehr Raum bekommen. So stark und selbstbewusst hat man Gomez in der DFB-Elf seit seiner Anfangszeit nicht mehr gesehen. Die Diskussion um echte und falsche Neuner hat der Bundestrainer Joachim Löw für beendet erklärt.

Ein Tor fehlt Gomez noch, dann zieht er in der ewigen EM-Torjägerliste an Jürgen Klinsmann vorbei. Das sei ihm nicht so wichtig, sagt er, viel wichtiger ist etwas anderes: „Ich will in Paris so jubeln, wie es die Jungs in Brasilien getan haben.“ Keinem wünscht man das mehr als ihm, doch ist es gleichzeitig beruhigend zu wissen: Es wird Mario Gomez nicht mehr ins Unglück stürzen, sollte dieser Plan nicht aufgehen.