Söldnerführer Jewgeni Prigoschin (Archivbild). Foto: AP/dpa

Seit anderthalb Jahren erwehrt sich die Ukraine einer von Söldnern unterstützten Invasion Russlands. Künftig muss die Privatarmee Wagner ohne ihren bekanntesten Anführer auskommen, der eine Meuterei gegen Kremlchef Putin wagte. Wie werden Prigoschins Truppen reagieren?

Auf den Tag zwei Monate nach seiner rätselhaften Meuterei gegen die russische Staatsmacht ist der Söldnerführer Jewgeni Prigoschin nach einem Flugzeugabsturz in Russland für tot erklärt worden. Der Telegram-Kanal Grey Zone, den Prigoschin zur Verbreitung seiner Videos nutzte, meldete am Mittwochabend den Tod des Chefs der Privatarmee Wagner. Die Luftfahrtbehörde Rosawiazija veröffentlichte eine Passagierliste, auf der unter anderen Prigoschin und der offizielle Wagner-Kommandeur Dmitri Utkin standen. Alle zehn Insassen seien ums Leben gekommen, teilte der russische Zivilschutz mit. Eine amtliche Bestätigung oder eindeutige Belege für den Tod des langjährigen Vertrauten von Kremlchef Wladimir Putin gab es bis zum Donnerstagmorgen nicht.

Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hatten Prigoschin und die Kämpfer seiner Privatarmee Wagner eine große Rolle gespielt, insbesondere bei der verlustreichen Eroberung der Stadt Bachmut. Am Donnerstag ist es genau anderthalb Jahre her, dass Putin den Angriff auf das Nachbarland befahl. Die Invasion begann am 24. Februar 2022. Am Donnerstag ist auch der Nationalfeiertag, an dem die Ukraine ihre 1991 erklärte Unabhängigkeit feiert. Präsident Wolodymyr Selenskyj versprach bei einer Konferenz, dass das Land die 2014 von Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim zurückholen werde.

Russischer Militärblogger spricht von Mord

Der Embraer-Privatjet, auf dessen Passagierliste Prigoschin stand, war am Mittwoch nordwestlich von Moskau im Gebiet Twer abgestürzt. Zur Ursache gab es keine offiziellen Angaben, die Ermittlungen der Behörden begannen erst. Allerdings verbreiteten Grey Zone und einige Militärblogger die These, dass der Absturz kein Unfall gewesen sei. Grey Zone sprach von einem Abschuss durch die russische Flugabwehr. Überprüfen ließ sich diese Behauptung nicht. „Prigoschin starb als Ergebnis der Handlungen von Verrätern Russlands“, hieß es in einem Post.

„Der Mord an Prigoschin wird katastrophale Folgen haben“, schrieb der Militärjournalist Roman Saponkow auf Telegram. „Die Leute, die den Befehl gegeben haben, verstehen nichts von der Stimmung in der Armee und ihrer Moral.“ Prigoschin war wegen seiner Kritik an der regulären Armeeführung und einigen Erfolgen seiner Söldner auf dem Schlachtfeld beliebt bei Soldaten.

Auf den Tag genau zwei Monate vor seinem Tod meuterten die Wagner-Truppen und marschierten auf Prigoschins Geheiß auf Moskau zu, wobei die Hintergründe dieser Ereignisse bis heute unklar sind. Für Russlands Präsidenten Putin, der keine öffentliche Infragestellung seiner Autorität duldet, war es eine beispiellose Erschütterung seiner Machtposition. Er nannte Prigoschin daraufhin einen Verräter. Und selbst wenn sich beide Männer später noch einmal trafen, gingen viele Experten davon aus, dass Putin seinem einstigen Intimus den Ungehorsam nicht verzeihen werde.

Als der heutige Präsident noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Später machte Prigoschin, der mehrere Jahre wegen Raubs in Haft saß, als Essenslieferant für den Kreml Karriere, daher rührt sein Beiname „Putins Koch“.

Die von ihm aufgebaute Söldnertruppe Wagner erfüllte für Russlands Staatsmacht erst inoffizielle Spezialaufträge in Syrien, später auch in mehreren Staaten Afrikas und kämpfte schließlich in der Ukraine. Zuletzt meldete sich der Söldnerführer am Montag mit einem Video aus Afrika zu Wort. Unklar ist, was aus den mehreren Tausend Wagner-Kämpfern wird, die nach der Meuterei nach Belarus gegangen sind und nun ihren Anführer verloren haben.

Biden: Putin steckt hinter vielen Dingen in Russland

Der kremltreue russische Fernsehsender Zargrad stellte ebenfalls den Verdacht eines Mordkomplotts gegen Prigoschin in den Raum. Er gab aber dem ukrainischen Militärgeheimdienst die Schuld am Absturz des Flugzeugs. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak erklärte in Kiew, es sei offensichtlich, dass Putin niemandem für jene Angst vergeben werde, die ihm die Meuterei eingeflößt habe. Prigoschins Schicksal sei ein Signal an die russische Elite, dass jede Illoyalität mit dem Tod bestraft werde.

US-Präsident Joe Biden schien sich nicht über Prigoschins Flugzeugabsturz zu wundern. Er wisse nicht genau, was passiert sei, sei aber nicht überrascht, sagte Biden am Rande eines Urlaubs im US-Bundesstaat Kalifornien. Auf die Frage von Reportern, ob der Absturz seiner Ansicht nach auf das Konto Putins gehe, sagte Biden: „Es gibt nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt.“ Er wisse aber nicht genug, um die Frage beantworten zu können.

Ukrainische Flagge weht über Robotyne

Die unter großen Mühen laufende Gegenoffensive der Ukraine im Süden des Landes geht derweil weiter. Der Oberkommandierende Walerij Saluschnyj veröffentlichte am Mittwoch ein Video, dass die ukrainische Flagge über dem seit Wochen umkämpften Ort Robotyne zeigt. An diesem Ort im Gebiet Saporischschja hat sich die ukrainische Armee am weitesten durch die stark verminte russische Verteidigung gekämpft.

Präsident Selenskyj wies unterdessen ausländische Kritik an einer angeblich falschen Aufstellung der Armee zurück. „Weiß ein Experte, wie viele Menschen, wie viele Besatzer sich im Osten aufhalten? Ungefähr 200 000!“, sagte er in Kiew. Wenn er die Truppen im Süden verstärke, werde Russland im Osten durchbrechen. „Wir werden Charkiw, den Donbass, Pawlohrad oder Dnipro nicht aufgeben.“ Er reagierte auf Äußerungen von US-Militärs und anderen Experten in der „New York Times“, wonach die Ukraine zu wenige Einheiten im Süden konzentriere. Deshalb stocke der Vormarsch in Richtung Asowsches Meer.

Selenskyj: Die Ukraine handelt nicht mit ihren Menschen

Bei einem Gipfeltreffen der sogenannten Krim-Plattform stellte Selenskyj eine Rückholung der gleichnamigen Halbinsel in Aussicht. „Die Krim wird befreit. Wie auch alle anderen Teile der Ukraine, die jetzt unter den (russischen) Besatzern sind“, sagte der Staatschef in Kiew. Bereits jetzt seien Dutzende Unternehmen bereit, auf der Halbinsel zu investieren, wenn sie wieder unter ukrainischer Kontrolle sei. Erneut erteilte er der der Idee eine Absage, im Austausch für Frieden Gebiete an Russland abzutreten. „Die Ukraine handelt nicht mit Territorium, denn die Ukraine handelt nicht mit Menschen, Punkt“, sagte er.