Die ehemalige Logistikhalle der Post soll für Jahre mindestens 1000 Flüchtlinge beherbergen – es könnten aber auch deutlich mehr werden. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Jetzt also doch: Auch in Stuttgart werden Flüchtlinge den Winter in Zelten verbringen. Das Land wird in der Landeshauptstadt Notunterkünfte mit 2150 Plätzen einrichten. Die Stadt bekommt dafür künftig weniger Asylbewerber zugewiesen als geplant.

Stuttgart - 5435 Flüchtlinge leben derzeit in Stuttgart. In den nächsten zwei Wochen kommen weitere 2150 dazu. Allerdings keine, die der Stadt regulär vom Land zugewiesen werden. Vielmehr richtet die Landesregierung selbst weitere Notquartiere für die Erstaufnahme ein. Während im Fall der Messehalle 9 am Flughafen derzeit noch darüber verhandelt wird, ob die Notunterkunft dort nicht nur bis 15. November, sondern bis 10. Dezember Bestand haben kann, kommen im Stadtgebiet drei neue Landeserstaufnahmestellen (Lea) dazu. Flüchtlinge sollen im Reitstadion, in einer Sporthalle der Universität und in der ehemaligen Logistikhalle der Deutschen Post unterkommen.

Nach den Entscheidungen im Bund, Asylbewerber künftig sechs statt drei Monate in den Lea belassen zu können und Flüchtlinge ohne Aussicht auf ein Bleiberecht dort quasi zu parken, brauche man in Zukunft mehr Kapazität, sagt Wolf-Dietrich Hammann. Der Ministerialdirektor im Integrationsministerium sieht die Bewältigung dieses Problems als „Gemeinschaftsaufgabe des Landes, der Kreise und der ganzen Gesellschaft“. Die Stadt Stuttgart, so Oberbürgermeister Fritz Kuhn, werde dabei helfen: „Wir haben uns bisher nicht bei denen eingereiht, die sagen, wir schaffen das nicht. Wir sind hier aufs Gelingen aus und nicht aufs Scheitern.“ Man wolle Flüchtlinge weiter „gut unterbringen und integrieren“.

Die Zelte dürfen höchstens bis Juni stehen

Diese Aufgabe wird allerdings schwieriger. Denn 1000 Menschen werden spätestens von Mitte November an in sechs beheizbaren Zelthallen im Reitstadion auf dem Cannstatter Wasen leben. Befristet ist dieses Notquartier bis Juni 2016. „Zum einen beginnt danach der Aufbau für die Kinderspielstadt Stutengarten, zum anderen brauchen wir die städtische Fläche anschließend fürs Volksfest“, sagt der Erste Bürgermeister Michael Föll.

Die Universität Stuttgart hat ihre Sporthalle Keltenschanze in Vaihingen selbst angeboten. „Wir sehen unsere Verantwortung“, sagt Sprecher Hans-Herwig Geyer. Die Belegung mit Flüchtlingen bringe die Abläufe der Uni nicht erheblich durcheinander, allerdings „führt sie dazu, dass Kurse entfallen oder verlegt werden müssen“. Von Februar 2016 an steht die Halle nicht mehr zur Verfügung – dann wird sie für schriftliche Prüfungen benötigt. Die 150 Plätze dort für nur wenige Monate sind laut Hammann trotzdem wichtig: „Jeder kleine Baustein trägt dazu bei, dass es über den Winter keine obdachlosen Flüchtlinge im Land gibt.“

Deutlich länger erhalten bleiben wird die dritte Erstaufnahmestelle. Das Land hat die frühere Logistikhalle der Deutschen Post auf dem Nordbahnhofsgelände, direkt am Schlossgarten, für fünf Jahre von dem Unternehmen angemietet. Eine vollwertige Lea wie in Karlsruhe oder Ellwangen, wo auch Asylanträge gestellt werden können, solle es dort zunächst zwar nicht geben, sagt Hammann, „aber Verfahrensschritte wie die Registrierung oder Gesundheitsuntersuchungen sind denkbar“. Genauso wie eine Ausweitung: In der 11 000 Quadratmeter großen Halle sollen zunächst 1000 Menschen wohnen, bis sie an die Land- und Stadtkreise weiterverteilt werden. Doch Hammann deutet bereits an, dass sich die Zahl rasch erhöhen könnte.

Die neuen Erstaufnahmen werden vom Kontingent der Stadt abgezogen

Die drei Erstaufnahmen sollen für die Stadt zu keiner zusätzlichen Belastung werden. Die 2150 Plätze werden auf die kommunale Quote angerechnet. Die Stadt bekommt also weniger Asylbewerber zur dauerhaften Anschlussunterbringung zugewiesen. „Das entlastet uns ein Stück weit“, sagt Föll. Allerdings erst im nächsten Jahr. Bis Jahresende braucht die Stadt nach der neuen Rechnung immer noch bis zu 800 zusätzliche eigene Plätze. Bisher war sie von 1000 ausgegangen. „Wir können keine Entwarnung geben“, so Föll. Zumal noch lange nicht klar ist, wie viele Asylbewerber im nächsten Jahr auf Stuttgart zukommen. Im November und Dezember rechnet man mit jeweils 1200.

Die Erstaufnahmestellen bringen aber auch Probleme mit sich. Weil die Leute dort nur kurz verweilen, sind richtige Integrationsbemühungen kaum möglich oder sinnvoll. Ob sich Flüchtlingsfreundeskreise für die drei Notquartiere bilden, ist deshalb noch offen. Angesichts der zunehmend explosiven Lage in manchen Massenunterkünften im Land will OB Kuhn „mit Offenheit und Ehrlichkeit“ auf die Flüchtlinge zugehen. Es sei wichtig, dass man ihnen die Realität vermittle. „Im Gespräch stelle ich immer wieder fest, dass viele mit falschen Vorstellungen kommen. Sie sagen, sie seien doch eingeladen worden“, betont er. Die Wirklichkeit in Hallen und Zelten dürfte deutlich härter sein.