Prominentes Ensemble im Fernsehfilm „Altersglühen“ Foto: WDR Presse und Information/Bildk

Alt? Ja. Aber nicht milde: Einige der besten Schauspieler dieser Zeit verabreden sich im Fernsehfilm „Altersglühen“ zum Sieben-Minuten-Flirt. Darin kapituliert Mario Adorf vor Angela Winkler: die improvisierten Dialoge beweisen die verführerische Fantasie der Damen.

Stuttgart - Gerade liest Herbert Fritsch dem gediegenen Zürcher Kulturbürger im Schauspielhaus singend die Leviten: mit Emil Sautters und Jürg Amsteins „Der schwarze Hecht“ aus den späten 1930er Jahren. Regisseur Fritsch verschiebt im grellen Singspiel den 60. Geburtstag von Albert Oberholzer um Jahrzehnte. Die Gesellschaft heute wird immer älter, da mag 101 tatsächlich das neue 60 sein. Etwas tattrig sind Oberholzer und die Seinen schon, aber immer noch gemein, höchst interessiert an Klatsch und Tratsch. Und oh! und hmmm! machen sie auch immer noch wie die Teenies, wenn sie eine attraktive Frau oder einen süßen Goldjungen erblicken.

Alt werden die Leute, aber weder milde noch weise. Und die Schauspieler, obwohl noch weit von 101 entfernt, machen sich einen Mordsspaß daraus. Auf der Bühne in Zürich geifern, grienen einige der besten des Ensembles, Jean-Pierre Cornu, Jessica Früh und Gottfried Breitfuss, als gäb’s wirklich kein Morgen. Sie zeigen, wie falsch der Jugendwahn ist, der auch schon einige Theater erreicht hat – manch eines leistet sich kaum mehr Ensemblemitglieder jenseits der 50.

Stars, die man sich kaum traut, als alt zu bezeichnen

Im Film haben zuletzt Michael Haneke mit „Liebe“ und einige Jahre zuvor Andreas Dresen mit „Wolke 9“ große alte Gesichter in Nahaufnahme gezeigt. Jetzt spielen gleich mehrere Stars zusammen, die man sich kaum traut, als alt oder als Senior zu bezeichnen. Hildegard Schmahl, Christine Schorn, Angela Winkler, Senta Berger, Mario Adorf, Matthias Habich, Michael Gwisdek zum Beispiel. Künstler zwischen 70 und 84, einige der größten Theaterdiven, und Theaterschauspieler, die als Film- und Fernsehkünstler berühmt wurden.

„Altersglühen. Speed Dating für Senioren“ heißt der Film von Jan Georg Schütte. Speed Dating sind Veranstaltungen für Leute, die auf dem so genannten normalen Weg (was immer das für einer sein soll) keine Liebsten finden. Es sitzen Singles jeweils ein paar Minuten beisammen und schauen, ob sie sich gut finden. Wer jemanden wiedersehen mag, schreibt dessen Namen auf ein Kärtchen. Das ist ein altes Thema, aber bisher eher kein Thema für Alte. Doch Einsamkeit ist ein Riesenthema, das gern geleugnet wird. Es bildet hier den durchaus traurigen Hintergrund für witzige, selbstironische Gespräche und Selbstinszenierungen im Sieben-Minuten-Takt.

Auch mit achtzig kann man schüchtern, rotzig, pubertierend sein

Der Film zeigt, Menschen sind alle gleich, auch mit achtzig kann man schüchtern, rotzig, pubertierend sein. Das hat schon etwas, wie die 13 älteren Herrschaften die Treppe einer Villa beschreiten, weißhäuptig oft oder kahl und nicht gerade im vitalen Stechschritt. Aber, die Energie ist da. Leute, die sich nicht aufs Altenteil zurückziehen. Da ist eine Liebe-auf-den-ersten-Blick-Szene mit den Berliner Theaterschauspielern Jörg Gudzuhn und Christine Schorn.

Gudzuhn ist mit seinem Freund (Michael Gwisdek) da, der ihn immer vorschiebt und so tut, als brauche der (und er selbst) vor allem eine Haushälterin, was die Dame entsprechend belustigt kommentiert. Da ist die ganz provokativ nur einen Liebehaber suchende verheiratete Dame (Brigitte Janner). Und die stolze Geschäftsfrau (Senta Berger), die Männer wegen ihrer hässlichen Mütze anherrscht, aber eigentlich auch nur eine verletzte Seele ist. Und da ist der jugendlich wirkende Schöngeist (Matthias Habich), der bisher scheinbar nur jüngere Frauen angesehen hat und heimlich am Handy über seine pflegebedürftige Ehefrau spricht.

Sie hypnotisiert ihn wie die Schlange das Kaninchen

Da ist aber vor allem die wunderbare Angela Winkler. Knapp 40 Jahre nach Schlöndorffs „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975) sitzt sie wieder einmal Mario Adorf gegenüber. Schon das einfach Dasitzen der beiden ist ein Ereignis. Sie hypnotisiert ihn dann wie die Schlange das Kaninchen. Eben noch sagt er, er reise nicht so gern. Doch als sie mit dunkel glänzendem Blick von ihrem Wunsch spricht, Moskau zu sehen, beeilt er sich zustimmend zu murmeln: na, also ja, Moskau. Das sei natürlich was anderes. Und die herrliche Hildegard Schmahl. Mit ihren philosophischen Gedanken, mit ihrer subtilen Erotik können ihre Gegenüber nur mit verschrecktem „Nein danke“ reagieren. Oder sich von ihrer Offenheit angerührt zeigen. Sie sagt, wie sehr sie Wärme und Nähe vermisse, jemanden neben sich atmen zu hören. Das kann einen Mann ja schon mal umhauen, in jedem Alter.

Wie im Theater bei Herbert Fritsch verhalten sich die Akteure kein bisschen comme il faut. Wie im Theater haben sie improvisiert. Die Figur stand fest, die Dialoge haben sie spontan entwickelt. Die Spannung beruht auf der künstlichen Prüfungssituation, wer wird sich wie schlagen, wer wird von wem ein „Möchte ich wiedersehen“ bekommen.

Es sind aber schlicht zu viele Figuren im Spiel, und von manchen erfährt man kaum etwas. Einige Herren hören auch hauptsächlich den Wünschen der sehr fordernden und originellen Damen zu. Doch dies ist schön an dem Film: Es wird kein Happy End geheuchelt. Und hier bescheidet sich keiner mit dem kleinen Glück, mit dem schlechtem Kompromiss. Jeder erwartet den Volltreffer. Zu Recht.

Altersglühen – Speeddating für Senioren“ am 12. 11. um 20.15 Uhr in der ARD. Als sechsteilige Serie – jede Folge konzentriert sich auf eine Figur – auf WDR ab dem 13. 11. zu sehen.