Roland Ott und Kerstin Franz sichten Bewerbungen. Weil es davon viel zu wenige gibt, müssen sie Pflegepersonal für den Klinikverbund Südwest aus dem Ausland holen Foto: factum/Granville

Deutschland braucht Fachkräfte. Die Unternehmen suchen intensiv – auch im Ausland. Unsere Zeitung begleitet eine solche Anwerbung und die beteiligten Menschen ein Jahr lang. Heute: Der Klinikverbund Südwest zieht ein erstes Fazit – und sucht von Neuem.

Sindelfingen - Im Januar sind 14 examinierte Krankenpflegekräfte aus Italien in die Region Stuttgart gekommen. Der Klinikverbund Südwest in Sindelfingen hat sie für seine Krankenhäuser angeworben, um mit ihnen nach Sprachkursen und Eingewöhnungszeit Lücken im Mitarbeiterbestand zu schließen. Personalchef Roland Ott und Kerstin Franz, Leiterin Personalmarketing und -gewinnung, ziehen ein erstes Fazit aus Sicht des Arbeitgebers.

Frau Franz, Herr Ott, sind nach einem halben Jahr noch alle Kandidaten an Bord?
Franz: Ja, es sind noch alle da. Derzeit arbeiten sie zwischen den Sprachkursblöcken auf ihren Stationen in den Kliniken in Böblingen, Sindelfingen und Leonberg. Alle sind weiterhin sehr motiviert.
Als Härtetest galt die B1-Sprachprüfung. Haben alle diese Hürde genommen?
Ott: Eine der Angeworbenen nicht. Sie fördern wir jetzt mit zusätzlichem Unterricht. Wir überlegen ohnehin ständig, wie wir die Leute sprachlich noch weiterbringen können. Es sind eben Menschen, und da läuft es nicht bei allen gleich.
Für Sie ist es bereits die zweite Anwerbungsrunde. Welche Erfahrungen haben Sie mit der ersten gemacht?
Franz: Nach vier Jahren arbeiten von anfangs 21 Leuten noch 14 bei uns. Damit sind wir zufrieden. Wir arbeiten allerdings immer daran, die Quote zu erhöhen.
Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein, die angeworbenen Mitarbeiter dauerhaft halten zu können?
Ott: Wie lange die Leute bleiben, hängt unserer Erfahrung nach nicht nur vom Arbeitgeber ab, sondern in erster Linie von der familiären Situation. Damit steht und fällt die Integration. Solange die jungen Leute keinen festen Partner haben, ist die Sache unkomplizierter. Manche aber haben Partner oder Partnerin, die zum Teil noch in Italien sind. Dann stellt sich die Frage, wer von ihnen hierher kommen kann und in der Region ebenfalls eine Anstellung findet. Wenn jemand wieder geht, liegt das meist nicht daran, dass er mit seiner Stelle oder dem Leben in Deutschland unzufrieden ist, sondern weil die familiäre Situation nicht passt.
Können Sie das als Arbeitgeber überhaupt beeinflussen?
Ott: Nur dann, wenn es sich um Partner oder Familienangehörige handelt, die wir ebenfalls beschäftigen können. Das geht natürlich nur, wenn das Berufsbild passt. Ansonsten können wir höchstens unterstützen und uns individuell um die Leute kümmern.
Und doch gehen Sie das Wagnis wieder ein. Demnächst steht die dritte Anwerbungsrunde in Italien bevor.
Franz: Wir werden noch im Juli wieder ins Auswahlverfahren gehen. Diesmal suchen wir 25 examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger. 15 von ihnen sind für die Kliniken in Böblingen, Sindelfingen und Leonberg gedacht, erstmals wollen wir aber auch zehn Mitarbeiter für unsere Häuser in Calw und Nagold. Wir werden dann bei den notwendigen Sprachkursen zwei Gruppen bilden, damit sich alle von Anfang an in ihrem künftigen Wohn- und Arbeitsumfeld bewegen.
Zuletzt hört man immer häufiger skeptische Stimmen zur Anwerbung im Ausland und speziell in Südeuropa. Es gibt Beispiele, in denen viele Angeworbene zurückgekehrt sind. Mancher Experte sagt, dieses Risiko sei gerade in Italien hoch, weil es die Mitarbeiter in die Heimat zurückziehe, sobald sich dort eine Gelegenheit auftue.
Ott: Dieses Argument ist uns auch schon begegnet. Es deckt sich aber nicht mit unserer Erfahrungswelt. Die wenigen Leute, die wir bisher verloren haben, sind in den wenigsten Fällen nach Italien zurückgegangen, sondern in andere deutsche Städte oder gar andere Länder gezogen. Und man muss auch sehen, wie viele Italiener bereits vor Jahrzehnten nach Deutschland gekommen und dauerhaft hier geblieben sind. Es gibt bei uns viel italienische Kultur.
Franz: Wir legen sehr viel Wert auf eine ganz gezielte Auswahl der Kandidaten. Wir haben hohe Voraussetzungen schon für die Vorauswahl durch unseren Partner in Italien. Und wir setzen von Anfang an auf Integration – etwa durch das Wohnen bei deutschen Gastfamilien. Das ist ein wesentlicher Faktor, um nicht nur die Sprache, sondern auch die hiesige Kultur besser kennenzulernen. Zudem sind unsere Projektstrukturen sehr transparent. Die Leute wissen, was sie erwartet, und wir halten uns auch daran. Dadurch haben wir in Italien mittlerweile einen guten Ruf, denn das spricht sich im Kreis der Interessierten herum.
Sie investieren viel Geld und Mühe in die Auslandsanwerbung. Wie reagieren die anderen Mitarbeiter darauf?
Ott: Es ist sehr wichtig, dass man die Mitarbeiter mitnimmt. Wir könnten mehr Leute aus dem Ausland holen, aber das tun wir nicht, weil man nur eine begrenzte Zahl gut in die Stationen integrieren kann. Es ist schließlich Arbeit für die Kollegen, diese Aufgabe zu übernehmen. Die anfangs manchmal vorhandene Skepsis ist verschwunden, denn es gibt inzwischen viele positive Erfahrungen mit den neuen Kollegen. Sie sind vielerorts nicht mehr wegzudenken. Darauf kann man verweisen.
Reichen die Italiener aus, um die Personalnot zu beheben?
Franz: Man muss klar sagen, dass die Auslandsrekrutierung nur ein Teil der Bemühungen ist. Wir brauchen jedes Jahr 140 examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger, um unseren Personalstand halten zu können. Die Hälfte davon decken wir durch eigene Ausbildung, der Rest muss vom Arbeitsmarkt kommen. Das ist aber extrem schwierig. Im vergangenen Jahr war ein Tiefpunkt erreicht. Da haben sich zeitweise nur fünf bis acht Bewerber pro Monat gemeldet, von denen vielleicht drei infrage gekommen sind. Da bleibt eine Lücke.
Was tun Sie außer der Auslandsanwerbung?
Franz: Wir müssen alle vorhandenen Kanäle bespielen. Wir haben neben klassischen Stellenanzeigen in Print- und Onlinemedien eine umfangreiche Imagekampagne gestartet, einen eigenen Imagefilm über die Pflege gedreht und spezielle Informationsseiten für Bewerber aus der Pflege auf der Karriereseite des Klinikverbundes geschaffen. Das wirkt sich langsam aus, sodass mehr Bewerber kommen. Aber es gilt: Jede qualifizierte Bewerbung von Pflegekräften nehmen wir mit offenen Armen entgegen.
Könnten Sie auf die Anwerbung im Ausland verzichten?
Ott: Ohne die ausländischen Fachkräfte würde es im Moment nicht gehen. Wir wüssten nicht, wo wir die Leute in ausreichender Zahl herholen sollten.