Legt den Finger in die Wunde der Nationalelf: Sami Khedira Foto: dpa/Sebastian Christoph Gollnow

Der frühere Fußball-Weltmeister Sami Khedira hat der deutschen Nationalmannschaft weniger als ein Jahr vor der EM-Endrunde im eigenen Land ein schlechtes Zeugnis ausgestellt.

„Es fehlen einfach bestimmte Komponenten, und die bekommst du in zehn Monaten auch nicht mehr hin“, sagte der frühere Fußball-Weltmeister Sami Khedira in einem Interview mit dem Fachmagazin kicker (Montag-Ausgabe). Angesichts der Situation des Teams von Bundestrainer Hansi Flick ist der 36-Jährige Khedira „besorgt“.

Khedira benannte konkrete Mängel bei der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB): „Wir haben keine Führungsstrukturen und keine klaren Hierarchien auf dem Platz mehr. Da haben wir ein ganz großes Führungsproblem.“

Verschärft würden die Schwierigkeiten durch markante Versäumnisse in der Vergangenheit. „Es wird mehrere Jahre dauern, bis wir wieder eine Nummer 9 bekommen. Und wenn ich auf unsere Außenverteidiger blicke, dann ist das einfach nicht das Niveau, das wir in Deutschland hatten und auch brauchen, um Spiele gegen andere Nationen zu dominieren“, meinte der ehemalige Mittelfeldspieler.

Khedira vermisst Leistungsprinzip bei Nominierungen

Wie bereits mehrere Insider und zuletzt auch Rekordnationalspieler Lothar Matthäus vermisst Khedira die konsequente Anwendung des Leistungsprinzips bei Nominierungen für die Nationalelf: „Wir haben vor vier, fünf Jahren mit der Philosophie angefangen, den jungen Spielern teilweise zu einfach die Möglichkeit zu geben, A-Nationalspieler zu werden“, sagte der gebürtige Stuttgarter: Die Ausmusterung älterer Spieler, „weil junge Spieler angeblich Platz zur Entfaltung benötigten“, sei aus seiner Sicht „ein fatales Zeichen: Die deutsche Nationalmannschaft ist das Aushängeschild, da müssen die Besten eingeladen werden. Die Nationalmannschaft ist kein Experimentierfeld, um junge Spieler zu testen.“

Khedira setzt auf Mentalität

Zu einem generellen Kurswechsel müssen für den Ex-Star von Real Madrid und Juventus Turin mehr Individualisierung und die Vermittlung einer erfolgsorientierten Mentalität gehören. „Es ist alles homogen strukturiert, dadurch bringt man nur die gleichen Spielertypen hervor. Ohne die Basics zu vernachlässigen, muss ich den Spielern auch transportieren: Wir wollen jedes Spiel gewinnen, jede Flanke muss sitzen, jeder Kopfball, jeder Torabschluss. Das ist Leistungssport, und je früher ich das verinnerliche, desto schneller wird es zur Gewohnheit“, meinte der 77-malige Nationalspieler.

Mentalität ist für Khedira auch die beste und letzte Chance auf einen erfolgreichen EM-Verlauf trotz der schlechten Rahmenbedingungen: „Die EM ist ein Charaktertest. Es geht darum, eine Mannschaft zu finden, die Charakter und Persönlichkeit hat - und die das Bewusstsein entwickelt, für Deutschland spielen zu wollen und dafür alles auf dem Platz zu lassen. Dann können wir auch wieder eine Euphorie entfachen.“