Der rote Haarschopf ist ergraut: An diesem Donnerstag feiert der polarisierende Grünen-Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit seinen 68. Geburtstag Foto: dpa

Im Mai 1968 wurde Daniel Cohn-Bendit der prominenteste Sprecher der Studenten während der Unruhen in Paris. An diesem Donnerstag feiert der Grünen-Europapolitiker seinen 68. Geburtstag. Zeit, um sich aus der Politik zurückzuziehen, wie der 68er meint.

Stuttgart/Frankfurt - Die Gesundheit geht vor: „Ich werde 2014 kein neues Mandat anstreben.“ In einem 40-seitigen Büchlein mit dem Titel „Pour supprimer les partis politiques!? Réflexions d’un apatride sans parti“ – in etwa: Die politischen Parteien abschaffen!? Überlegungen eines Staatenlosen ohne Partei – hat der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit vor anderthalb Monaten seinen Rückzug aus der aktiven Politik angekündigt. „Ich höre nun auf meinen Körper“, schreibt der prominenteste Europapolitiker der Grünen, der seit 1994 Mitglied des Europaparlaments ist. „Ich fühle mich nicht mehr in der Lage, einen Europawahlkampf zu führen, der eine ständige körperliche und geistige Präsenz im gesamten Kontinent erfordert.“

Vor Jahren hatte Cohn-Bendit bereits angekündigt, mit 68 Jahren aus der Politik aussteigen zu wollen. Dass er sich vor einigen Monaten ein kleines Krebsgeschwür an der Schilddrüse entfernen lassen musste, hat ihn in dieser Entscheidung bestärkt.

Cohn-Bendit gilt als Vorzeige-Europäer

Schon jetzt darf Cohn-Bendit getrost für sich in Anspruch nehmen, den richtigen Zeitpunkt für den Absprung gefunden zu haben – auf dem Höhepunkt seiner Popularität und seiner Anerkennung, quer über alle Parteigrenzen hinweg. Wiederholt war er als möglicher Spitzenkandidat der Europa-Grünen für den Wahlkampf 2014 genannt worden. Er gilt als Vorzeige-Europäer und zieht mit seiner Rhetorik noch immer verschiedenste Generationen in seinen Bann.

Europa-Politik gilt gemeinhin nicht als Gassenhauer bei Vorträgen und Veranstaltungen. Doch als Cohn-Bendit im Februar auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung in Stuttgart über „Leidenschaft für Europa“ diskutiert, platzt der Saal aus allen Nähten. Mehr als 200 Besucher strömen ins Haus der Architekten. Darunter etliche aus der Generation des nun 68-Jährigen, aber auch viele junge Menschen, die noch lange nicht geboren waren, als „Dany le Rouge“ damals, im Mai 1968, Frankreich in Aufruhr versetzte und Staatspräsident de Gaulle das Fürchten lehrte. Sie alle erliegen der Aura des Revolutionärs, der sich längst zum Politiker, noch dazu zum Realo, gewandelt hat.

Im Frühjahr 1968 gehen die Bilder des damals 23 Jahre alten Pariser Studenten um die Welt. Rotes Haar und flotte Sprüche sind zwei seiner Markenzeichen. Er erobert die Herzen im Sturm, als er die Studenten auf die Barrikaden führt. Über Nacht ist er weltbekannt, wäre wegen all der Aufmerksamkeit fast „übergeschnappt“, wie er später zugibt. Heute ist der rote Dany freilich nicht mehr besonders rot. Sein Haarschopf hat sich grau gefärbt, seine politischen Ansichten tragen längst einen tiefgrünen Anstrich. Geblieben ist aber seine ansteckende Begeisterung, mit der Cohn-Bendit seine Ideen vertritt. Damals als Soziologiestudent und Sprecher der Pariser Mairevolution, heute als Verfechter eines föderalen Europas, das „die nationalen Egoismen seiner Mitgliedstaaten abschütteln“ muss. Eine Parole macht er sich damals wie heute zu eigen: „Eine radikale Revolution ist nötig.“

Cohn-Bendit hat immer polarisiert

Cohn-Bendit hat immer polarisiert, war aber immer auch Visionär eines geeinten Europas. Nicht zuletzt aus eigener biografischer Erfahrung. Am 4. April 1945 im französischen Montauban als Sohn jüdischer Eltern geboren, die vor dem Nationalsozialismus geflohen waren, lebt er in der Normandie, bis er 1958 als 13-Jähriger mit seiner französischen Mutter Herta nach Frankfurt zieht, wo sein deutscher Vater Erich seit 1952 als Anwalt tätig ist.

Seine Eltern verliert Cohn-Bendit früh, den Vater mit 13, die Mutter mit 17 Jahren. Sein neun Jahre älterer Bruder Gabriel ist in Frankreich geblieben, wird später Studienrat in St.-Nazaire. Im hessischen Ober-Hambach besucht Cohn-Bendit das Internat der Odenwaldschule und macht dort 1965 sein Abitur. Als 16-Jähriger entscheidet er sich für die deutsche Staatsbürgerschaft. Ausgestattet mit einem deutschen Wiedergutmachungsstipendium, kehrt er nach Frankreich zurück, studiert an der Pariser Vorortsuniversität Nanterre Soziologie. Doch schon wenige Monate später wird er wegen seiner subversiven Umtriebe ausgewiesen und zehn Jahre lang aus dem Land verbannt.

Frankreich: Cohn-Bendit wird des Landes verwiesen

Als junger Student hält er stets Verbindung zu linken Freunden in Deutschland und erklärt am 13. Juni 1967, fast drei Wochen nach der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg in Berlin: „Man soll nach diesem ersten Toten in Deutschland nicht glauben, dass das Gewaltpotenzial in anderen Ländern kleiner ist.“ Im Februar 1968 trifft er beim Vietnamkongress in Berlin Rudi Dutschke. Nach dem Attentat auf Dutschke lädt er den Vorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), Karl Dietrich Wolff, nach Nanterre ein – der Auftakt zu den Pariser Mai-Unruhen 1968, in deren Folge ihn die französische Regierung des Landes verweist.

Schon damals treibt in der Gedanke, aus dem studentischen Protest eine europäische Bewegung zu machen – wenngleich das Europa des Protests nicht im Geringsten etwas zu tun hatte mit dem Europa der Institutionen, der gemeinsamen Währung und Wirtschaft. Auch die Grünen sind bis in die 1990er Jahre überzeugte Europa-Skeptiker. „Erst die Einheit und Kohl“, sagt Cohn-Bendit einmal, habe seine Partei auf den Europa-Kurs gezwungen.

Der Ausweisung aus dem Land seiner Kindheit folgen Sponti-Jahre in Frankfurt, wo er gemeinsam mit dem späteren Bundesaußenminister Joschka Fischer in einer WG lebt („Der war damals manchmal in der WG-Küche genauso muffig wie später als Minister“) und mit Hausbesetzungen, Straßenkämpfen und der Agitation in Betrieben „die soziale Revolution“ erprobt. 1974 besucht Cohn-Bendit als Dolmetscher zusammen mit Jean-Paul Sartre den RAF-Terroristen Andreas Baader in Stuttgart-Stammheim und arbeitet auch in der darauffolgenden Pressekonferenz als Sartres Dolmetscher. In der Ablehnung dieses Besuchsantrags bezeichnet ihn der später von der RAF ermordete Generalbundesanwalt Siegfried Buback als „Anarchist“.

Eine der „größten Dummheiten“ seines Lebens

Cohn-Bendit engagiert sich als Erzieher in antiautoritären Kinderläden. Seine Erfahrungen hält er 1975 in dem Buch „Der große Basar“ fest und beschreibt dabei auch, wie ihn fünfjährige Mädchen in Kinderläden, in denen er gearbeitet habe, „angemacht“ hätten. Er beschreibt Handlungen, die als sexuell motiviert interpretiert werden können. Seinerzeit erregt die kurze Passage keinerlei Aufsehen. Erst 2001 kommt es zu einer öffentlichen Debatte, die vor wenigen Wochen noch einmal hochkocht, als der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, als Festredner bei der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises absagt, mit dem Cohn-Bendit am 20. April in Stuttgart geehrt werden soll. Voßkuhle begründetseine Absage mit den „nicht unproblematischen“ Äußerungen von Cohn-Bendit zur Sexualität zwischen Erwachsenen undKindern.

Als eine der „größten Dummheiten“ seines Lebens beschreibt Cohn-Bendit diesen „unsinnigen Text“. Die Darstellungen seien als „Provokation“ gedacht gewesen, erklärt der 67-Jährige unserer Zeitung in einer schriftlichen Stellungnahme: „Meine Provokation war unangemessen, und ich bedauere dies. Aber Pädophilie-Vorwürfe sind unhaltbar.“

Bequem war Cohn-Bendit nie. Nicht zu sich, aber auch nicht für andere. „Immer Avantgarde, immer provokativ, aber nicht immer geliebt von der Partei – und nie bequem für die Partei“, beschreibt Grünen-Urgestein Rezzo Schlauch seinen (Partei-)Freund, der seit 1984 Mitglied der Grünen ist. Solche Charakterisierungen kontert der nun 68-Jährige schmunzelnd: „Seit wann ist Politik eine Liebesveranstaltung?“

Und so muss es für seine Kollegen im Politikbetrieb schon fast wie eine Drohung klingen, wenn Daniel Cohn-Bendit trotz seines Rückzugs ankündigt: Er werde aber weiter „demonstrieren“ und „wählen“ gehen. Ein Leben ohne Politik gibt es für den 68er nicht – auch nicht mit 68.