Ein Flug mit Hilfsgütern des Roten Kreuzes ins Erdbebengebiet konnte wegen des Andrangs nicht den gewünschten Airport ansteuern und musste umgeleitet werden. Foto: dpa/S. Willnow

Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien ist die Hilfsbereitschaft groß. Doch nicht immer erfüllen gut gemeinte Sachspende-Aktionen ihr Ziel, sagt Rote-Kreuz- Sprecher Udo Bangerter. Er erklärt, was besser laufen müsste.

Die Enttäuschung ist groß gewesen: Da wollte Familie Braun aus dem Rems-Murr-Kreis, die über einen Bericht unserer Zeitung auf eine Hilfsaktion aufmerksam geworden war, warme Pullover, Mützen, Wollsocken und Skianzüge für die Türkei spenden. Alles war sorgsam ausgewählt und gut verpackt, um es an den Alevitischen Verein in Bad Cannstatt zu übergeben – und dann das: „Die freundlichen Helfer zuckten die Schultern, sie dürften nur neue Ware mit Etiketten annehmen“, sagt Susanne Braun. „So musste ich alles wieder mitnehmen“, erzählt die Waiblingerin weiter und meint: „Die Menschen im Krisengebiet würden das sicher nicht verstehen.“ Sie und ihr Begleiter seien dann unverrichteter Dinge mit den vollen Kartons wieder nach Hause zurückgefahren.

Nur noch Neuware abgeben

Der Ärger ist verständlich, doch die ablehnende Haltung der Sammler hat ihren Grund: Das türkische Konsulat hat angeordnet, dass ausschließlich Neuware abgegeben werden darf. Doch derartige Bestimmungen sind nicht die einzigen Hürden, wenn es um Hilfsaktionen geht, weiß Udo Bangerter vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). Auf gut Glück eine Spendenaktion ins Leben zu rufen und wahllos Sachspenden zu sammeln, könne am Ziel vorbeigehen. „Man darf private Hilfsaktionen nicht über einen Kamm scheren, sie können sehr gut funktionieren, müssen dann aber genau auf die Bedürfnisse der Empfänger abgestimmt sein“, erklärt der DRK-Sprecher. Als Beispiel nennt er den Fall zweier befreundeter Gemeinden in Deutschland und einem vom Erdbeben betroffenen Land. „Die Beteiligten kennen sich, tauschen sich aus, was benötigt wird, sammeln genau diese Art von Hilfsgütern und sorgen im besten Fall persönlich dafür, dass die Sachen genau dort ankommen, wo man sie braucht.“

Mancher entrümpelt einfach seinen Keller

Während die Waiblinger Familie nur geeignete Winterware von hoher Qualität abgeben wollte, könne man sich nicht bei allen Spendern darauf verlassen, dass sie brauchbare Dinge abgeben: „Manche Leute entrümpeln ihre Keller, entsorgen Altkleider, bringen kaputte Sachen, Sommerkleidung oder geben angebrochene Medikamentenpackungen ab.“

Die Bereitstellung von Hilfsgütern könne am besten durch gut vernetzte Hilfsorganisationen koordiniert werden, die bereits in der Erdbebenregion aktiv seien. Das DRK sei im Katastrophengebiet durch den Roten Halbmond vertreten und könne wie zahlreiche andere professionelle Akteure dort passgenaue Hilfe anbieten: „Die Menschen in der Türkei und Syrien benötigen neben medizinischer Versorgung derzeit am dringendsten eine Bleibe, ein möglichst winterfestes Zelt, ein Feldbett, ein Heizgerät, Nahrung und sauberes Wasser“, sagt Bangerter. Alles Weitere werde dann nach und nach aufgebaut.

Helfer behindern Helfer

Bei allem Verständnis für den Willen zu helfen: Davon, auf gut Glück ins Erdbebengebiet zu fahren, raten Fachleuchte dringend ab. „Man muss sich vorstellen, dass in diesen Gebieten die Infrastruktur stark beschädigt ist“, sagt Bangerter. „Viele Straßen sind kaputt und nicht befahrbar.“ Dadurch konzentriert sich der Verkehr oft auf den wenigen vorhandenen Routen, was zu Staus und Behinderungen führe. „So können unorganisierte, unkoordinierte Fahrten zu verstopften Straßen führen und Rettungskräfte sowie andere zielgerichtete Hilfslieferungen behindern.“

Das gilt nicht nur für Hilfe, die auf Rädern kommt. Auch die Lieferungen mit dem Flugzeug bergen Probleme. Am Freitag sollte ein Flugzeug des Roten Kreuzes mit knapp 80 Tonnen bestellten Hilfsgütern direkt nach Gaziantep fliegen. Der Flieger musste jedoch umgeleitet werden, weil andere Flugzeuge mit nicht angeforderten Hilfsgütern den Flughafen blockierten und so die Versorgungslinie verstopften, berichtet Bangerter.

Hilfsgüter müssen aufwendig sortiert und verteilt werden

Und selbst wenn die Spenden ins Katastrophengebiet gelangen, hört die Arbeit nicht auf: „Die Hilfsgüter müssen vor Ort erst sortiert, eingelagert und wieder aufwendig verteilt werden.“ Hierfür sei wiederum eine Menge Personal nötig. „Das alles bindet Ressourcen ohne Ende“, sagt Bangerter. Und für manche Helfer, die auf eigene Faust, ohne Ansprechpartner und Unterkunft losfahren, könne es je nach Sicherheitslage in manchen Katastrophengebieten sogar gefährlich werden.

Geld ist oft die bessere Hilfe

Statt Sachspenden seien in der aktuellen Situation Geldspenden oft hilfreicher. „Wir sammeln schon lange keine Sachspenden mehr“, sagt der DRK-Sprecher. In der Regel sei es schneller und unkomplizierter, benötigte Hilfsgüter in der Region zu kaufen und dort zielgenau an Betroffene zu verteilen, sofern die regionalen Märkte noch vorhanden sind. Manchmal werden auch direkt Geldbeträge an die Betroffenen ausbezahlt: „Die Leute wissen selbst, was sie brauchen und wo sie es günstig kaufen können.“ Vorausgesetzt, die Wirtschaft sei nicht völlig zusammengebrochen. Sachspenden müssten zudem über weite Strecken zu den Empfängern transportiert werden, was eine längere Zeit in Anspruch nehme und häufig mit höheren Kosten einhergehe als eine Beschaffung von Hilfsgütern vor Ort.

Bundesregierung: Bitte keine spontanen Sachspenden

So sieht es auch das Auswärtige Amt und verweist an die bewährten Kräfte: „Der Katastrophenschutzmechanismus der Europäischen Union (UCPM), die Vereinten Nationen, die Rotkreuz-/Rothalbmondbewegung, etablierte Hilfsorganisationen und die Behörden versuchen im direkten Kontakt mit Organisationen und betroffenen Menschen im Erdbebengebiet den Bedarf zu erheben, zu priorisieren und Unterstützung zu koordinieren.“ Die Versorgung mit Hilfsgütern könne am besten durch Hilfsorganisationen koordiniert werden, die bereits in der Erdbebenregion aktiv seien. „Die Bundesregierung empfiehlt daher nachdrücklich, von spontanen, nicht bedarfsgerechten Sachspenden abzusehen und in der aktuellen Situation Geldmittel an etablierte Hilfsorganisationen zu spenden.“

Nicht alle Hilfsaktionen führen zum gewünschten Erfolg

Grundsätzlich sei die Hilfsbereitschaft zu begrüßen. „Es gibt vieles, was hilft, aber längst nicht jede Spendenaktion ist von Erfolg gekrönt“, sagt Bangerter und erinnert an den Tsunami in Thailand 2004. „Da standen Jahre später noch zwei riesige Container mit Schuhen, die keinem gehören und die kein Mensch anzieht“, sagt er. „Es ist schade, wenn man sieht, wie viel Herzblut in manchen Aktionen drinsteckt, sie aber nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen.“