Engpässe bei Arzneimitteln: Die EU-Kommission will gezielt gegensteuern. Foto: dpa/Jens Büttner

Die EU-Kommission will den Mangel an bestimmten Arzneimitteln bekämpfen. Kritikern gehen die Maßnahmen nicht schnell und nicht weit genug.

Die Situation ist paradox. Ausgerechnet im wohlhabenden Deutschland fehlt es immer wieder an einfachen Arzneimitteln. Gerade zur Erkältungszeit im Herbst wird Fiebersaft für Kinder zur Mangelware. Aber auch grundlegende Medikamente gegen Depressionen oder wichtige Krebsmittel sind bisweilen kaum zu bekommen. Dieser Missstand hat in ganz Europa Ausmaße angenommen, dass die Europäische Union nun gezielt gegensteuern will. Am Dienstag legt die EU-Kommission einen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung des Medikamentenmangels vor. Forciert werden soll etwa die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Falle von kurzfristigen Engpässen in einem Land.

„Oft sind Medikamente, die in einem EU-Land knapp sind, bei einem anderen noch verfügbar, und hier muss man unbürokratisch handeln“, fordert CDU-Politiker Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament. In diesem Fall müssten bestehende Hürden schnell abgebaut werden. Dazu zählt etwa die Flexibilisierung der vorgegebenen Sprache einer Packungsbeilage. „Wenn die Packungsbeilage nicht auf Deutsch, sondern in einer anderen EU-Amtssprache verfügbar ist, ist das zwar misslich und bedeutet zusätzliche Arbeit für das medizinische Personal, aber es ist besser, als wenn das Medikament überhaupt nicht vorhanden ist“, betont Liese.

Medikamente werden oft zur Mangelware, wenn der Patentschutz ausläuft und sich die Herstellung für die Unternehmen in Europa kaum mehr lohnt. Dann werden die Produktionsstätten nach China oder Indien verlagert, was in den Augen von Frank Montgomery eine fatale Entwicklung ist. „Die Coronapandemie hat die Risiken solcher Abhängigkeiten aufgezeigt“, sagt der Ehrenpräsident der Bundesärztekammer, „daher ist es entscheidend, bestimmte Produktionsketten zurück nach Europa zu verlagern.“ Er unterstützt auch den Plan der EU-Kommission, eine Liste notwendiger Medikamente anzulegen, geht mit seinen Forderungen aber noch weiter. Montgomery plädiert dafür, dass in der Europäischen Union Vorräte von einigen notwendigen Medikamenten angelegt werden.

Peter Liese und Frank Montgomery regen auch an, dass jene Unternehmen belohnt werden sollen, die ihre Produktion in Europa halten. „Dazu müssen in allen EU-Mitgliedstaaten bei allen relevanten Medikamenten die Ausschreibungen so gestaltet werden, dass nicht nur der Preis, sondern auch die Zuverlässigkeit der Lieferkette und optimalerweise die Produktion in der Europäischen Union honoriert werden“, sagt der Europapolitiker Liese. Er beklagt, dass sich seit Jahren im Gesundheitsbereich eine regelrechte „Billigmentalität“ breitgemacht habe. „Vor allem in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Mitgliedstaaten wurde bei der Ausschreibung der Krankenkassen beziehungsweise der staatlichen Gesundheitssysteme praktisch nur auf den Preis geachtet.“ Das habe dazu geführt, dass es Medikamente gebe, „bei denen die Tagestherapiekosten bei einem Cent liegen“, rechnet Liese vor.

Auf Unverständnis stößt bei ihm, dass das Gesundheitsministerium in Deutschland das Problem hat und an Lösungen arbeitet, die Maßnahmen aber nicht europäisch abstimmt. Für die potenziellen Hersteller sei der deutsche Markt allein schlicht zu klein. Peter Liese betont, es sei notwendig, in diesem Fall die geballte Marktmacht der EU zu nutzen, um eine Lösung zu finden.