Ein Fotoshooting wurde für Caro Gugu zum Wendepunkt: „Ich will meine Weiblichkeit entdecken.“ Foto: Jennifer Siegel

Die meiste Zeit ihres Lebens hat Caro Gugu aus Möhringen erfolglos versucht, dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen. Heute mag sie ihren Körper so, wie er ist.

Ein schmuddeliger Spätvormittag in Stuttgart-Möhringen, es nieselt leicht. Caro Gugu strahlt das Grau dieses Herbsttages weg. Die 32-jährige Personalerin, die bei einem großen Konzern in Berlin arbeitet, ist mal wieder auf Stippvisite in der alten Heimat. Sie lacht herzerfrischend. Immer wieder hat diese Frau, die mit bürgerlichem Namen anders heißt, ein Grinsen im Gesicht.

Caro Gugu ist ein Künstlername, den sich die Frau mit den ausgeprägten Rundungen gegeben hat, seit sie sich bei Fotosession nackt auszieht und diese Bilder im Internet veröffentlicht. Mitunter posiert sie für die Fotos sogar in aller Öffentlichkeit unbekleidet. Mal auf dem Alexanderplatz mitten in Berlin, mal am Rande eines Felds bei Neuhausen auf den Fildern.

In Möhringen hat Caro Gugu früher die Riedsee-Schule besucht, ihre Mutter führte damals ein Hotel in dem Stuttgarter Stadtteil. Caro Gugu ist eine waschechte Schwäbin. Sie sei wieder mit dem Flixtrain aus der Hauptstadt angereist, die Fahrt, früh gebucht, habe nur ein paar Euro gekostet, erzählt sie während eines kleinen Rundgangs durch den Ort, in dem sie groß geworden ist. Mächtig groß, könnte man sagen.

Mobbing durch die Mitschüler

Kurzer Stopp vor ihrer alten Schule. „Ich habe bei meiner Geburt fünf Kilogramm gewogen“, erzählt sie, „und bei der Einschulung 70 Kilogramm.“ Ihre Klasse hieß die Elefantengruppe. Zum Lachen war ihr wegen des Namens damals nicht zumute, heute aber durchaus. Als sie diese Episode erzählt, huscht wieder ein kleines Grinsen über ihr Gesicht. Die dicke Caro wurde damals von den Mitschülern gemobbt.

Der Spaziergang durch Möhringen rund 25 Jahre später führt vorbei an der Bäckerei, in der Caro früher oft und viel eingekauft hat. Ein paar Schritte weiter liegt die Apotheke, in der sie für ihre alkoholkranke Mutter immer wieder Medikamente abholen musste. Den geliebten Spielwarenladen gleich nebenan gebe es leider nicht mehr, wohl aber das griechische Restaurant mit dem deutschen Namen Hirsch, das Caro Gugu schon als Heranwachsende oft besucht hat.

Wenn sie auf Heimatbesuch ist, dann steht eine Stippvisite im Hirsch immer auf ihrem Programm. Auch an diesem Tag. Man kennt sich, der Chef grüßt freundlich, Caro bestellt einen Kaffee und eine Apfelsaftschorle. In ihrem Lieblingslokal will die Frau, die sich nach vielen Jahren, in denen sie Bodyshaming erlebt hat, mit ihrem Körper versöhnt hat, ihre Geschichte erzählen. Die Geschichte eines langen Wegs zu sich.

1991 – Caro erblickt in Stuttgart das Licht der Welt. Ihr Vater stirbt früh, die Mutter flüchtet in die Alkoholsucht. Die fehlende Liebe der Eltern, erzählt Caro, habe sie mit Essen kompensiert. „Meine Körperdimensionen vergleiche ich gerne mit einer Ziehharmonika.“ Aus den 70 Kilogramm zur Grundschulzeit werden bald 42. Mal dick, mal dünn. Caro ist als Teenager 1,78 Meter groß und hat Bulimie, eine Ess-Brech-Sucht. Damals ist sie sich sicher: „Nur wenn ich schlank bin, bin ich attraktiv.“ Nach außen mimt Caro die Coole: oft lustig, ein bisschen chaotisch, liebenswürdig.

Die Bulimie-Phase ist schnell wieder vorbei. Die wieder viel zu dicke Jugendliche passt nicht in das Beuteschema der Jungs. Das Wort „Beuteschema“ verwendet Caro an dem Tag im Oktober 2023 im Hirsch selbst. „Dass ich viel mehr bin als mein Körper, das erfahre ich erst später.“ Viele Jahre später.

Erste sexuelle Erfahrungen

Nach ein paar unerwiderten Teenieschwärmereien purzeln wieder einmal die Pfunde: „Nur wenn ich schlank bin, finde ich einen Mann“, denkt sie. Und dann passiert es tatsächlich: Mithilfe einer Dating-App lernt Caro ihren ersten Freund kennen. Bis zu diesem Zeitpunkt, sagt sie, habe sie „Kusserfahrungen nur beim Flaschendrehen gesammelt“. Mit dem ersten Freund will Caro endlich, wie sie es heute formuliert, „in das Land der sexuellen Erfahrung eintauchen“.

Zunächst scheint alles gut. Schmetterlinge im Bauch, verliebtes Lachen, sogar der Gedanke, eine Familie zu gründen, kommt auf. Das Paar kauft sich eine Wohnung, schmiedet Zukunftspläne. Was Caro aber weiter fehlt: die Leidenschaft, die Romantik. „So etwas gibt es nur im Film“, sagt der Freund damals trocken. „In einer Beziehung knutscht man nicht.“ Peng, Sätze wie dieser sitzen.

Bald hört die verliebte Caro Gugu diese Worte: „Deine Schenkel sind zu fett, um beim Sex oben zu sein.“ Ja, sie hatte längst wieder zugenommen, das Essen ist wieder das Ventil für ihren Frust. Sie schämt sich für ihre Beziehung, erzählt den Freundinnen keine Details. Sie bleibt bei ihrem Partner – und konzentriert sich auf die Karriere im Job. Doch auch bei der Arbeit erlebt sie: Bodyshaming. Ein Kollege sagt: „Mit deinem Gewicht solltest du keine kurzen Kleider tragen.“ Caro kontert diese Frechheit zwar mit einem kecken Spruch. Doch wenig später, als sie in ihrem Auto sitzt, kullern die Tränen.

Drei Jahre, einen Burn-out und eine Verhaltenstherapie später trennt sie sich vom Partner – endlich. „Ich war am Boden zerstört und wütend zugleich.“ Ihr nächster Gedanke damals: „Jetzt tobe ich mich aus.“ Caro Gugu sucht und findet Männer, die sie toll finden, so wie sie ist, mit ihren Pfunden am Leib. Manchmal kann sie kaum glauben, wie viele Männer sich für sie interessieren.

In ihrem neuen, freien Leben entdeckt Caro Gugu im Internet den Aufruf einer Fotografin, die 20 mutige Frauen sucht. Frauen, die bereit sind, sich vor der Kamera nackig zu machen. Das erste Fotoshooting wird zu ihrem Aha-Erlebnis, zum Wendepunkt im Leben. „Nackt! In der Öffentlichkeit! Wie cool ist das denn!“

Als sie die ersten Bilder sieht, ist Caro Gugu indes nicht mehr ganz so begeistert. Sie denkt: „Diese Beine kann ich niemandem zumuten.“ Da war sie wieder, die innere Stimme, die mahnt: Pass auf, was andere von dir denken. Doch die Stimme wird von Shooting zu Shooting leiser – und verstummt bald ganz. Heute sagt Caro Gugu: „Ich bin sexy, so wie ich bin.“ Klar, sie gefalle nicht jedem, „aber mir gefällt ja auch nicht jeder“.

„Es war Zeit für ein neues Kapitel“, erklärt Caro Gugu an dem Mittag im Hirsch in Möhringen. „Ich will meine Weiblichkeit entdecken, die so facettenreich ist.“

Auch Männer wollen mitmachen

Caro Gugu hat nach den vielen Affären jetzt einen festen Freund. Sie hat das Fotoprojekt mit dem Titel „Dein Körper ist genug“ mittlerweile übernommen, koordiniert bundesweit alle Aktionen. Bei Caro Gugu melden sich immer mehr Menschen, die mitmachen wollen – auch Männer.

Mittlerweile hat sich Caro Gugu zur Fotografin weitergebildet. Sie spielt mit dem Gedanken, ihren gut bezahlen Job an den Nagel zu hängen und mit dem Projekt freiberuflich durchzustarten. Kürzlich wurden einige der Nacktfotos in Ludwigsburg bei einer Ausstellung im Demokratischen Zentrum gezeigt. Im kommenden Jahr ist eine größere Aktion mit Workshops in Leutenbach im Rems-Murr-Kreis geplant.

Caro Gugu ist mal Fotomodell und mal Fotografin. Sie sagt, sie zeige sich immer wieder gerne unbekleidet mit „meinen Dellen und Narben, Unreinheiten und meiner Asymmetrie“. Mithilfe des Fotoprojekts, sagt die Aktivistin, „habe ich Heilung erfahren“.

Der Vormittag in Möhringen ist schnell verstrichen. Der Kaffee und die Apfelsaftschorle im Hirsch sind getrunken. Der Kellner war schon mehrmals am Tisch und hat gefragt, was die Gäste denn essen wollen. Caro Gugu hat ihre Geschichte fertig erzählt. Am frühen Nachmittag bestellt sie wie meistens in ihrem Lieblingsrestaurant: die Lukullus-Platte: Sutsuki, Souflaki, Gyros, Zaziki, Reis und Salat. Warum auch nicht?