Alle Hände nach oben – Kirsten Laicher (vierte von rechts) ist auch bei der Probe in der Lukaskirche voll dabei. Foto: factum/Granville

In der Lukaskirche hat sich mit den „Lukas Voices“ ein ganz besonderer Gospelchor etabliert. Das nächste Konzert findet am übernächsten Wochenende statt. Der Chor integriert besondere Menschen.

Gerlingen - We will sing“ – linke Hand nach links. „We will sing“ – rechte Hand nach rechts. Die Gesichter strahlen. Knapp 50 Menschen, schwarz gewandet und mit einem gelben oder orangefarbenen Schal um den Hals, stehen im Halbkreis vor dem Altar „We will sing to the Lord!“ Kräftige Stimmen intonieren das bekannte Gospel, schleudern es geradezu in den Raum. Es ist ein Sonntagmorgen in der Gerlinger Petruskirche: Bei den letzten drei Worten „to the lord!“ fliegen alle Hände nach oben.

Heute sind die Lukas Voices, der Gospelchor der Gerlinger Lukasgemeinde, in der schönen alten Petruskirche zu Gast. Mit „Amazing Grace“ haben sie angefangen – der „erstaunlichen Gnade“. Der Pfarrer Martin Weeber stellt dieses Wort in den Mittelpunkt. Die moderne Musik und die Ernsthaftigkeit des besonders gut besuchten Gottesdienstes ergänzen sich.

Seit gut zwei Jahren trifft sich der Chor jeden Mittwochabend zur Probe. Aus einem Projekt ist längst eine Dauereinrichtung geworden. Stefanie Wunder steht vorne am Pult. Die Chorleiterin, mit Leib und Seele dabei, ist zwar keine hauptberufliche Musikerin, aber sie liebt die Musik, und sie liebt den Gospel und diesen Chor. Am übernächsten Wochenende geben sie wieder ein Konzert.

Kein Kirchenchor im engeren Sinn

Lukas Voices singt zwar in der Kirche, ist aber kein Kirchenchor – darauf legt Wunder Wert. Traditionelle Kirchenmusik sei nicht so richtig ihr Ding, erklärt die 54-Jährige. Zwei Themen aber seien für sie neben ihrem Beruf prägend: „Sportmanagement – und Musik. Das ist meins. Ich liebe es, Menschen Musik zu vermitteln.“ Chorleiterin sei sie „schon ewig“, sagt sie lachend, dazu spielt sie Posaune im Bosch-Symphonieorchester. Hauptberuflich ist sie Verwaltungsleiterin einer großen Einrichtung der Behindertenhilfe in Leonberg, zuvor war sie zehn Jahre lang Geschäftsführerin des Sportvereins VfL Herrenberg.

Bei Lukas Voices sind auch Menschen dabei, die man vielleicht nicht in einem Chor erwartet hätte: Mitglieder der Wohngemeinschaft „Schatzkistle“ im Annemarie-Griesinger-Haus. Es sind Menschen, die demenzkrank sind. Darunter ist auch Wunders Vater – er strahlt schon, wenn er im Rollstuhl zur Probe gebracht wird. Nicht alle von ihnen singen mit, manche sitzen nur dabei – aber alle sind geschätzt.

Und es sind Menschen dabei, die in Gerlingen ein Leben in Frieden suchen: Flüchtlinge. Da ist es nicht erstaunlich, dass Catherine Leiblein, die Pianistin des Chors, die als dessen „gute Seele“ bezeichnet wird, sich auch für Flüchtlinge engagiert. Der eine, der noch dabei ist, singt mit großer Leidenschaft mit – auf dem Foto für die Zeitung möchte er aber nicht dabei sein.

Die Chormitglieder lassen die Alltagssorgen hinter sich, wenn sie die auswendig gelernten Lieder anstimmen. „Ich bin euphorisch, wenn ich nach zwei Stunden Probe hier rausgehe“, sagt Anke Wallasch. Ihr mache Singen „unheimlich Spaß“, sie schätze die Gemeinschaft. „Mit Stefanie Wunder klappt es wunderbar.“

Jeder kann mit der Stimme Stimmung ausdrücken

Nur die Dirigentin hat in diesem Chor Noten vor sich. „Singen kann jeder“, meint sie. Und jeder kann mit der Stimme Stimmungen ausdrücken. Jetzt üben sie „What a wonderful world“. Das Lied wird im Konzert einen besonderen Platz einnehmen. „Braucht ihr das nochmal?“ fragt Stefanie Wunder. Sie geht mal ein paar Meter vom Pult weg, lässt den Klang im Raum auf sich wirken. Oder sie springt am Ende von „Amazing grace“, die Pianistin singt jetzt Solo, vom Chor stimmlich unterlegt, nach vorne. „Den letzten Ton nur der Sopran!“ ruft Wunder mitten in die wunderbare Musik hinein, „kein Vibrato, das hört man!“

Der 54-Jährigen ist die Gesamtwirkung wichtig – aber auch die Botschaft. Die christlichen Inhalte der Lieder bedeuten ihr sehr viel. Ob die Sängerinnen und Sänger evangelisch oder katholisch sind, sei nicht so wichtig. Sie selbst ist katholisch orientiert, habe aber in Herrenberg evangelische Kinderkirche und auf der Alb schon Konfirmandenunterricht gehalten, erzählt sie. Die moderne Gospelmusik habe natürlich mit Gott zu tun. „Es geht um die Nächstenliebe, darum, dass wir gehalten werden in Gottes Hand. Gospel gehört in die Kirche.“ Auch in eine muslimische. „In einer Moschee kann man natürlich nicht von Jesus am Kreuz singen“, schränkt Wunder ein, „aber von der Nächstenliebe und dem Vertrauen in die Zukunft.“

Eltern und Kinder singen mit

Kirsten Laicher bestärkt die Chorleiterin. „Gospel fördert die Gemeinschaft“, sagt die 52-Jährige. Sie gehört zum engeren Kreis, der die Dirigentin bei organisatorischen Dingen unterstützt. Im Chor singen neben ihr und ihrem Mann Joachim, der auch als Kirchengemeinderat Verantwortung trägt, noch ihre Kinder Erik und Sonja mit. Die Laichers engagieren sich in vielen Ämtern. „Im Chor sind viele Generationen“, meint Erik, der Sprecher des Jugendgemeinderats. „Es ist total schön, mit den Älteren zusammen zu sein.“ „Gospel ist praktische Ökumene“, meint seine Mutter. Lukas Voices ist das beste Beispiel dafür. Mit Fröhlichkeit, aber auch mit Ernst – und den zum Himmel gereckten Händen.