Dieter Hoeneß (li.) feiert als VfB-Manager mit Trainer Christoph Daum den Meistertitel 1992 Foto: dpa

Er kennt den Profifußball wie kaum ein anderer. Und er erlaubt sich den Luxus, eine eigene Meinung zu haben. DFB-Chef Wolfgang Niersbach wäre für Dieter Hoeneß ein guter Fifa-Präsident, betont er im Interview, und dem VfB nimmt er das Jammern über leere Kassen nicht ab.

Stuttgart - Guten Tag, Herr Hoeneß. Wie wohl fühlen Sie sich derzeit in der Welt des Fußballs?
(Seufzt leise) Na, ja. Es ist ja so, dass sich der Vereinsfußball wenig um die Dinge schert, die beim Welt-Fußballverband passieren.
Wollen Sie damit sagen, dass Sie der Korruptionsskandal bei der Fifa kaltlässt?
Nein, natürlich nicht. Eine weltumspannende Organisation ist ja durchaus notwendig, um den internationalen Spielbetrieb zu regulieren. Das macht die Fifa im Großen und Ganzen ganz gut. Andererseits hat sie sich in den vergangenen drei Jahrzehnten verselbstständigt und ist zu einer gigantischen Geldmaschine geworden. Es kann ja nicht sein, dass sie 1,5 Milliarden Euro auf der hohen Kante hat. Das Geld muss dorthin zurückfließen, wo es erwirtschaftet wurde – in den Fußball.
Hat Sie der Rücktritt von Präsident Sepp Blatter überrascht?
Der Rücktritt selbst nicht, aber der Zeitpunkt. Da lässt er sich erst mit großem Aufwand wählen, dann tritt er wieder zurück. Da muss es ja in den Tagen dazwischen einen Anlass gegeben haben, der das ausgelöst hat.
Was vermuten Sie?
Sehen Sie mir bitte nach, dass ich nicht spekulieren will.
Blatter will erst im Frühjahr 2016 endgültig vom Thron steigen. Ist diese lange Zeitspanne für Sie nachvollziehbar?
Nein, das muss viel schneller gehen. So lange darf man nicht warten. Ich kenne die Statuten der Fifa nicht im Detail, aber für mein Dafürhalten müsste eine kommissarische Lösung her.
 
Wer wäre für Sie ein geeigneter Kandidat?
DFB-Präsident Wolfgang Niersbach wäre mit Sicherheit eine gute Lösung. Aber auch der Niederländer Michael van Praag könnte die Führung übernehmen. Es sollte jedenfalls ein Europäer sein, denn der Fußball auf unserem Kontinent ist weltweit bestimmend, im Vereinsfußball und im Bereich der Nationalmannschaften.
Die Fans werden sich fragen: Wem kann man eigentlich noch vertrauen?
Man muss unterscheiden: Die Fifa organisiert und vermarktet sehr professionell zum Beispiel die Weltmeisterschaft, das zweitgrößte Sportereignis der Welt nach den Olympischen Spielen. Aber das hat nur am Rande mit dem eigentlichen Spiel zu tun, mit dem, was auf dem Rasen passiert. Die Popularität und die Attraktivität des Fußballs werden trotz des Skandals keinen nennenswerten Schaden nehmen.
Das Spiel ist größer als Blatter und Konsorten?
So kann man das sagen. Ich habe mir von Experten sagen lassen, dass der Fußball für die Menschen weltweit eine größere Bedeutung hat als jede Religion. Um es zynisch auszudrücken: Das konnte selbst die Fifa nicht verhindern.
Was, wenn es auch bei der Vergabe der WM 2006 an Deutschland nicht mit rechten Dingen zuging?
Das wäre eine Katastrophe. Aber ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Ich habe auch noch nie etwas gehört, das auch nur annähernd den Verdacht in diese Richtung lenken könnte. Die Vergabe der WM nach Deutschland ist mit der Vergabe der WM nach Katar nicht zu vergleichen.
Der Fußball wirkt zeitweise komplett überhöht. Kann er, so wie er strukturell und personell aufgestellt ist, seiner gesellschaftlichen Bedeutung noch gerecht werden?
Ich glaube schon. Die Branche ist inhaltlich und personell ja mit gewachsen. Die Führungskräfte sind sich der sozialen Bedeutung schon bewusst. Außerdem gibt es ja noch die Medien als Regulativ. Sie prangern Missstände an.
Missstände gab es zuletzt auch beim VfB Stuttgart – leiden Sie mit Ihrem Ex-Verein noch mit?
Ganz klar, ich war beim VfB als Spieler und Manager insgesamt neun Jahre, länger als beim FC Bayern.
Wie sehr haben Sie gezittert?
Ach, ich muss sagen, ich habe von Anfang an gesagt, dass der VfB von allen betroffenen Clubs am ehesten die Kurve kriegt.
So sicher war das aber nicht.
Nein, aber die einzelnen Spieler haben ja eine gewisse Qualität, es fehlt eben das Gerippe, an dem sich die Jüngeren im einen oder anderen Fall orientieren können. Solche Spieler sind im Krisenfall über jeden Zweifel erhaben. An ihnen kann sich der Trainer orientieren, und die Fans können sich mit solchen Profis identifizieren. Aber der VfB hatte in Huub Stevens ja einen Coach, der weiß, wie der Kampf gegen den Abstieg geht.
War das Affentheater nur inszeniert?
Davon bin ich felsenfest überzeugt. So nahm er den Druck von den Spielern, lenkte ihn auf sich um (lacht). Ich kenne ihn ja aus unserer gemeinsamen Zeit bei Hertha BSC.
Was ist jetzt zu tun?
Der VfB muss seine Achse ausbauen, auch wenn es jetzt am Schluss noch mal gutgegangen ist. Serey Dié ist schon mal ein guter Anfang. Das ist ein Typ mit Herz und Charakter. Aber er allein wird nicht reichen.
Es heißt immer, der VfB habe eigentlich alle Voraussetzungen, um in der Spitzengruppe der Liga mitzumischen. Warum kann er seine Standortvorteile nicht nützen?
Gar keine Frage: Der VfB bringt alles mit. Das Stadion ist ein Schmuckkästchen, das Einzugsgebiet riesig, die Trainingsbedingungen sind bestens, die Fan-Basis ist zwar oftmals kritisch, aber groß und treu – das hat man im Kampf gegen den Abstieg wieder gesehen.
Trotzdem tritt der Club, was seine Wirtschaftskraft anlangt, nahezu auf der Stelle.
Der VfB jammert immer, er hat kein Geld, verfügt aber über den fünft- oder sechst- höchsten Etat der Liga. Das ist nicht nachvollziehbar, wenn man das im Vergleich zu den anderen sieht. Da wurde in der Vergangenheit einfach nicht optimal gearbeitet beim Zusammenstellen der Mannschaft. Und aus der Distanz wirkt es auch so, als habe die Identifikation der Spieler und Mitarbeiter mit dem Verein ein wenig gelitten.
Wie lässt sich das ändern?
Er braucht dafür ein vernünftiges und nachvollziehbares Sportkonzept, das auch mögliche Investoren überzeugt. Es ist mit Sicherheit genügend Finanzkapital in der Region vorhanden, um strategische Partner an Land zu ziehen.
Überzeugt Sie die Um- und Neuorientierung von Präsident Bernd Wahler und Sportvorstand Robin Dutt?
Das klang einleuchtend, es sind sicher gute Ansätze dabei, aber zunächst einmal sind es nicht mehr als Absichtserklärungen. Die Wiedergeburt der Jungen Wilden wurde ja auch schon mehrfach ausgerufen, aber nicht realisiert. Jetzt geht es um die Zukunft, jetzt zählen nur noch Taten. Das ist harte Arbeit, vor allem für Robin Dutt. Es gibt genügend Vereine, die mit geringeren Mitteln, mit viel Fantasie, mit etwas besserem Scouting, mit geschickten Ausleihen und Kaufoptionen attraktive Mannschaften zusammengestellt haben. Das ist ja die eigentliche Kunst.
Sie waren von 1990 bis 1995 Manager beim VfB. Der VfB ist damals wie heute ein Verein. Ist das noch praktikabel?
Der VfB wird sich, wie andere Vereine auch, dem Lauf der Zeit anpassen müssen. Die Ausgliederung in eine Kapitalgesellschaft, in welcher Form auch immer, wird über kurz oder lang kommen. Aber damit alleine ist es nicht getan. Dazu gehört auch, dass sich der VfB sportlich wieder besser präsentiert.
Muss der VfB jetzt Geld in die Hand nehmen, um den Reformkurs zu unterstützen?
Es wäre mit Sicherheit kein Fehler, die Braut jetzt schön zu machen für strategische Partner, die man irgendwann ins Boot holen will. Aber dazu braucht es nicht gleich den ganz großen Wurf. Es gibt ja noch genügend andere Finanzierungsmöglichkeiten, wie etwa Genussscheine.