Am Himmel ziehen Transportflugzeuge vorbei, wie an einer unsichtbaren Schnur ziehen sie Seidenpilze hinter sich her – der Auftrag der Fallschirmjäger: Die feindlichen Kräfte im Rücken anzugreifen. Foto: AFP

Mit 25 000 Soldaten – darunter 150 deutschen – hält der Westen sein größtes Manöver am Schwarzen Meer ab. Damit soll Moskau auch in dieser Region abgeschreckt werden. Doch bei der Verlegung von Soldaten und Material müssen die Verbündeten noch zulegen.

Bordusani - Der Gegenangriff startet fast pünktlich: Um 10.04 Uhr gleiten rumänische Spezialkräfte in die Donau und paddeln lautlos ans feindlich besetzte Ufer. Wenig später donnern Mig-21-Jäger und rumänische Bodenkampfjets im Tiefflug über die bewaldete Flussinsel hinweg. Es folgt ein ohrenbetäubendes Artilleriefeuer von Land und aus den Rohren mehrerer Kanonenboote auf dem 600 Meter breiten Strom.

25 000 Soldaten aus 22 Ländern, darunter 9000 Rumänen, 7500 Amerikaner, aber auch Nicht-Nato-Mitglieder wie Georgien oder die Ukraine nehmen in diesen Tagen an dem US-geführten Übung „Saber Guardian“ (Säbel-Wächter) 2017 teil. So wird den Verbündeten am Schwarzen Meer Solidarität demonstriert. Und nach der Annexion der Krim und den andauernden Militäroperationen in der Ostukraine soll der mächtige Nachbar Russland abgeschreckt werden. Mit insgesamt 18 Übungen in Ungarn, Rumänien und Bulgarien ist es das größte Manöver in der Region seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Bundeswehr ist mit 150 Pionieren mit von der Partie.

Am grauen Himmel ziehen Transportflugzeuge mit ihrem sonoren Brummen vorbei. Wie an einer unsichtbaren Schnur ziehen sie Seidenpilze hinter sich her. Der Auftrag der rumänischen Fallschirmjäger: Die feindlichen Kräfte im Rücken anzugreifen. Über die Uferböschung preschen Truppentransporter in den Fluss. Schießend schaukeln sie auf das andere Ufer zu. Ein starker Wind macht die Donau ziemlich kabbelig. Kaum haben Pioniere zwischen die beiden Stümpfe einer Schwimmbrücke das letzte Teilstück eingefügt, rollen Schützenpanzer, darunter auch 14 Stryker des 2. US-Kavallerie-Regiments aus dem bayerischen Vilseck zum Angriff. „Die Überquerung der Donau ist schwierig, aber nicht unmöglich“, meint Oberstleutnant Corneliu Pavel von der rumänischen Marine mit stolzem Lächeln.

Üben für den Bündnisfall

Bei dieser Übung in der Nähe der Ortschaft Bordusani rund 90 Kilometer vom Schwarzmeerhafen Constanta entfernt trainieren Rumänen und Amerikaner gemeinsam hoch intensive Kriegsführung: eine militärische Auseinandersetzung mit einem gut gerüsteten Angreiferstaat. Und sie üben den Bündnisfall nach Artikel fünf des Nato-Vertrags: Wird einer der 29 Alliierten angegriffen, sehen dies alle als Angriff auf sich an. Die große Sorge der Rumänen: „Russland baut seine Fähigkeiten weiter aus“, erklärt Oberst Catalin Ticulescu mit Blick auf russische Raketen und Luftlandetruppen auf der nahem Krim. „Das hat Auswirkungen auf unsere Fähigkeiten, Verstärkung heranzuführen.“

Rumänien, seit 2004 in westlichen Verteidigungsallianz, unternimmt große Anstrengungen, um sein Militär zu modernisieren und Nato-tauglich machen: Dieses Jahr wollen sie das selbstgesteckte Ziel erfüllen, zwei Prozent ihrer nationalen Wirtschaftskraft für Verteidigung auszugeben. Seit 2015 führen sie ein multinationales Divisionshauptquartier der Nato in Bukarest. Und gerade bauen sie eine multinationale Brigade auf.

Außerdem wollen sie womöglich bald für 3,4 Milliarden Euro US-Patriot-Luftabwehrraketen kaufen – Rumäniens gesamter Verteidigungshaushalt beläuft sich auf 3,5 Milliarden Euro. Und seit 2016 beherbergt Rumänien in Deveselu auch einen Stützpunkt des US-Raketenabwehrsystems Aegis, das den Zorn Russlands auf sich zieht, weil Moskau fest davon überzeugt ist, dass es entgegen anderslautender Beteuerungen der Nato gegen russische Raketen gerichtet sei. „Die Menschen in Rumänien sind große Anhänger der Nato“, sagt der rumänische Heeresoberst Ticulescu. Auch er gehört dazu. Es sei „sehr wichtig“, dass die Allianz nach dem Gipfel von Warschau im vergangenen Jahr in Osteuropa von der Rückversicherung der Verbündeten auf Abschreckung umgeschaltet habe. „Die Partnerschaft mit den USA ist dabei essentiell.“

„Wir haben zwar viele Admiräle, aber keine Schiffe“

Umgekehrt schwärmt auch Hans Klemm, der US-Botschafter in Bukarest, von den Beziehungen zu Rumänien. Vor allem hat er dabei die Raketenabwehr in Deveselu im Auge: „Das ist das Kernstück unserer Partnerschaft.“ Und weil Rumänien damit den Unmut Russlands auf sich gezogen habe, falle den USA auch eine „besondere Verantwortung“ gegenüber Rumänien zu, betont er.

Bulgarien, das sich aus historischen Gründen Russland viel stärker verbunden fühlt, hat sich in Bevölkerung und Regierung weit weniger euphorisch auf die Seite des Westens geschlagen. „Bulgaren sprechen sich zu 60 Prozent gleichzeitig für die Nähe zu Russland und für die Zugehörigkeit zur Nato aus“, beschreibt ein westlicher Diplomat die Position des Balkanlandes. Wenn man sie zu sehr unter Druck setze, „wäre das kontraproduktiv“. So gesehen ist es ein großer Erfolg, dass sich Bulgarien am Großmanöver Saber Guardian unter anderem mit einer großen Luftabwehrübung an seiner Schwarzmeerküste beteiligt. „Das unterstreicht unsere gemeinsame Verteidigungsfähigkeiten“, sagt Bulgariens Vize-Generalstabschef Emil Eftimov.

Zur Bedrohung aus Russland äußert sich der Offizier aber viel diplomatischer als seine rumänischen Kollegen. „Russland stelle nicht allein für Bulgarien eine Herausforderung dar, sondern für das gesamte Bündnis.“ Aber auf die Frage, was ihn am mehr um den Schlaf bringe – die Gefahr einer Invasion oder die der Subversion aus Russland – antwortet er mit entwaffnender Offenheit: „Wir müssen uns Fähigkeiten zulegen, die wir uns auch leisten können.“ Der große Modernisierungsbedarf des bulgarischen Militärs ist überall mit Händen zu greifen – von Uralt-Jeeps und Lastwagen aus sowjetischen Beständen bis zu heruntergekommenen Gebäuden auf dem Luftwaffenstützpunkt Bezmer. „Wir haben zwar viele Admiräle, aber keine Schiffe“, spottet ein bulgarischer General.

Trennlinien zwischen Krieg und Frieden verschwimmen

Der Kommandeur des US-Heeres in Europa (Usareur), Drei-Sterne-General Ben Hodges, scheint die Fähigkeit zu besitzen an vielen Orten der Usareur-geführten Großübung auf dem Balkan gleichzeitig zu erscheinen. Er taucht am rumänischen Donauufer ebenso auf wie auf dem bulgarischen Stützpunkt Bezmer und zahlreichen anderen Orten. Ihm kommt es bei diesem multinationalen Großmanöver vor allem auf Geschwindigkeit an: „Das ist wichtig, weil wir im Krisenfall nur mit sehr kurzer Vorwarnzeit zusammenkommen würden“, sagt Hodges – sein Gesicht ist in Tarnfarbe beschmiert wie das aller anderen US-Soldaten. „Dann hätten wir auch keine sechs Monate für den Aufmarsch.“

Viele US-Kampffahrzeuge, Lastwagen und Humvee-Jeeps überqueren mobile Brücken über Flüsse oder Soldaten springen mitsamt ihrem Material aus Flugzeugen ab, um das zu üben, was Hodges, „Aufmarschgeschwindigkeit“ nennt. Dafür sei im Bündnis und bei der Europäischen Union noch viel zu tun. Ziel sei ein „Schengen-Gebiet“ für eine Bewegungsfreiheit des Militärs. „Mein Bedarf Nummer Eins ist es, Zugang zum Kampfgebiet und zum Material zu erhalten“, betont Hodges. Seit die Nato ihre Präsenz im Baltikum und in Polen ausgebaut hat, konnte sich der US-Kommandeur mehr um die Südostflanke des Bündnisses am Schwarzen Meer kümmern.

Und auch wenn derzeit kaum jemand in Rumänien oder Bulgarien mit dem plötzlichen Ausbruch eines Krieges mit Russland rechnet, die Trennlinien zwischen Krieg und Frieden könnten auch hier verschwimmen. „Es geht um Abschreckung einer russischen Aggression“, so Hodges. Dabei sollte niemand am Beistand der USA für Europas Sicherheit zweifeln, sagt der General und zeigt auf US-Fallschirmjäger, die hinter ihm auf auf dem Grün des bugarischen Luftwaffenstützpunktes Bezmer in Bulgarien landen.