Foto: LICHTGUT/Zophia Ewska

Rund 4000 Menschen, vier Mal so viel als angemeldet, kamen auf den Stuttgarter Schlossplatz, um am Holocaust-Gedenktag gegen rechte Hetze zu demonstrieren. Initiiert wurde die Demo von Pulse of Europe und einem breiten Bündnis von Organisationen.

„Sieh dir die Menschen an!“ Der Ausstellungstitel auf der Kunstmuseumsfassade hätte nicht besser passen können. Auf dem Schlossplatz davor versammelten sich etwa 4000 Menschen zur Demonstration „Nie wieder ist jetzt - In Vielfalt vereint gegen rechte Hetze“. Geladen zur Kundgebung am Holocaust-Gedenktag hatte die proeuropäische Bewegung Pulse of Europe mit einem breiten Bündnis von Organisationen. Um „ein kraftvolles Zeichen gegen Rechtsextremismus zu senden“, so Annette Rueß und Sebastian Hoch von Pulse of Europe.

18 Redner und Rednerinnen aus Politik, Stadt, Gewerkschaft, Kirchen, Bildung, Kultur, Initiativen, No-Profit-Organisationen sprachen. Während Rainer Wieland (CDU), Vizepräsident des Europäischen Parlaments, den Holocaust-Gedenktag als Mahnung und Motivation für „nie wieder“ sah, nannte Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper die Aufarbeitung der Nazi-Diktatur als große politische Leistung.

Aufruf zu den Wahlen

Als „eindrucksvolle Demonstration der Demokratie“ bezeichnete Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne), dass so viele Menschen Gesicht zeigten. „Aber wir sind wehrhaft gegen die Feinde der Demokratie“, die im 75. Jahr des Grundgesetzes wieder an die Macht wollten. Dass bewiesen auch die Journalistinnen und Journalisten, die das Geheimtreffen in Potsdam von AfD-Politikern, Neonazis und finanzstarken Unternehmer aufdeckten. Man müsse alle Möglichkeiten nutzen, die die Verfassung gegen Verfassungsfeinde biete. „Wir sind mehr! Gehen Sie massenhaft zu den Europa-, Regional- und Kommunalwahl am 9. Juni, zeigen sie die Rote Karte!“

Die zu wehrenden Anfänge seien längst da, meinten auch nachfolgende Redner wie Grünen-Kreisverbandvorsitzender Florian Pitschel, FDP-Gemeinderatsvorsitzender Matthias Oechsner, SPD-Kreisvorsitzender Dejan Perc, Tillmann Bollow von Volt Stuttgart. Zitiert wurde die 101-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer im Tagesthemen-Interview: „So hat es ja damals auch angefangen.“

Forderung nach besserer Migrationspolitik

CSD-Vorstand Detlef Raasch präzisierte: „Es ist fünf vor zwölf!“, indes Bärbel Illi von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft schilderte, wie die AfD Gruppen ausspiele, etwa Muslime gegen Juden. „Die AfD-Annäherung an Russland und Iran ist gefährlich unerträglich.“ Das bestätigte Ulyana Wetzler von der Ukraine Demo Stuttgart. „Die Ukraine kämpft für die Demokratie, Freiheit und Vielfalt Europas.“

Dass sich die AfD seit neun Jahren radikalisiere, beobachtete der Katholische Stadtdekan Christian Hermes. „Was ich in Foren diskutiere! Wir müssen Menschen zu demokratischen Parteien zurückholen und im Alltag Flagge zeigen.“ Das und eine bessere Migrationspolitik forderte Dilnar Alban von der Amnesty Hochschulgruppe Stuttgart. „Stuttgart bleibt bunt. Niemand kann vorschreiben, was normal ist – Religion, Hautfarbe, Nation, Sprache, Geschlecht, wen man liebt.“ Aus Protest Rassismus und Antisemitismus wählen? Nie!

Einfache Lösungen gibt es nicht

Mit Remigration meine die AfD Deportation, betonte Prälatin Gabriele Arnold, Evangelische Kirche Stuttgart. „Halb Stuttgart wäre weg, wie 1942 – unser Kinderarzt, unsere Nebensitzerin, die Nachbarn!“

Menschen aus der Türkei und anderen Ländern, seit Jahrzehnten hier beheimatet, hätten Angst, unterstrich Ebru Hazidenar, Vorstandsvorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart; und DGB-Regionsgeschäftsführerin Julia Friedrich beschrieb, wie die Rechten in den Betrieben agitierten, Menschen mit Sorgen einfache Lösungen versprächen. „Die gibt es nicht. Wir müssen Chancengleichheit ermöglichen.“

Bildung als Schlüssel

Dazu brauche es gute Bildung, so VHS-Chefin Dagmar Mikasch-Köthner und Claudia Rugart, die mit „Scora yes we care“ (Schools opposing racism and antisemitism) deutsche und israelische Schulen zusammenbringt.

Mut machte zum Schluss Dieter Nelle. Der Intendant des Forum Theaters – für die Stuttgarter Theater da – las aus Amanda Gormans Gedicht „Den Hügel hinauf“, das sie bei Joe Bidens Amtseinführung vortrug: „Die Demokratie mag sich zeitweise hemmen lassen, doch nie für alle Zeit verhindern.“