Deantha Edmunds ist als erste Inuk-Opernsängerin – Inuk ist die Einzahl von Inuit – in Kanadas Verdienstorden aufgenommen worden. Foto: picture alliance/dpa/Arne Dedert

Deantha Edmunds stammt aus dem jahrhundertelang unterdrückten indigenen Volk der Inuit. In Kanada spielt die preisgekrönte Musikerin eine wichtige Rolle im Prozess der Versöhnung.

Deantha Edmunds steht auf den Klippen von Petty Harbour, einem Fischerort in Neufundland. Der Wind bewegt das Fell, das die Kapuze ihres Parka umsäumt. Dann singt sie „Kuvianattuksovut Itigangit“. Es ist eine Arie aus dem „Messias“ von Georg Friedrich Händel, übersetzt in Inuttitut, die Sprache der Inuit in der kanadischen Provinz Neufundland und Labrador. Edmunds ist Kanadas erste und einzige Opernsängerin aus dem Volk der kanadischen Arktis.

Für ihre Verdienste als erste Inuk-Opernsängerin – Inuk ist die Einzahl von Inuit –, ihre Kompositionen und die Unterstützung junger indigener Musiker wurde Deantha Edmunds-Ramsay jetzt in Kanadas Verdienstorden Order of Canada aufgenommen. Edmunds habe „in ihrer Karriere die Brücke zwischen zwei Welten gebaut: der Kultur und dem Erbe ihrer Inuit-Herkunft und der kodifizierten Disziplin der westlichen klassischen Musik“, urteilt Tom Gordon, emeritierter Musikprofessor an der Memorial University in der Provinzhauptstadt St. John’s.

Deantha Edmunds leistet Beitrag zur Versöhnung

Das ist bemerkenswert in diesem Land, das bis vor wenigen Jahrzehnten indigene Kultur unterdrückte und dessen Geschichte von einem beschämenden Umgang mit den indigenen Völkern, den First Nations, Inuit und Métis begleitet wird. Heute finden indigene Künstlerinnen und Künstler in Malerei, Literatur, Bildhauerei, Pop- und Klassikmusik wachsende Beachtung. Kanada ist auf einem mühevollen Weg, der mit „Reconciliation“, Versöhnung, beschrieben wird.

Dazu leiste Deantha Edmunds einen wichtigen Beitrag. „Der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg der Reconciliation ist Verstehen“, sagt Gordon. Eine Inuk-Sängerin zu erleben, die Opern in Inuktitut und den regionalen Variationen wie Inuttitut singt, eröffne neue Sichtweisen. Es helfe, Schubladendenken zu überwinden: Indigene Künstlerinnen und Künstler sind nicht auf die traditionellen künstlerischen Ausdrucksformen wie Kehlgesang oder Trommeltanz beschränkt.

Ihr Vater sang ihr Weihnachtslieder auf Deutsch vor

Edmunds und den anderen indigenen Künstlerinnen geht es nicht nur darum, diese Texte in einer anderen Sprache zu singen. Sie wollen auch klassische Musik „dekolonisieren“ und, wie Sue Carter im „InuitArt Quarterly“ schreibt, eine Einstellung durchbrechen, dass klassische Musik „elitär“ und nur für „weiße“ Zuhörerschaft sei. „Wir versuchen die Musikwelt zu dekolonisieren, sodass diese Musik für Menschen überall nicht nur zugänglich ist, sondern auch geschätzt wird, nicht nur in den Städten und angesehenen Kreisen“, sagt Edmunds.

Aufgewachsen ist die heute 51-jährige Sopranistin in Corner Brook in Neufundland, heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter Annabelle in St. John’s. Ihr inzwischen verstorbener Vater ist ein Inuk aus Hopedale an der Küste Labradors, ihre Mutter eine Neufundländerin mit irischen Wurzeln. Ihr Vater sang mit ihnen Weihnachtslieder wie „Stille Nacht“ und „O Tannenbaum“ in Englisch, Inuttitut – und Deutsch.

Die Missionare verbannten traditionelle Inuit-Musik

Denn an die Küste Labradors kamen vor 250 Jahren Missionare der Moravian Church, der deutschsprachigen Herrnhuter Brüdergemeine. „Sie brachten Streich- und Blechblasinstrumente und Musikmanuskripte der großen europäischen Komponisten mit“, erzählt Deantha Edmunds. Für die traditionelle Inuit-Musik wie Kehlgesang (Throat Singing) und Trommeln hatten die Missionare nichts übrig, sie wurde aus dem Leben der Inuit-Gemeinden verbannt.

In den Inuit-Gemeinden Labradors entstanden Chöre und Orchester, die Musik von Haydn, Bach, Händel und Mozart und Lieder, die die Missionare in Inuttitut verfassten, aufführten. Kulturen und Musik vermischten sich. „Die Labrador-Inuit haben nicht nur gelernt, diese Musik aufzuführen, sie haben sie in etwas transformiert, das wirklich ihnen gehört“, sagt Edmunds. „Die Inuit von Labrador haben klassische Musik seit Jahrhunderten in Inuttitut gesungen und gespielt. Diese Musik jetzt professionell in der Sprache meiner Vorfahren singen zu können ist überwältigend.“

Arien und Duette in der Sprache der Inuit

Edmunds studierte Musik an der Acadia-Universität in Wolfville in Nova Scotia und an der Concordia-Universität in Montreal, arbeitete als Piano- und Gesangslehrerin und begann eine Karriere als Sängerin. Vor etwa 15 Jahren begegnete sie Tom Gordon. Dieser sammelte die Musik der Inuit-Gemeinden an der Labradorküste. 2015 entstand durch Zusammenarbeit Gordons mit Inuit-Künstlerinnen, darunter Edmunds, das Album „Pillorikput Inuit – Inuktitut Arias for All Seasons“ mit 16 Arien und Duetten, darunter Werke, die noch nie aufgenommen worden waren.

2019 trat Edmunds in zwei indigenen Werken auf: der Oper „Shanawdithit“ über die vermutlich letzte Frau aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts ausgestorbenen Volk der Beothuk und der in Cree und Sami gesungenen Oper „Two Odysseys: Pimootewin and Gállábártnit“. Edmunds greift in ihren Kompositionen Themen auf, die indigene Menschen bewegen. Dazu gehören ihre Lieder „Legacy“ über die vermissten und ermordeten indigenen Frauen und Mädchen und „Song of the Whale“ über Umweltprobleme aus indigener Perspektive.

Kanadas höchster Orden

Generalgouverneur
 Der Order of Canada (englisch) bzw. Ordre du Canada (französisch) ist Kanadas höchste Auszeichnung für ein Lebenswerk. Der kanadische Monarch, derzeit König Charles III., ist der Souverän, der Generalgouverneur von Kanada, derzeit Mary Simon, ist Kanzler und vornehmster Träger des Ordens. Simon kommt ebenfalls aus dem Volk der Inuit und ist die erste indigene Persönlichkeit, die das höchste Staatsamt Kanadas innehat. Der Generalgouverneur ernennt die neuen Mitglieder aufgrund von Vorschlägen aus der Bevölkerung.