Volldampf voraus: Die Schwäbische Waldbahn, so wie sie auch am Sonntag von Esslingen aus über Schorndorf unterwegs sein wird – mit Dampflok vorne und Diesellok hinten. Foto: Gottfried Stoppel

Die sogenannte Interregio-Kurve bei Untertürkheim macht es möglich, dass die Dampflok samt Waggons an diesem Sonntag am Stuttgarter Hauptbahnhof starten kann. In Esslingen legt das Zügle eine Art Kehrtwende ein und gelangt schließlich über Schorndorf bis nach Welzheim.

Vor wenigen Tagen fanden die Mitglieder der Hamburger Band Die Zimmermänner bei ihrem Konzert in der Schorndorfer Manufaktur die Begründung einiger zu spät erschienener Fans besonders lustig: Der „Schienenersatzverkehr“ habe sie ausgebremst. Dieses Wort gebe es wohl auch nur hierzulande, amüsierten sich die Hanseaten.

Dauerstau und Schienenersatzverkehr

Ja, mittlerweile hat es sich herumgesprochen: Von Stuttgart ist wegen der Kabelarbeiten zur digitalen Beschleunigung mit Blick auf Stuttgart 21 noch bis Ende Juli kein Durchkommen mit der S-Bahn. Wegen der Malaise hängen die Ersatzbusse morgens und zum Feierabend vor dem Kappelbergtunnel oder im Cannstatter Stau fest.

Kein Zug weit und breit auf der Strecke? Stimmt nicht! Es muss halt nur der richtige sein – etwa ein Dampfross. Vor zwei Wochen informierte die Schwäbische Waldbahn mit Sitz im Welzheimer Rathaus über die nächste Sonderfahrt: Am Sonntag, 9. Juli, schnauft die Lok mit ihren historischen Waggons mal wieder von Stuttgart nach Schorndorf und dann weiter auf der Panoramastrecke über Rudersberg hoch bis Welzheim. Wegen der Baustelle in Bad Cannstatt werde dieses Mal jedoch „einmalig“ Esslingen am Neckar als Zusteigemöglichkeit angefahren. „Mit nostalgischem Flair und dem charakteristischen Pfeifen und Rattern der Dampflok 64 419 aus dem Baujahr 1937 startet die Reise um 9.07 Uhr am Stuttgarter Hauptbahnhof“ samt zusätzlichem Halt um 9.27 Uhr in Esslingen.

In Esslingen gibt’s den „Rückwärtsgang“

Spontaner journalistischer Gedanke: Unsinn! Wie soll denn der Dampfzug über den Schurwald gen Waiblingen gebeamt werden? Die Strecke ist doch für den Schienenverkehr tabu. Benedikt Schwarz, im Rathaus Welzheim für den Tourismus und die Schwäbische Waldbahn zuständig, hat auf Nachfrage die Antwort: „Von Stuttgart nach Esslingen sind die Gleise zur Durchfahrt in Bad Cannstatt geöffnet. Dann wird in Esslingen gedreht, und der Zug fährt über die Interregio-Kurve hinter Bad Cannstatt quasi wieder auf die Remsbahn.“ Das, ergänzt Schwarz schmunzelnd, „habe ich auch neu gelernt“.

Aha, Überraschung: Es gibt trotz gesperrter Schienen also diesen besonderen Durchschlupf aus der Landeshauptstadt ins Remstal, nur halt über den Umweg Esslingen. Ein Sprecher der Bahn bestätigt die Info aus Welzheim: Diese Interregio-Kurve ersetze einen Gleisabschnitt bei Untertürkheim, der über das Gelände des derzeit im Bau befindlichen Abstellbahnhofs verlief. Seit Mitte März 2023 ist die Interregio-Kurve in Betrieb, auf ihr fahren überwiegend Güterzüge in und aus Richtung Waiblingen, die mit Fahrtrichtungswechsel in Untertürkheim so die Verbindung über die Schusterbahn nach Kornwestheim herstellen.

Die Kurve gibt es in ähnliche Form schon lange

Die Kurve gehört zum Stuttgart-21-Abschnitt „Zuführung Ober-/Untertürkheim“, der im Wesentlichen aus dem Tunnel Obertürkheim und dem unterirdischen Abzweig Richtung Untertürkheim besteht. Beides verbindet den künftigen Stuttgarter Durchgangsbahnhof mit dem Gleisbestand im Neckartal. Die Bezeichnung „Interregiokurve“ ist historisch bedingt und steht für die Personenzüge, die zwischen Vaihingen (Enz) und Waiblingen künftig gleichfalls ohne Fahrtrichtungswechsel über den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof verkehren können.

Die Interregio-Kurve wird derzeit auch im Regelbetrieb genutzt. „Insbesondere die IC-Verbindung Karlsruhe-Stuttgart–Nürnberg, die in der ersten Phase der Streckensperrung zwischen dem 12. Mai und dem 9. Juni komplett entfallen musste, hält seit dem 9. Juni ersatzweise statt im Stuttgarter Hauptbahnhof in Stuttgart-Untertürkheim, wo der Zug die Fahrtrichtung wechselt.“

Für S-Bahnen ist diese Alternativstrecke ungeeignet

Wenn schon die Waldbahn fährt, könnte dann nicht auch die S-Bahn über diesen Umweg ins Remstal gelangen? Klare Antwort: Nein. Denn: „Für die S-Bahn wäre die Relation nicht attraktiv, da aufgrund der abschnittsweisen Eingleisigkeit und dem Fahrtrichtungswechsel in Untertürkheim die Leistungsfähigkeit sehr eingeschränkt ist“ – so müsste ein Fahrzeugführer beim Richtungswechsel ja vom einen Ende des Zugs zum anderen sprinten, das dauert viel zu lang, weiß ein Bahn-Fachmann. Deshalb könnten dort nur sehr wenige Züge fahren und einige Stationen unterwegs zudem nicht bedient werden.

Die Fahrten der Waldbahn über diese Kurve erfordert übrigens keine Ausnahmeregelung, sie erfolgen technisch gesichert als ganz normale Zugfahrten. „Die Leistungsfähigkeit dieser Relation ist jedoch beschränkt, sodass dort nur sehr wenige Züge fahren können“, etwa bei Sonderfahrten, so der Bahnsprecher.

Vorne Dampflok, hinten Diesel

Die Waldbahn-Aktivisten freuen sich jedenfalls über diese Möglichkeit der Direktverbindung von Stuttgart bis Welzheim. Markus Müller, Lokführer und Vorstandsmitglied im Verein DBK Historische Bahn, erläutert, dass der Richtungswechsel in Esslingen kein Problem ist: Man sei ja mit zwei Loks unterwegs, eine vorne, eine hinten. Von Esslingen aus zieht die Dampflok dann den Zug durchs Remstal und den Welzheimer Wald, so wie es sich die Fahrgäste ja wünschten.

Wenn Stuttgart 21 fertig ist, kann der Dampfzug allerdings wegen der Emissionen in der Tunnelstrecke nicht mehr in der Landeshauptstadt starten – doch für Eisbahnnostalgiker haben sicher auch die Bahnhöfe Cannstatt oder Esslingen genügend Flair.

Sonderfahrt Karten für diesen Sonntag gibt es im Vorverkauf zwar nicht mehr, ein Waggon in Stuttgart wird allerdings freigehalten, sodass noch ein Kontingent mit begrenzten Plätzen für Kurzentschlossene zur Verfügung steht.