Nach drei Jahren bringt die Band "Coldplay" - hier Sänger Chris Martin wieder ein neues Album heraus. Foto: dpa

Das von der Branche herbeigesehnte neue Coldplay-Album heißt "Mylo Xyloto" und nimmt Reißaus.

Stuttgart - Chris Martin schaut den Wolken zu, blickt in sein Herz, in das die Liebe ein Loch gerissen hat, wünscht sich, dem Chaos entfliehen, hinfortfliegen zu können: "And sing slow-ow-ow-ow it down / Through chaos as it swirls / It's just us against the world." Aufstand findet bei Coldplay nicht mit zornig-verzerrten Gitarren und mit Sturm-und-Drang-Verve statt, sondern wiegt sich sanft und verträumt im Walzertakt.

Das neue Coldplay-Opus "Mylo Xyloto", das an diesem Freitag erschienen ist, gefällt sich als futuristischer Roman, der entlang von Songs, die "Up Against The World", "Hurts Like Heaven", "Paradise", "Every Teardrop Is A Waterfall" oder "Up With The Birds" heißen, letztlich den Gründungsmythos des Rock'n'Roll mit den Mitteln des Softpop nacherzählt. Die Platte stimmt eine Hymne auf die Kraft der Musik und der Liebe an, singt ein Hohelied auf all jene, die die böse Wirklichkeit überwinden, um sich selbst zu befreien und die Welt zu einem besseren Platz werden zu lassen. Dass dieses dystopisch-romantische Konzeptalbum so herrlich kindlich begeisterungsfähig an die Macht der Musik glaubt und seinen Protagonisten ein Happy End beschert, dürfte auch die Musikindustrie zuversichtlich stimmen.

Schließlich erwartet die Branche (in diesem Fall: die Plattenfirma EMI) von "Mylo Xyloto" nicht weniger als ein Wunder, hatten Coldplay doch vom Vorgängeralbum "Viva La Vida or Death and All His Friends" zwölf Millionen Exemplare verkauft. Damit hat die britische Band um Sänger und Songwriter Chris Martin nicht nur die erfolgreichste Platte des Jahres 2008 abgeliefert. Seither hat es auch keine einzige Band geschafft, ein Album auf den Markt zu bringen, das ähnlich reißenden Absatz gefunden hat.

Balance zwischen Bombast und Intensität

Es gilt also, die Hoffnungen der sich in einer Dauerkrise befindenden Musikbranche nicht zu enttäuschen: "Wir müssen jetzt mit Justin Bieber oder Adele konkurrieren", hat Coldplay-Drummer Will Champion kürzlich in einem Interview gejammert, "dabei sind die viel jünger als wir." Und angesichts des hohen eigenen und fremden Erwartungsdrucks wundert es nicht, dass Chris Martins Texte, obwohl sie von einer jugendlichen Revolte erzählen eher Weltfluchtszenarien, eskapistische Träume sind.

Unter der in Regenbogenfarben schimmernden Popoberfläche von "Mylo Xyloto" hat sich an den Songs von Coldplay nicht wirklich viel geändert. Noch immer wechselt Martin stets dann ins Falsett, wenn's besonders dramatisch klingen soll, noch immer liebt die Band das Larmoyante, Pathetische, Epische, Ooh-ooh-ooh-Chöre und Klavierkaskaden, versucht leichtgewichtig und tiefgründig zugleich zu sein.

Doch statt an dunkel grundierten Balladen, die ja die ersten und besten ColdplayAlben "Parachutes" und "A Rush Of Blood To The Head" prägten, versucht sich die Band nun lieber an opulenten Poparchitekturen, versteckt die Songideen hinter schmückendem Beiwerk. Wieder einmal verwechseln sich Coldplay in überladenen Stücken wie "Major Minus" und "Don't Let It Break Your Heart" mit U2. Brian Eno, der der Band bei den Aufnahmen zu "Mylo Xyloto" half, hat nicht verhindert, dass die Songs, an denen Coldplay drei Jahre gearbeitet haben, oft des Guten zu viel wollen.

Neben dem hübschen "Charlie Brown", das am ehesten die Balance zwischen Bombast und Intensität hinbekommt, zählen die kitschigen, sich aber aufs Wesentliche konzentrierenden Nummern "Up Against The World" und "U.F.O." zu den besten Nummern auf der Platte. Und das stumpfe Elektropopliedchen "Princess Of China" mit Rihanna als Gaststar, hilft zwar vielleicht den auf ein paar Millionen mehr hoffenden Jungs von der Plattenfirma weiter, aber weder Coldplay- noch Rihanna-Fans.